𝗰𝗵𝗮𝗽𝘁𝗲𝗿 𝘁𝘄𝗼 • 𝗺𝗮𝗹𝗶𝗮

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M A L I A

Warum kann ich nicht einfach lächeln?

Die Sommerferien sind vorbei und ich sitze vor meinem Spiegel, die Augen noch gerötet von letzter Nacht. Große dunkle Schatten erstrecken sich unter ihnen, die selbst der Concealer, den ich versehentlich in der falschen Farbe gekauft habe, nicht verstecken kann. Dabei verspricht er eine hundertprozentige Deckkraft, die wenigstens für meine lästigen Sommersprossen ausreichen soll. Ich seufze und hoffe, dass meine Augenringe nicht allzu sehr auffallen werden. Hin und wieder zu wenig Schlaf zu bekommen, ist schließlich normal. Auch, wenn es bei mir nie bei einer schlaflosen Nacht bleibt.

Bevor ich aufstehe, übe ich im Spiegel authentisch zu lächeln, obwohl es sich falsch anfühlt. Aber was ist besser? Den Menschen zu offenbaren wie schwach man ist und damit Angriffsflächen schaffen, oder alles zu verstecken? Bei diesem Gedanken beginnt mein Kopf zu schmerzen und mir wird wieder einmal bewusst, wie Falsch ich wirklich bin. Wieso kann ich nicht einfach normal sein?

Zuletzt krame ich meine ordentlich sortierten Schulsachen zusammen und stopfe sie in meine Schultasche, die kaum genug Platz für alle meine Unterlagen aufweist. Die Verlockung, einfach welche Zuhause zulassen, ist groß. Aber lieber riskiere ich Rückenschmerzen, als schon am ersten Tag negativ aufzufallen.

»Malia, du solltest langsam los«, ruft meine Mutter von unten. Ihr Echo hallt immer wieder von den Wänden des leeren Hauses.

Ich antworte ihr nicht und trotte die steile Holztreppe hinunter. Als ich unten ankomme, schleiche ich an der Küche vorbei, damit meine Mutter mein Outfit nicht bemängeln kann.

Ich höre ein Räuspern hinter mir, das mir einen Strich durch die Rechnung macht. Meine Mutter steht hinter mir und beäugt mich kritisch.

»Malia Ann Romero«, sagt sie streng. »So wirst du nicht in die Schule gehen.«

Sie kommt näher und zupft an meinem übergroßen beigen T-Shirt. Daraufhin rümpft sie die Nase.

»Wieso ziehst du ständig diese«, sie überlegt, um ein passendes Wort zu finden. »..Lappen an?« Ihr Blick trieft vor Enttäuschung.

»Du hast mal gesagt, dass ich selbst in einer Mülltüte gut aussehen würde.«

Sie ignoriert meine Aussage und sagt: »Du vernachlässigst dich, Malia. Was ist mit den neuen Oberteilen die wir gekauft haben? Die haben deine schöne Figur so gut betont.«

»Ich fühle mich wohler in diesen..«, ich deute an mir herunter. »..Lappen.«

»Na schön. Aber in diesem Haus gelten nun mal meine Regeln, also geh in dein Zimmer und zieh dich um.«, schimpft sie. Es wird nichts bringen meiner Mutter zu widersprechen, also stapfe ich widerwillig die Treppe hinauf in mein Zimmer.

Mein Kleiderschrank ist wie immer ordentlich sortiert und ich wühle mich durch die bunten Tops. Sie sind alle schön, aber bedecken nicht das, was sie bedecken sollen.

Verzweifelt suche ich nach einen Oberteil, welches nicht bauchfrei ist. Als ich endlich eines finde, ist es schon ziemlich spät.

Es ist schön, bunt, farbenfroh, so wie es zu mir passt. Zumindest passte. Ich vermisse mein altes ich.

Meine Mutter klopft zaghaft an der Tür. Auf mein »Ja«, kommt sie herein.

»Du weißt, dass ich es nicht böse meinte«, sagt sie entschuldigend und hält mich an beiden Schultern fest. Sie sieht mir direkt in die Augen und hebt mein Kinn mit ihrer Hand, damit ich auch in ihre schaue. Ihre blassblauen Augen glitzern von der dünnen Tränenschicht darüber.

»Ich weiß«, murmele ich. »Ich weiß.«

»Ich will nur nicht, dass du dich gehen lässt. Seit dem Vorfall verfällst du in alte Muster. Als Mutter ist es meine Aufgabe, dich zu beschützen.«

Ich nicke nochmal und wiederhole:
»Ich weiß.«
Sie will mir nur helfen, aber dafür ist es zu spät. Die einzige Person die mir helfen kann, ist nicht mehr hier.

