Kapitel 38

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„Oh. Mein. Gott", hauchte Phoebe, als wir beim Hintereingang der O2-Arena abgesetzt wurden und sie sich versichert hatte, dass sie ihn Ruhe fangirlen konnte. „Das wird das beste Silvester meines Lebens, auch wenn der letzte verbleibende Single von One Direction nicht dabei ist. Ich meine, ich habe mit Liam Fucking Payne geredet und Barbara Palvin getroffen und meine Güte, sie ist so unglaublich hübsch!"

Grimmig starrte ich dem Unterwäschemodel Löcher in ihre ach so perfekte Rückenansicht. Dass Phoebe aussprach, was mich die ganze Zeit beschäftigte, machte die Sache nicht gerade besser. Ihr Aussehen war perfekt, ihr Lachen makellos und ihr Figur alles, was Mann begehrte. Selbst ihr Akzent war niedlich. Neben ihr sah ich aus wie eine in sich zusammengesackte Sahnetorte. Ich wollte wissen, was zum Teufel sie hier machte, aber gleichzeitig nicht wie eine kontrollsüchtige Schnäpfe rüberkommen. Hatte sie keine anderen Freunde, mit denen sie ins neue Jahr hineinfeiern konnte? Ihr ganzen Modelfreundinnen, zum Beispiel?

Schnell richtete ich meinen Blick auf den Boden, als ich bemerkte, dass Niall sich zu uns umsah. Hatte Miss Perfekt etwa einen langweiligen Charakter, oder wie? Kurz darauf erschienen Nialls Schuhe in meinem Blickfeld. Er war stehen geblieben, um auf uns zu warten.

„Und?", fragte er gut gelaunt, sich wieder in Bewegung setzend, um neben mir herlaufen zu können. „Schon aufgeregt, Gary Barlow live zu sehen?"

„Und wie", antwortete Phoebe euphorisch, während mein Nicken eher weniger überzeugend aussah. Ich war sowieso kein Gary Barlow Fan, noch mochte ich Take That besonders gerne. Mir hatte schon der Grund genügt, Silvester mit Niall zu verbringen, um zufriedengestellt zu sein. Außerdem würden wir danach noch auf irgendeine exklusive Party gehen und ein Zeitvertreib bis Mitternacht würde nicht besonders schlecht sein. Dass Barbara Palvin mir alleine mit ihrer Anwesenheit einen Strich durch die Rechnung machte, passte mir so gar nicht. Genauso wenig wusste ich, wie ich es finden sollte, dass Niall mir seinen Arm um die Schulter schlang und mich an sich heran zog. „Ist alles in Ordnung?", fragte er leise, nur für meine Ohren bestimmt.

Ich zwang mich zu einem Lächeln und hoffte mal wieder, dass meine Schauspielkünste überzeugten. „Klar."

„Ich glaub dir nicht." Niall verlangsamte seine Schritte ein wenig, sodass wir hinter die anderen fielen und auch Phoebe alleine zurück ließen. Durch seinen Arm auf meinen Schultern blieb mir auch nichts anderes über, als neben ihm zu bleiben. Ich wollte keine Szene vor ihm machen und ebenso wenig vor den Paparazzi, die den Hintereingang belagerten. Die Bodyguards, die unsere kleine Gruppe begleiteten waren zwar mit Taschenlampen ausgestattet, die die Fotos ruinieren sollten, doch sie konnten damit keinesfalls alle Kameras auf einmal abdecken.

„Ist es wegen Barbara?", hakte er nach.

War ich so leicht zu durchschauen?

„Nein."

„Ally." Er seufzte und nahm seinen Arm wieder von meinen Schulten. Ich konnte ihm ansehen, dass er mit mir reden wollte, aber den Ort mindestens so unpassend dafür fand, wie ich. Stattdessen griff er nach meiner Hand, als wollte er sicher gehen, dass ich ihm nicht einfach davon lief, bevor er auch nur die Chance hatte, irgendwas zu dem Thema zu sagen.

Nur noch wenige Meter trennten uns von den rettenden Türen der Arena, doch davor mussten wir uns dem Blitzlichtgewitter aussetzen. Ich versuchte, wenigstens ein kleines Bisschen glücklich auszusehen, damit morgen nicht allzu viele Schlagzeilen über mögliche Beziehungskrisen zwischen Niall und mir in den Nachrichten erschienen. Dass Barbara mit dabei war, löste sicherlich schon genug Diskussionen aus.

Stumm liefen wir an der Absperrung vorbei, die uns von den wissbegierigen Reportern trennte und verschwanden ins Innere. Weit kamen wir jedoch nicht, denn dort wurden wir von weiteren Bodyguards aufgehalten, die sich mit unseren auseinandersetzten, um sich zu versichern, dass wir Befugnis hatten, uns im Backstagebereich aufzuhalten. Eine Premiere für mich. In meinem ganzen Leben war ich erst auf zwei Konzerten gewesen und jetzt hatte ich die Chance, Backstage zu sein. Was vermutlich nicht das letzte Mal war, schon wegen Nialls und meiner PR-Beziehung, falls es dank Barbara nicht zwischen uns klappen sollte.

Mein Gott, ich benahm mich furchtbar, fast schon krankhaft. Hatte ich nicht letztens erst festgestellt, dass ich ihn vertraute, wenn er sagte, zwischen ihm und ihr würde nichts laufen? Wieso sollte er mich anlügen? Und selbst wenn, Barbara würde sicherlich nicht so beschwingt lachen, wenn sie wüsste, dass Niall irgendwie eine Affäre mit mir hätte. Aber andererseits - er könnte ihr gesagt haben, dass unsere Interaktionen ausschließlich für PR-Zwecke wären...

Gott verdammt, konnte ich mich nicht mal zusammenreißen?!

Ärgerlich auf mich selbst folgte ich den anderen weiter in den Backsagebereich hinein, versuchte, mich auf Nialls Hand zu konzentrieren und alle ungewünschten Gedanken beiseite zu schieben.

Es stellte sich heraus, dass wir nur durch den Backstagebereich gingen, um zu unseren Plätzen zu gelangen, ohne dabei in endlosen Schlangen mit endlosen Leuten zu warten, die die Wartezeit durch unsere Anwesenheit verdoppeln könnten. Kurz bevor wir durch eine letzte Tür verschwinden würden, hielt Niall mich zurück.

„Wir kommen gleich nach", klärte er die fragenden Gesichter auf. Verständnisvolles Nicken war die Antwort, bis auf Phoebe, die sich zwinkernd und augenbrauenwackelnd von uns entfernte. Überhaupt nicht peinlich. Ich unterdrückte ein Grummeln.

Dann fiel die schwere Eisentür hinter ihnen zu und ließ mich mit Niall in einem fast leeren, grauen Gang zurück. Die Aufregung kroch wieder in mir hoch.

„Okay", begann Niall und ließ meine Hand los, was ich sofort als schlechtes Zeichen deutete, doch ich zwang mich, den Mund zu halten, bevor irgendetwas heraus kam, was ich später bereuen könnte. Stattdessen sah ich ihn stumm an und wartete darauf, dass er fortfuhr.

Niall holte tief Luft und fuhr sich durch die Haare. „Ich dachte wirklich, das hier würde romantischer werden. Eigentlich hatte ich geplant, das hier während eines Feuerwerks um Mitternacht zu machen, aber du lässt dich anscheinend nicht anders davon überzeugen, dass Barbara nur eine gute Freundin ist, weil du die einzige für mich bist, Ally. Und ich will dir nicht den halben Abend mit schlechter Laune versauen, damit ich um Mitternacht möglicherweise gar nicht mehr die Chance hab, dich zu küssen."

Mit offenem Mund und rasendem Herzen starrte ich ihn an. Oh Gott. Was zum Henker sollte ich jetzt tun? Oder sagen? Oder-

„Also...", murmelte Niall und kam einen Schritt auf mich zu. „Du hast versprochen, nicht wegzurennen."

Ich war noch nicht mal dazu fähig, zu nicken, so sehr im Bann hielten seine blauen Augen mich. Eins war klar, ich würde so was von nicht weglaufen. Wie dumm wäre ich denn?

Mittlerweile war Niall mir so nahe, dass er ohne Umstände nach meiner Taille greifen konnte und mich die letzten Zentimeter zu sich heranzog. Ich hatte das Gefühl, er würde mein Herz selbst durch meinen dicken Mantel hindurch klopfen spüren. Vor allem, weil es das einzige war, was sich in meinem Körper noch zu bewegen schien.

„Du siehst aus, als würdest du jeden Moment tot umfallen", stellte Niall leise lachend fest und drückte meine Seite leicht.

„Wenn du mich nicht endlich küsst, tu ich das auch", murmelte ich geistesabwesend und erwischte mich dabei, wie meine Augen zu seinen Lippen wanderten.

„Da ist wohl jemand ziemlich ungeduldig" neckte er mich und so langsam wurde ich das wirklich. Meine Finger juckte es, ihn zu berühren, weshalb ich meine Hände ohne zu zögern seinen Oberkörper hinauf wandern ließ, bis ich an seinen Schultern abgekommen war. Für einen Moment überlegte ich, sie weiter zu seinem Nacken gleiten zu lassen, doch dann änderte ich meine Meinung.

Scheiß drauf, dass er derjenige war, der hier eigentlich den ersten Schritt machen wollte.

Scheiß auf Barbara Palvin und ihre dämlichen Dessous.

Scheiß auf die Leute, die andauernd an uns vorbei liefen.

Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, zog seinen Kopf zu mir hinunter und presste meine Lippen auf seine.

Mir egal, dass wir uns in einem tristen Gang befanden und über uns keine Feuerwerke explodierten, denn die in meinem Bauch waren schon mehr als genug im Gange. Niall war in diesem Augenblick sowieso das einzige, was ich wahrnahm und es wäre mir sogar scheiß egal gewesen, wenn eine Paparazzimeute auf und zugestürmt käme.

Alles, was momentan in meinem Kopf vor sich ging, war einzig und allein der Gedanke, wie verdammt gut Niall küssen konnte.

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