Day 2.1

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Ich saß seit einer Stunde wach im Bett und las, als Ezra sich endlich regte und müde zu mir empor lächelte. „Morgen."

„Hey... was sind jetzt eigentlich die Klischees einer Männerbeziehung?"

Er blinzelte, seine Lippen zogen sich verräterisch in die Höhe. „Irgendwann heute werde ich es dir vielleicht erklären."

Irgendwann und vielleicht. Diese Worte standen so im Widerspruch zueinander, dass es mir schwerfiel, das zu glauben. „Aber-"

„Wehe du schmollst jetzt, dann sag ichs dir gar nicht", drohte Ezra. Er zog mich an sich heran. „Können wir noch kuscheln?"

„Tun wir doch", erwiderte er. „Außerdem musst du nicht fragen."

Ich nickte und drehte mich zu ihm herum. Er schaute mich an. Da bemerkte ich den Schatten hinter seinen smaragdgrünen Augen.

Innerlich musste ich grinsen. Wie im ersten gemeinsamen Lockdown war es der zweite Tag, an dem Ezra etwas bedrückte. Ich streckte meine Hand aus und strich über seine Wange. „Du weißt, dass du mit mir reden kannst?"

„Klar, du redest ja auch mit mir", entgegnete er auf der Stelle. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Es ist nichts dramatisches und hat nichts mit dir zu tun. Zwischen uns ist alles so wie gestern."

Das hieß es hatte sich nichts geändert. Gar nichts.

Ich musterte Ezra. Manchmal wünschte ich mir, dass ich mit ihm rausgehen könnte oder joggen. Die Situation im Haus war auf Dauer unangenehm. Ich wollte gar nicht wissen, wie sich die Leute fühlten, die alleine lebten. Die letzten Tage im ersten Lockdown, in denen ich alleine hier saß, hatte ich mich zu Tode gelangweilt.

Ich fühlte mich besser, wenn Baloo bei mir war oder Ezra. Immerhin verlernte ich, dadurch nicht Dialoge zu führen. Ich war ohnehin einer der Männer, die nicht gerne alleine waren, aber ich genoss die Stille. Ezra war da die perfekte Gesellschaft. Meine Zeit für mich war mir wichtig, ebenso wie die Zeit mit Ezra.

Ich rutschte näher an ihn und schlang meine Arme um seinen Oberkörper.

„Hattest du nach mir einen Freund?"

„Was? Nein. Ezra wie kommst du darauf?"

„Wann hast du gelernt dich so breit im Bett zu machen?", fragte er frei heraus. Das Thema hatte er so plötzlich angesprochen, dass ich im ersten Moment nicht wusste, was ich antworten sollte.

„Baloo macht sich immer so breit. Und ich hab einfach gelernt, das komplette Bett auszunutzen."

Amüsiert rutschte Ezra von mir und grinste. Es war das schiefe Grinsen, welches mich auch nach den Monaten noch um den Verstand brachte.

„Ich würde sagen, dass ich mich fertig mache und dann Frühstück mache. Oh... C, dass wollte ich dir gestern schon sagen: Mein Badezimmer ist größer und bei weitem geeigneter für wilde Nächte und ein wenig Spaß."

Mein Mund klappte auf, während ich ihn geschockt anstarrte. Eigentlich war es zwischen uns angespannt, daher haute mich seine Offenheit um, obwohl ich die Art eigentlich von ihm kannte und lieben gelernt hatte.

„Ich hab nicht gesagt, dass ich Spaß haben wollte... Gar nichts."

„Weiß ich. Jetzt geh mit Baloo raus. Er steht glaub ich schon vor der Tür."

Mir wurde erst im Nachhinein klar, dass ich Ezra gerade einen Korb verpasst hatte. Aber die Tatsache, dass er locker reagierte, zeigte mir, dass es ein Witz war. Ein blöder Witz.

Aber es war Ezra, er versuchte wahrscheinlich bloß von sich abzulenken oder mich aufzumuntern. „Guck nicht so, geh!" Ezra legte seine Hand in meinen Rücken und führte mich bestimmend zur Wohnungstür. Baloo lag davor und blickte mit erwartungsvollen Augen zu mir auf.

„Darf ich mich wenigstens noch anziehen, so friere ich mir den Arsch ab und kehre als Eisklotz zurück."

„Zieh dich an und mach hin. Sonst lohnt sich das Frühstücken nicht mehr. Es ist schon zehn Uhr."

