2 | Cess

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»Happy Birthday to you ... Happy Birthday to you ... Happy Birthday, lieber Cess ... Happy Birthday to you!«

Ich öffnete die Augen, aber nur, um den Wecker zu finden. Wer hatte ihn auf dieses fürchterliche Retro-Lied umgestellt? Das war garantiert Jacy gewesen.

Unter normalen Umständen war ich ein Morgenmensch, aber nun, wo der Holo-Wecker eine große 20 an die Decke projizierte und sich die Musik aus unerfindlichen Gründen weigerte, aufzuhören, hätte ich mir am liebsten die Decke über den Kopf gezogen und für immer weitergeschlafen.

Ironisch irgendwie.

Immerhin war heute der Tag, an dem ich unsterblich wurde.

Mit schwerfälligen Bewegungen quälte ich mich aus dem Bett und taumelte die Kunstholztreppe hinunter. Es war seltsam, hier aufzuwachen und nicht mehr im Heim, wo ich die letzten zwanzig Jahre verbracht hatte. Als wäre ich von einem Tag auf den anderen erwachsen geworden, und wahrscheinlich war das auch der Fall. Zumindest in den Augen der Gesellschaft.

Auf dem kleinen, runden Küchentisch lag das Paket, das gestern angekommen war. Cess Mallen, war in schwungvoller Schrift auf dem synthetischen Karton eingeprägt.

»Cess Mallen«, wiederholte ich, weil ich ohnehin alleine hier war und mich niemand hören würde. Den Nachnamen hatte ich zugeteilt bekommen und würde ihn ab heute offiziell tragen dürfen. Nicht, dass es irgendeine Rolle spielte; eine Familie durfte ich sowieso nicht gründen, dagegen gab es strikte Gesetze. Wenn Menschen unsterblich waren, machte es keinen Sinn, dass sie noch Kinder bekommen durften, im Gegenteil, es hätte zu Überbevölkerung geführt. Dementsprechend brauchten wir die Nachnamen nur, um in der Personendatenbank auffindbar zu sein.

Zögerlich riss ich den Karton auf. Den darin enthaltenen Beipackzettel legte ich beiseite. Ich wusste ohnehin, was darauf stand, immerhin hatten sie uns diese Vorschriften unser ganzes Leben lang eingetrichtert. Jeden Morgen eine Tablette, vor dem Frühstück. Sie zu kurz hintereinander zu nehmen konnte tödlich enden. Sie länger als zwei Tage nicht zu nehmen ebenfalls. Nach dem Einnehmen der ersten Tablette gab es kein Zurück mehr, denn der Körper gewöhnte sich an die darin enthaltenen Wirkstoffe, die die Zellteilung regulierten.

Meine Finger zitterten, während ich besagte erste Tablette aus der Verpackung drückte. Sie war klein, rund und blau, geradezu unscheinbar für etwas, das große Teile der Welt verändert hatte. Nicht nur für die Menschen, die sie nahmen, sondern auch für die, die darauf verzichten mussten – entweder wegen fehlenden Geldes oder aus freier Entscheidung. Letzteres hatte ich mehr als einmal in Betracht gezogen. Aber ich wollte nicht, dass meine unsterblichen Freunde mir beim Sterben zusehen mussten.

Dennoch fiel es mir nun schwer. Einige Minuten lang starrte ich die Tablette einfach nur an, während ich doch noch nach einem anderen Weg suchte, aber es gab keinen. Für niemanden von uns.

Mortal war Mortal.

Immortal war Immortal.

So war es seit Einführung des Systems immer gewesen.

Also ging ich in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen, bevor ich die Tablette auf meine Zunge legte und sie nach kurzem Zögern schluckte.

Nun war es zu spät für weitere Überlegungen. Ich war ein Immortal, nicht mehr nur auf dem Papier, sondern richtig. Ich würde nie alt werden. Ich würde nie sterben, zumindest nicht, solange ich weiterhin meine Tabletten schluckte und keine Verbrechen beging.

***

Wenig später verließ ich das Haus, um mit meiner Freundin Jacy im Café um die Ecke zu frühstücken. Die rothaarige Kunststudentin hatte andauernd frei und mich deswegen heute Morgen eingeladen, und auch wenn mir überhaupt nicht danach war, meinen Geburtstag zu feiern, hatte ich zugesagt.

Immortals - Solange wir leben [LESEPROBE]Where stories live. Discover now