skinbone

10 2 2
                                    

[Dieses Kapitel beinhaltet möglicherweise Themen, die für einige Leser verstörend oder gefährlich sind.]

Draußen schneit es Mehl. Schwer legt es sich auf Dächer und Straßen und erdrückt diese mit seinem dichten Gewicht. Alles scheint so langsam und trübe, ein wenig so als ob jemand die Zeit beeinflusst hätte. Mein Blick schweift zu der hellblauen Uhr an meiner Wand.
Sie tickt regelmäßig: " Tick, tack, tick, tack ..." und keine einzige Sekunde wird ausgelassen.

Niemand vermag der Zeit Einhalt zu gebieten, weder Gott noch sonst wer und am allerwenigsten ich.
Schnell wende ich mein Augenmerk wieder zum Fenster; nicht ohne dabei den in die Höhe gezogenen Spiegel in der Mitte des Raumes zu bemerken.

Irgendetwas an ihm verstört mich; die Blankheit seines Aufenthaltortes, die Kühle die er verströmt oder vielleicht auch die Tatsache, dass ich überhaupt einen Spiegle besitze.
Jedes Mal wenn ich mich in mein Bett verkrieche, muss ich mich ansehen. Es ist ein cleverer Trick meinerseits.

Bereits mit zittrigen Händen richte ich mich aus den Massen an Stofflaken, die sich in meinem - für mich riesigen Bett - befinden, ziehe mein viel zu weites T-Shirt hoch und wage es mich im Spiegel zu betrachten.

Ein bedrückendes Gefühl macht sich in meinem Brustkorb breit und dabei schneit es drinnen nicht mal. Habe ich etwa wieder zu genommen? Schluckend schweifen meine Augen über die flache Brust, die hervorstehenden Rippen, die schmale Taille und Hüften. Definitiv!

Ich kneife meine Augen etwas zusammen, um die sich neuanbahnenden Fettpolster knapp oberhalb meiner kantigen Hüften genauer zu inspizieren. Möglicherweise sollte ich wohl besser den Apfel, der mir täglich als Frühstück dient, halbieren.

Verzweifelt kratze ich mit meinen Nägeln über meine neulich rasierte Kopfhaut.
Am liebsten würde ich sie abkratzen. Schichte um Schichte. Bis nur noch die Knochen übrig bleiben. Dann würde diese ständige Unzufriedenheit und Pein endlich ein Ende nehmen.

Dieses Ding das in meinem Fleisch haust würde verschwinden, denn es nährt sich an meinem Hunger. Jeden Tag wächst es und trommelt gegen die Innenwände meines Schädels.
Von außen allerdings fühlt er sich bloß stoppelig und knochig an.

Vielleicht sollte ich den Apfel einfach ganz weglassen.
Zufrieden über meine kurzfristige Lösung lasse ich den fadenscheinigen Stoff meines Oberteils wieder los.

Noch ein letztes Mal fahre ich über meine Seiten, zähle nach ob nicht einige von ihnen unter den Massen an Fett verschwunden sind.
Erleichtert atme ich auf, als ich alle abgezählt habe. 12 auf jeder Seit. Manchmal kommt das Gefühl in mir hoch, dass meine Rippen sich aus den Schichten an Haut schälen, bis sie aus mir herausbrechen und so Flügel auf meinem Rücken bilden.

Wie schön es doch wäre diesem mehlbestäubten Haus zu entfliehen. Dann müsste ich erst gar nicht gesiebt werden.
Ich würde sowieso nicht dadurch passen. Dafür bin ich zu massig, zu fett. Und wenn doch wäre ich eine scheußliche Zutate, ich würde ganz fade und traurig schmecken. Niemand möchte einen Kuchen essen, der traurig schmeckt.

" Avan! Essen ist fertig!"
Mutters Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und das Wort Essen lässt mich aufs Neue erzittern.
Auch wenn mir übel wird, schwinge meine Beine über die Bettkante und lasse sie dort für einige Sekunden liegen, um zu kontrollieren, dass sich meine Oberschenkel nicht berühren.

Hastig werfe ich mir noch einen großen Sweater über, um mich für meine Familie ganz zu bedecken.

Meine Mutter würde sich nur wieder über die blauen Flecken aufregen und meine Schwester Mei würde wieder anfangen zu weinen.
Die letzten beiden Male hat sie es getan.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 09, 2021 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

like u loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt