𝖅𝖜𝖆𝖓𝖟𝖎𝖌 𝕺𝖉𝖊𝖗 𝕶𝖗𝖎𝖊𝖌

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Zwanzig oder Krieg

Es war Abend. Es dämmerte bereits. Seit sechs Tagen hatte sich Kayden nicht mehr blicken lassen. Hailey war es ganz recht. Zu viel war in dieser kurzen Zeit passiert. Zu viel, als das Hailey es begreifen konnte. Jetzt saß sie einfach da. Auf dem Dach ihres kleinen Hause. Starrte alleine in den blauen Himmel, der sich langsam lila färbte. Beobachtete den Mond und die Sterne, die langsam auftauchten. Manchmal wäre sie auch gerne wie sie. Wie der Mond. Am Tag versteckt, doch in der Nacht, immer da. Meistens war er unsichtbar, aber auch nicht besonders notwendig. Doch wenn es dunkel wurde, konnte er in Ruhe auf die schlafenden Welt nieder sehen. In der Nacht wurde er gebraucht.
Abwesend bließ sie den Rauch in den Himmel, der sofort mit der Dämmerung verschmolz.

Sie war so in Gedanken vertieft, dass sie das plötzliche "Hey Hailey!" und das laute Hupen', fast nicht gehört hatte. Das Mädchen erkannte die Stimme sofort. Natürlich erkannte sie sie. Wie oft war Hailey mittlerweile mit dieser Person nachts betrunken oder high auf dem Dach gesessen und hatte über das Leben philosophiert? Eigentlich müssten sie mittlerweile klüger sein, dachte man. Aber es waren eben nur betrunkene Philosophen. Immer mehr Dichter als Denker und vor allem dichter.
Hailey zog zum letzten Mal an ihrer Zigarette, drückte den glühenden Stummel auf den Dachziegeln neben sich aus und warf ihn zu Boden. Sie stand auf und kletterte dann an der Regenrinne nach unten in ihren kleinen Vorgarten. Das Metall schnitt leicht in ihre blasse Haut. Wie oft war sie schon über diesem Weg aus dem Haus und wieder hineingekommen? Selbst als sie betrunken war.
Leichtfüßig landete sie mit den Füßen im weichen Gras. Es knirschte unter ihrer Sohle. Ein Geräusch, das an den verdorrten Rasen erinnerte. Hier in diesem Viertel sahen alle Gärten so aus. Es war eine der Gegenden, in die man nicht einfach gehen wollte. Hier lauerte Gefahren, sagten die reichen Stadtleute wussten das. Doch für Hailey war das Alltag, sie war bereits mit 13 nachts durch die Straßen gezogen, hatte Unruhe gestiftet und ihr Leben für irgendwelche Gangs aufgegeben. Aber so war das nunmal, wenn man in so einer Welt überleben wollte.

"Kayden, was willst du hier?", Hailey war auf den dunklen Wagen zu gegangen. Kayden starrte sie durch das offene Fenster an. Lässig eine Kippe zwischen den Lippen. Doch sie brannte nicht.
"Ich wollte dich abholen, wir haben uns seit einer Woche nicht mehr gesehen.", antwortete der Schwarzhaarige dämlich grinsend als hätte er den Grund, weshalb sie sich so lange nicht gesehen hatten, längst verdrängt oder vergessen.
"Aww hattest du etwa Sehnsucht nach mir? Ist ja süß.", die Brünette stützte sich mit den Ellenbogen in dem Rahmen ab, wo normalerweise das Fenster an der Fahrertür war. Ihr Ausschnitt war tief und er wurde mit jeder Bewegung tiefer. Doch Kayden achtete darauf gar nicht. Er war viel zu aufgedreht. Mal wieder. Wie immer in letzter Zeit. Eine vordere Strähne von Haileys Haaren war ein gutes Stück kurzer als die anderen. Sie fiel ihr wirr ins Gesicht. Es sah aus wie selbst abgeschnitten und das war es auch. Aus Frustration und Wut auf sich selbst, hatte sie zur Schere gegriffen und blindlings einfach die erst beste Strähne abgeschnitten.

"Hey ich muss dir was erzählen! Da ist etwas passiert-", meinte er enthusiastisch und zog die Zigarette aus seinem Mund, doch bevor er weiter sprechen konnte, legte die Cheerleaderin schon einen Finger auf seine Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen.
"Ganz langsam, kleiner.", warnend funkelte Hailey ihn an, "Wir sind immer noch im Streit schon vergessen?"
Sie zog ihre Hand zurück und striff dabei wie zufällig seine Lippen entlang.
"Streit? Ach ja, nein. Ich meine, ja ich weiß.", Kayden seufzte und fuhr sich durch das schwarze Haar.
"Das ist Krieg Kayden.", sie löste sich von dem Auto und trat einen Schritt zurück.
"Ich bitte dich, das ist doch Schnee von gestern.", er wank ab. Doch selbst, wenn er es bereits vergessen hatte, Hailey war nun mal Hailey. Und Hailey war stur.
"Du befindest dich gerade auf feindlichem Boden."
"Ach komm schon, Hailey. Sei nicht so."
"Ich habe Waffen und ich verteidige mich damit auch.", die 17-jährige schnalzte amüsiert mit der Zunge.
"Es tut mir Leid, Hailey."
"Willst du mal sehen?"
"Was hast du vor?"
Ohne ein weiteres Wort, drehte sie Kayden den Rücken zu und ging zur Garage. Nur um dann wenige Minuten später mit einem Baseballschläger in der linken Hand zurückzukommen.
"Oh okay, ich glaube dir.", beschwichtigend hob der Ältere die Hände.
"Gut so. Also dann wäre das ja geklärt, verpiss dich wieder.", Hailey legte sich den Baseballschläger über die Schulter. Ihre Silhouette wirkte bedrohlich in der Dämmerung.
"Bitte Hailey, wie oft soll ich mich noch entschuldigen?", Kayden klang frustriert, als wüsste er was er falsche gemacht hat. Doch er zeigte keine echte Reue.
"Was verschweigst du mir?", stellte Hailey die Gegenfrage und sah ihn mit hochgezogener Augenbraue herausfordernd an.
"Ich erzähle es dir...irgendwann okay?", sagte er und klemmte die Kippe wieder in seinen Mundwinkel.
"Bye, Kayden.", Hailey drehte sich am Absatz ihrer Boots um und stiefelte zurück zum Haus.
Kayden sprang sofort aus dem Wegen und folgte ihr.

𝕳𝖎𝖌𝖍𝖜𝖆𝖞 𝕿𝖔 𝕳𝖊𝖑𝖑Where stories live. Discover now