Ich erwiderte nichts darauf. Schweigend kehrte ich in mein Schlafzimmer zurück und schlüpfte in die Klamotten von gestern, die ich achtlos auf den Sitzsack gepfeffert hatte. Ich schlüpfte in meine Turnschuhe, da es am schnellsten ging. Ezras skeptischen Blick ignorierte ich. Es war nur eine Sekunde, dann änderte sich sein Blick. Er hatte sich verändert. Seine grünen Augen musterten mich und es wirkte, als wollte er etwas sagen.

„Bitte denk dran, dass wir reden wollten."

„Ez... das vergesse ich nicht, und falls doch, kannst du mich ja daran erinnern." Ich meinte es genauso, wie ich es sagte. Er schien mir nicht zu glauben. Um seine Laune ein wenig zu heben, zog ich ihn flüchtig in meine Arme, ehe ich mit Baloo durch die Wohnungstür ging.

„Weicheier?", rief er mir hinterher und ich lachte auf. Es war einer unserer Insider aus dem ersten Lockdown. „Ja, bitte", rief ich lachend zurück. Dann war ich draußen. Meine Laune hatte sich deutlich verbessert und meine Lippen waren mit Sicherheit noch immer zu einem Lächeln verzogen. Ich bezweifelte, dass es so schnell verschwinden konnte.

Mit Baloo ging ich den üblichen Weg. Er kannte den Weg inzwischen auswendig. Auf einmal blieb er stehen. Skeptisch betrachtete ich ihn. „Was ist los? Hast du Schmerzen?", fragte ich besorgt. Auszuschließen war das nicht. Baloo wurde letztes Jahr von einem Hund gebissen und seitdem hatte er es manchmal, dass er plötzlich humpelte oder stehen blieb. Sicherlich war das eine Nachwirkung oder das Phänomen, was viele Patienten einer OP hatten, dass man sich die Schmerzen einbildete. Als er aufgeregt mit seinen Pfoten auf den Asphalt trommelte, wusste ich, dass es das nicht sein konnte. Ich folgte seinem Blick und dann erkannte ich, was er hatte. Am anderen Ende der Straße kam der grau, weiße Labrador. Wie er diese Färbung erreicht hatte, wusste ich bis heute nicht. Ich wusste nur, dass ein Labrador mit einem Husky gekreuzt wurde. Somit hatte dieser Hund den Körperbau eines Labradors und die Färbung eines Siberian Huskys. Zuvor in meinem Leben hatte ich so was noch nie gesehen.

„Sorry Baloo... aber wir haben Corona und zuhause sitzt Ezra mit Asthma, da können wir das nicht tun. Du kannst heute leider nicht mit Dobby spielen", erklärte ich, tätschelte seinen Kopf und ging weiter. Baloo war zum Glück recht unproblematisch und folgte mir immer, auch wenn ich ein Spielen verbot.

Bereitwillig folgte er mir auch diesmal und freute sich, als ich ihn auf dem Feld freiließ. Er tollte über die Stoppeln des abgeernteten Mais und jagte ein paar Vögel. Zwischendurch schnupperte er an der Randböschung und drehte sich immer wieder zu mir um.

Ich freute mich, dass Ezra zu Hause auf mich wartete und ich mit Baloo raus gehen konnte. Trotzdem war die Gesamt Situation seltsam und warf viele Fragen auf.

Warum stand ich mitten in der Nacht vor seiner Tür?

Warum zeigte sich Ezra so geduldig und empathisch?

Warum brauchte er ein Buch für die Nacht? Schlief er schlecht? Und warum war er kein bisschen wütend auf mich?

~~~

Nach einer Stunde schloss ich meine Wohnung auf und ließ Baloo hinein. Nachdem ich ihm die Leine abgemacht hatte, tapste er direkt in die Küche. Als ich kurz darauf die Küche betrat, saß er vor seinem Fressnapf und blickte enttäuscht dort hinein. Sein Blick wirkte unendlich traurig, als würde er nie etwas zu fressen bekommen.

Ich lachte auf. „Du bist unglaublich! Brauchst jetzt auch gar nicht unschuldig tun und Ezra niedlich anschauen, dass zieht nicht."

Er legte seinen Kopf schief und blinzelte zu mir hinauf. Ich bückte mich. Eine Hand auf meiner Schulter stoppte mich. „Ich mach schon. Du kannst dich umziehen und einen Kaffee trinken."

„Bist du sicher?"

„Jaha. Cole ich bin auf einem Reiterhof aufgewachsen. Da hatten wir Hunde und Katzen."

Ich nickte. Er hatte recht. Schweigend verzog ich mich ins Schlafzimmer und tauschte meine Jeans gegen eine Jogginghose.

Nachdem ich wieder in der Küche auftauchte, war Baloo eifrig am Fressen. 

Everything hopeless [Everything 2]Where stories live. Discover now