• EINS •

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Heute ist es genau ein Jahr her, dass wir uns das Ja-Wort gegeben haben.

Ich weiß nicht, was ich mir erhofft habe, als ich heute Mittag von Connecticut nach Washington D. C. aufgebrochen bin, um meinen Ehemann Eric an unserem Hochzeitstag zu überraschen...

Gut, das ist eine Lüge – ich hatte sogar eine sehr genaue Vorstellung davon, wie der Abend verlaufen sollte.

Erst würde ich den freudig überraschten Ausdruck auf seinem Gesicht genießen, mich von diesem Lächeln, welches ich so liebe, bestrahlen lassen und ihm dann in die Arme fallen. Wir würden den Zimmerservice voll ausschöpfen, nur unnötiges Zeug wie Kaviar und überteuerten Champagner aufs Zimmer kommen lassen und uns nach dem Essen bis zum Morgen in den Laken wälzen...

So viel zu meinen Erwartungen.

Mir war durchaus klar, dass einiges schiefgehen konnte. Zum Beispiel lag es im Bereich des Möglichen, dass ich ihn gerade bei einer wichtigen Video-Konferenz unterbrechen oder irgendwie anderweitig ungelegen kommen würde.

Überraschungsbesuche beinhalten für gewöhnlich nun einmal einen gewissen Risikofaktor. Doch trotz meiner Überlegungen passierte etwas, womit ich definitiv nicht gerechnet hatte.

Nachdem ich hibbelig vor Vorfreude klopfte, öffnete Eric mir mit nichts als einem Handtuch um die Hüften, was an und für sich erst einmal nichts heißen mochte. Doch an der Röte, die er auf Gesicht und Brust wie einen transparenten Schleier trug, erkannte ich, dass er unruhig war. Und sobald meine Augen seinen begegneten, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Ich wusste es einfach.

Erics Blick flackerte wie eine Flamme im Wind und er schluckte. Schließlich krächzte er: »Callah?!«

»Ah, ist das die Pizza? Gott sei Dank, ich bin schon am Verhung –«

Plötzlich tauchte Julie im Türrahmen auf, verstummte jedoch abrupt, als sie mich da stehen sah. Plötzlich verlegen zupfte sie an dem klaffenden Ausschnitt ihres Bademantels, der ihr lediglich bis zur Mitte der Oberschenkel reichte.

Mein Herz wusste, was hier vor sich ging, doch mein Kopf schien noch etwas Zeit zu brauchen, um zu begreifen.

»Was... machst du hier?«, stammelte ich deshalb. Keiner antwortete.

Ich schluckte und startete einen zweiten Versuch: »W-was ist hier los? Was soll das?« Doch wieder bekam ich keine Antwort.

›Du dumme Gans, er betrügt dich mit Julie!‹, zischte eine hämische Stimme in meinem Kopf, doch das wollte und konnte ich einfach nicht akzeptieren. Schließlich war es unser Hochzeitstag, verdammt!

Eric bedeutete Julie zu gehen, was sie nach einen zögerlichen Blick in meine Richtung schließlich tat. Wie betäubt starrte ich ihr hinterher, konnte den Blick nicht von ihrer wohlgeformten Figur nehmen, die selbst in dem viel zu großen Bademantel bestens zur Geltung kam. ›Ich habe nie mit ihr mithalten können‹, dachte ich in diesem Moment bitter.

Eric beugte sich vor und blickte einmal gestresst den Flur entlang. Da sich dort weit und breit keine Menschenseele aufzuhalten schien, trat er einen Schritt zu mir heraus und schloss die Tür hinter sich, nach wie vor lediglich ein Duschtuch um die Hüften.

Wenn ich an diesen Augenblick zurückdenke frage ich mich, wie ich so ruhig bleiben konnte. Vermutlich lag es daran, dass ich vom Schock einfach zu gelähmt war, als dass ich irgendetwas hätte sagen oder tun können. Die Ausmaße des Geschehenen wollten sich mir noch nicht recht begreiflich machen.

Eric faltete die Hände wie zum Gebet und bettete sein Kinn auf sie. Er sah aus, als würde er fieberhaft nachdenken.

Schließlich hob er den Blick, einen irres Funkeln in seinen Augen und ein verkrampftes Lächeln auf den Lippen. »Weißt du, das hast du missverstanden! Es ist nicht so, wie –« Müde hob ich meine Hand, um ihn zu unterbrechen. Leise entgegnete ich: »Spar dir den Atem. Schönes Leben noch.« Dann wandte ich mich ab und ging, einen wahrlich unspektakulären Abgang hinlegend.

Zuerst rief er mir noch hinterher, dass ich mich irren würde, dass alles ganz anders wäre, als es aussähe. Dann, als ich etwa die Mitte des Flures erreicht hatte, sagte er, dass es ihm leid täte. Ich ging weiter und blieb dabei, ihn eisern zu ignorieren. Irgendwann, ungefähr gegen Ende des Flures, änderte sich sein Ton: Plötzlich wurde er wütend und schrie mir hinterher, dass ich einen Fehler machen und es bitter bereuen würde, einfach so zu gehen.

Ich betrat den Aufzug und drehte mich um, damit ich ihn ein allerletztes Mal ansehen konnte. Wie er da im Gang stand, nichts als dieses bescheuerte Tuch um die Hüften, gab er in der Tat ein trauriges Bild ab. Die Türen des Aufzuges schlossen sich und das Letzte, was ich von meinem Ex-Mann in spe sah, war sein Mittelfinger.

Obwohl ich weiß, dass er derjenige war, der sich zum Affen gemacht hat, fühle ich mich gerade einfach nur scheiße. Ich sitze in einem Flughafen-Cafe, einen Fünf-Dollar-Latte-Macchiato vor mir stehend, und weiß einfach nicht weiter. Müsste ich nicht weinen? Wieso breche ich nicht zusammen?

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es in etwa eine Stunde her sein muss, dass ich das Hotel verlassen habe. Das Boarding für den Flug zurück nach Connecticut beginnt in Kürze. Ich will nur noch weg von hier.

Als mein Flug aufgerufen wird, erhebe ich mich resigniert. Der Gang zum Terminal fühlt sich an, wie ein Gang der Schande, ein Eingeständnis meiner Niederlage. Ich habe versagt. Ich war nicht gut genug für Eric, um bei mir zu bleiben. Aber Julie ist es offensichtlich.

Als ich mich auf meinem Sitzplatz am Fenster sinken lasse, stoße ich einen tiefen Seufzer aus. Irgendwie fühle ich mich merkwürdig dabei, als hätte ich meinem Körper befohlen, ein Zeichen von Trauer zu geben. Ich sollte hier nicht mit steinerner und gefasster Miene sitzen, die Frisur ordentlich und das Make-up makellos. Ich sollte schreien, weinen und die Einzelteile meines Herzens vom abgenutzten Teppichboden unter mir aufsammeln. Doch nichts davon tue ich. Nicht einmal dieser Seufzer vorhin wollte mir so recht gelingen.

Ich lehne meine Schläfe an die Wand und starre mach draußen. Dass ich mir dabei vermutlich die Bakterien von Fremden einfange, die irgendwann vor mir hier saßen und den Kopf ebenfalls dort angelehnt hatten, ist mir in diesem Moment egal.

Träge beobachte ich das Flughafenpersonal dabei, wie es die Koffer der Passagiere in den Frachtraum lädt. Irgendwann spüre ich, wie mir die Augenlider immer schwerer werden und sinke in einen erschöpften, traumlosen Schlaf...

•••

»Hey, Sie!«

Blinzelnd richte ich mich auf, meine Sicht noch immer verschleiert. Nachdem ich mir über die Augen gerieben habe, sehe ich klarer. Das Flugzeug ist bis auf ein paar Stewardessen komplett leer. Ich sehe eine Bewegung aus dem Augenwinkel und drehe mich erschrocken zur Seite. Stimmt, da war ja noch was.

»Lady, Sie haben den ganzen Flug verpennt und sich einfach nicht wecken lassen!«, murrt der junge Mann neben mir genervt und fährt sich durch die goldenen Locken. Wenn ich gerade nicht so neben der Spur wäre, fiele mir vermutlich auf, dass er verdammt gut aussieht. Doch jetzt registriere ich diese Tatsache lediglich, wie ich zum Beispiel auch registriere, dass es draußen zu regnen begonnen hat, so, wie man einfache Tatsachen eben registriert.

Vermutlich könnte Jesus Christus höchstpersönlich vor mir stehen und ich würde ihn lediglich registrieren.

»Ähm, Danke, dass Sie mich geweckt haben. Auf Wiedersehen«, murmle ich und schiebe mich an ihm vorbei, ohne ihn anzuschauen.

Wie auf Autopilot steige ich aus dem Flugzeug aus, hole meinen alten Koffer mit der kaputten Rolle und will schon routiniert zum Taxistand gehen...

... Nur ist da keiner. Verwirrt bleibe ich stehen. Wieso ist da kein Taxistand?! Da war doch immer ein –

Moment. Das hier ist nicht der Flughafen in Hartford, Connecticut. Das hier ist –

»NEW YORK CITY, BABY!«

NachtluftOnde as histórias ganham vida. Descobre agora