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Ich befülle gerade die dritte Dose, als ich leise Stimmen vernehme und vorsichtig aufsehe. Ein junges Paar steht vor dem Schaufenster. Sie schirmen ihre Augen mit den Händen vor dem herabfallenden Schnee ab. Dennoch kann ich erkennen, wie sie sich weiten, als sie das Ausmaß der Verwüstung erkennen. Ich kenne die beiden vom Sehen, weiß, dass sie das ein oder andere Mal zu Gast waren, aber an ihre Namen erinnere ich mich nicht.

Als sie auf die Tür zusteuern, legt Brie die aufgesammelten Teelichter beiseite und tritt nach draußen. Sie fängt die beiden ab, noch bevor sie ins Innere gelangen können. Ich kann nicht hören, über was sie reden, sehe nur ihre besorgten und betroffenen Blicke, die mich immer wieder heimlich erfassen.

Ich fahre mir mit der Hand über das Gesicht und schließe die Dose, um mich der nächsten zu widmen. Gerade will ich die Zimtmuffins einpacken, als ich leises Knirschen höre. Zwar vermute ich, dass Brie wieder im Café ist, dennoch hebe ich den Blick an.

Ein junger Mann taumelt zwischen den verschobenen Stühlen langsam zu mir nach vorne. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet und eine tiefe Falte hat sich auf seine Stirn gelegt.

Ich halte in meinem Tun inne und beobachte den Unbekannten, der mich entweder noch nicht gesehen hat, oder zu beschäftigt mit dem Chaos zu seinen Füßen ist.

Dunkle Haarsträhnen stehen ihm wild vom Kopf ab. Sie sehen aus, als hätte er sie nach dem Schlafen nicht gekämmt oder als hätte die Nacht durchgemacht. Sein breiter Körper steckt in einem grauen Mantel, dessen Reißverschluss geöffnet ist und dadurch den Blick auf ein weißes Hemd freigibt. Bei genauerem Hinsehen fällt mir auf, dass es nur an manchen Stellen in seiner Hose steckt. Außerdem zieren dunkle Flecken vereinzelt den feinen Stoff, der ein Vermögen gekostet haben muss.

„Kann ich Ihnen helfen?“ Ich hebe eine Augenbraue und wundere mich gleichzeitig darüber, wie fest meine Stimme klingt. Meiner Empfindung nach ist sie weit entfernt von zittrigen Lauten, die nur zufällig über meine Lippen kommen.

„Ich hätte gerne einen Kaffee. Einen großen. Schwarz.“ Er zieht die Hände aus den Hosentaschen und hebt den Blick, als er die Unterarme auf der Vitrine platziert. Ich höre, wie sie ein verräterisches Knacken von sich gibt. Ich zucke zusammen in der Annahme, das Glas würde zusammenbrechen. Innerlich zähle ich die Sekunden, doch als nach zehn nichts geschehen ist, erlaube ich mir, wieder auszuatmen. Weitere Sekunden vergehen, in denen ich die Worte wiederhole, die er an mich gerichtet hat. Ich stoße ein heiseres Lachen aus.

Hellblaue Augen starren mich abwartend an. Für einen Moment bin ich gefangen in dem Ausdruck und den unterschiedlichen Schattierungen, die in seinen Augen zu erkennen sind. Ich kann in seiner Iris sowohl blaue, als auch graue Pigmente finden. Sie sind wunderschön und faszinierend zugleich.

Der Unbekannte erwidert meinen Blick eisern. Seine Lippen sind fahl und ihnen fehlt die gesunde Farbe. Die markanten Gesichtszüge wirken müde und eingefallen und ich werde den Gedanken nicht los, dass er die ganze Nacht durchgemacht hat.

„Meinen Kaffee, kann ich den nun bekommen?“ Er legt den Kopf auf den Unterarmen ab und starrt mich durch die dichten Wimpern an. Wimpern, für die jede Frau töten würde.

Langsam beginne ich, den Kopf zu schütteln. „Ich kann nicht glauben, dass Sie das fragen“, bringe ich ungläubig hervor. Welcher normale Mensch würde mich nach einem Kaffee fragen, wenn das Café in diesem Zustand war?

Zimtherzen ₂₀₂₁ | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt