Winterkind

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Winterkind

Ein frost'ger Abend, eis'ger Wind.

Viel düst'rer, als die sonst'gen sind.

Aus tief verschneitem Bauernhaus

traut sich kein Menschenseel' mehr raus.


Drinnen sitzt an hölz'ner Wiege

lieb Mutter, die ihr Händlein schmiege

an ihrer Tochter Bleichgesicht.

Wacht sie noch? Man weiß es nicht.


So wähnt sich bei des Feuers Schimmer

der Winterfürst bereits im Zimmer.

Ach seht, wie Mutters Tränendamm bricht,

sie bitterlich flehend zu ihm spricht:


„Oh, Winterfürst, ich will dich hassen!

Sag, warum muss ich dir sie schon lassen?

Gerad' noch sog sie Milch aus meiner Brust.

Jetzt soll ich betrauern ihr'n Verlust?

Trotz Krankheit stand bevor ihr Leben.

Sie hätt der Welt so viel gegeben!

Sag mir, warum willst du sie schon nehmen?"


„Lieb Weib', selbstredend spürst du Schmerz, Verlust,

im Herz unter dein' Kindsaftbrust.

Denn dort, wo gerad' noch Leben war,

ist jetzt Kälte, Leere, nichts mehr da.

Doch sag einmal, ganz unter uns beiden:

Warum denn sollte sie bloß leiden?

Klar, ihr hättet sie geliebt. Na und?

Das hätt sie nicht gemacht gesund!

Mit dieser Krankheit Bleigewicht

Ein qualverstörtes Leben? Besser nicht!

Nein, dass sie schon ziehen darf ins Licht,

entscheidet hier nur einer: Ich!"

Und macht auf seiner List' ein Strich!


So ward Tage drauf aus dem Altfachwerkhaus

Eine kleine Holzkist' getragen hinaus.

Mit einem Kreuz drauf eingebrannt,

ward' sie verscharrt in Schnee und Sand.

Dort, wo heut noch ragt hervor ein Stein,

auf dem kunstvoll steht graviert hinein:

Hier ruht es, wie wir all' mal sind,

In ew'gem Schlaf: Uns' Winterkind.


© 2021 Johannis Röhrs

Die lieblichst wärmsten aller WaffenWhere stories live. Discover now