»Komm, ich fahre dich zur Schule«, sagt meine Mutter mit einem Blick auf die Uhr und umarmt mich plötzlich. Am liebsten will ich mich ihr entreißen, aber ich bringe es nicht übers Herz. Es geht nicht immer nur um mich.

Nachdem sie mich zur Schule gefahren hat, verabschiedet sie sich von mir:
»Pass auf dich auf, Malia.« Danach braust sie davon.

Es sind noch zehn Minuten bis zum Unterricht und ich beschließe, schonmal reinzugehen und die anfänglichen Qualen über mich ergehen zu lassen.

Sobald ich das Schulgebäude betrete, sind alle Blicke auf mich gerichtet. Nicht wegen meiner Augenringe, sondern weil ich als ziemlich beliebt gelte. Das liegt nicht daran, das ich besonders cool bin, das bin ich nicht. Es liegt daran, dass ich mit den »coolen« abhänge.

Ruby stürmt auf mich zu. Ihre blonden Haare muss sie wohl in den Ferien geschnitten haben, denn sie sind jetzt deutlich kürzer als sonst.

»Schön, dich wiederzusehen«, sagt sie und lächelt. Ich erwidere es, obwohl ich weiß, dass sie mich nicht vermisst hat, geschweige denn einmal einen Gedanken an mich verschwendet.

»Du hast in den Sommerferien ganz schön was verpasst. Leider warst du ja bei deiner Tante in Kalifornien, aber ich bin mir sicher, du hättest auch hier viel Spaß gehabt. Apropos Spaß- zeigst du mir Bilder von deinem Urlaub?«, plappert sie aufgeregt.

Ich nicke langsam. Der Urlaub bei meiner Tante, die nicht existierte, hat natürlich nicht stattgefunden. Ich war die ganze Zeit hier, aber das weiß Ruby nicht. Niemand tut das.

»Es gibt übrigens wieder ein neues Gerücht über dich. Das ist so lächerlich«, redet Ruby weiter. Manchmal weiß ich nicht, wie ich sie einschätzen soll. Entweder sie hatte das Gerücht in die Welt gesetzt, oder jemand anderes. Es soll mir egal sein, aber ich frage trotzdem nach.

»Und welches?«

»Das ist doch egal. Ich weiß das es nicht stimmt. Sonst wärst du schließlich nicht meine Freundin.«

Ich hebe eine Augenbraue und muss meine aufsteigenden Tränen zurückhalten. Ruby blickt mich unglaubwürdig an.

»Du willst es doch jetzt nicht wirklich wissen? Seit wann interessiert dich, was die anderen über dich denken?« Schon immer, aber das ist wieder eine Sache, die ich verstecke und von der sie nichts weiß. Sie ist alles, was ich vorgebe zu sein.

»Okayyy, ich sag's dir«, stöhnt Ruby genervt.
»Es wird mal wieder gesagt, dass du so einen psychischen Rückfall hattest oder so. Man, das es so witzig, wenn man daran denkt, wie falsch sie damit liegen.« Ja, Ruby weiß gar nichts über mich.

Die Tränen, die ich gerade noch versuchte zurückzuhalten, sind jetzt immer näher dran auszubrechen.

Ohne ein Wort zu Ruby, drehe ich mich um und stürme Richtung Mädchenklo.

»Ja, Malia! Zeig ihnen, dass sie es noch bereuen werden«, feuert Ruby mich an, weil sie denkt, dass ich jemand Schuldigen für das Gerücht suche, um ihn fertig zumachen. Dabei suche ich einfach nur einen ruhigen Ort, um meinen Gedanken zu sortieren.

Die Tür des Mädchenklos lässt sich nicht einmal richtig öffnen, durch die ganzen Mädchen, die sich noch schnell vor den dreckigen Spiegeln versuchen zu schminken.

Bevor mich jemand erkennt, drehe ich schnell um und renne ins Jungsklo, wo nie jemand vorzufinden ist.

Und schon bevor ich überprüfen kann, dass ich alleine bin, brechen die Tränen aus mir heraus.

Die Schmerzen, die ich in mir eingesperrt habe, kommen mit voller Wucht zurück und fressen sich durch mein Herz.

Ich kann das nicht mehr. Vorgeben, jemand zu sein, der ich nicht bin.

𝐃𝐄𝐄𝐏𝐄𝐒𝐓 𝐒𝐎𝐔𝐋𝐒Kde žijí příběhy. Začni objevovat