𝗰𝗵𝗮𝗽𝘁𝗲𝗿 𝘁𝗵𝗿𝗲𝗲 • 𝗴𝗿𝗮𝘆𝘀𝗼𝗻

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G R A Y S O N

Nichts ahnend biege ich an meinem ersten Schultag noch vor der ersten Stunde in das Jungsklo ein, um dem lauten Gebrülle aus dem Schulflur zu entgehen.

Ich bin gerade einmal 5 Minuten hier und schon nervt mich alles und jeder und dafür kann ich absolut nichts.

Denn schon als ich vorhin die große Eingangstür aufstieß, fielen mir die komischsten Menschen, die ich je sah, ins Auge.

Die einen hatten bunten Haaren, andere trugen Klamotten, die schon seit Jahren out waren. Beispielsweise Schlaghosen. Wenn die jetzt wieder im Trend sind, muss ich wohl was verpasst haben.

Und alles ist so farbenfroh, zum kotzen.

Ich bin definitiv an einer Schule für Hippies gelandet. Und Gott bewahre, dass ich jemals einer von denen werde.

Ich laufe also zu meinem eigenen Schutz ins Jungsklo und zuerst setzt mein Herz kurz einen Schlag aus, weil ich denke versehentlich ins Mädchenklo gelaufen zu sein. Die Pissors lassen mich dann aber erleichtert aufatmen.

Am Spiegel steht ein großes schlankes Mädchen mit feuerroten Haaren und buntem Top. Ihr Gesicht kann ich nicht erkennen, da sie es mit beiden Händen bedeckt hält.

Sie hat sich wohl ins falsche Klo verirrt, oder muss einen guten Grund haben, hier zusein. Vielleicht hatte sie gerade ein Rondevouz in einer der Kabinen. Aber noch vor der ersten Stunde?

Als die Rothaarige meine Anwesenheit bemerken zu scheint, dreht sie sich langsam zu mir um. Ihre grünen Augen sind angeschwollen und Tränen unterlaufen. Aber selbst mit verheulten Gesicht sieht sie wunderschön aus.

Also wohl doch kein Rondevouz.

Aus meiner Überforderung heraus starre ich sie einfach nur an, weil ich nicht weiß was ich tun soll. Normalerweise würde ich sie einfach ignorieren, aber sie hat irgendetwas an sich, das sie interessant macht.

Bevor ich etwas sagen kann, rennt sie in eine der Klokabienen und schließt sie von innen ab.

Ich überprüfe kurz, dass wir alleine im Raum sind und sage dann: »Du weißt aber schon, dass das hier das Jungsklo ist, oder?«

»Die Mädchenklos sind zu überfüllt«, kommt es von der anderen Seite. Daraufhin folgt ein Schluchzen. Weinende Mädchen überfordern mich, stelle ich fest.

»Wieso?«

»Weil Mädchen nunmal nie alleine auf Klo gehen. Und außerdem blutet ihr Jungs ja auch nicht aus euerem Genital.«

»Ähm..«, sage ich. Da hat sie natürlich recht. Aus meiner alten Schule weiß ich ebenfalls, dass Mädchen mindestens zu zweit auf Klo gehen, um sich ungestört zu unterhalten. Oder was auch immer die dort machen. Vielleicht will ich es gar nicht wissen.

»Ich wollte eigentlich wissen, wieso du weinst«, korrigiere ich mich.

Sie antwortet nicht, stattdessen wird ihr Geschluchze lauter und unkontrollierter.

»Alles okay?«, frage ich und lehne mich mit meinem Arm an die Kabienentür. Als mir das Mädchen wieder nicht antwortet, versuche ich es weiter: »Brauchst du vielleicht eine Umarmung oder so?«

Was auch immer da in mich gefahren ist, macht mir Angst. So nett kenne ich mich gar nicht.

»Okay, vergiss was ich gesagt habe«, sage ich dann, um meinen Ruf nicht schon am ersten Tag zu beschmutzen. »Aber erzählen was los ist, kannst du mir trotzdem.«

»Nach der Aktion gerade bestimmt nicht« Sie spuckt mir die Worte förmlich entgegen. Okay, anscheinend mache ich mal wieder alles falsch.

»Tut mir leid«, entschuldige ich mich, weil ich es auch so meine. Sie kennt mich nicht, ich kenne sie nicht und trotzdem bin ich direkt so wie früher. Aber ich habe meinem Dad versprochen, mich zu bessern. Vielleicht ist jetzt der perfekte Zeitpunkt um damit anzufangen.

»Das Angebot mit der Umarmung steht noch«, sage ich deshalb und verschränke die Arme vor der Brust. Nach ein paar Sekunden öffnet sich die Kabinentür und ich erhasche einen Blick auf das verweinteste Gesicht, das ich je gesehen habe.

Und bevor sie etwas sagen kann, schließe ich meine Arme um sie, ziehe sie fest an mich. Sie weint weiter und durchnässt mit ihren Tränen mein T-Shirt. Ich spüre, wie ihr Herz hektisch gegen meine Brust schlägt.

Nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hat, sage ich: »Das behältst du aber für dich.«

»So interessant, dass ich es jemandem erzählen würde, war es nun nicht«, nuschelt sie mit heiserer Stimme gegen meine Brust.

»Ich tue mal so, als hätte ich das nicht gehört«, antworte ich etwas gekränkt. Sie nickt und löst sich von mir. Danach geht sie zu den Spiegeln und überprüft ihr Aussehen. Ein wenig Mascara zieht sich verschmiert unter ihrem Augen bis hin zur Wange.

Sie könnte sich wenigstens mal für meine Nettigkeit bedanken.

»Na toll..«, murmelt sie mehr zu sich selbst, als zu mir, während sie sich betrachtet. Dann seufzt sie. »Kannst du bitte aufhören mich anzustarren?«, sagt sie und wirft mir über den Spiegel einen Blick zu.

Ich reiße mich aus meiner Trance und antworte: »Bild dir bloß nichts drauf ein.«
Das ich sie anstarrte, habe ich gar nicht mitbekommen. Wenn denn, habe sie nur ein bisschen beobachtet.

Außerdem ist das doch mehr ein Kompliment, weil ich nicht mehr aufhören kann über ihre Schönheit zu staunen.

»Bist du neu?«, will das Mädchen wissen und dreht sich zu mir um. Sie stützt sich mit ihren Händen hinten am Waschbecken ab.

»Fällt das irgendwie auf?«

»Na ja, an deinem Kleidungsstil könnte man es vermuten. Du passt hier nicht richtig rein.«, stellt sie fest und schmunzelt.

Ich kann nicht anders, als zu grinsen.
»Das deute ich dann eher als positiv.«

»Wie du willst. Übrigens sind Lederjacken schon lange out.« Okay, sie hat anscheinend keinen Geschmack. Ihr Blick ist kritisch auf die Jacke, die über meine Schulter hängt, gerichtet.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Das gleiche habe ich von Schlaghosen auch gedacht«, verteidige ich mich.

»Arizona steht nun mal auf richtige Fashion und nicht so ein >Möchtegern Bad Boy< Aussehen.«

»Du findest, ich sehe aus wie ein Bad Boy?«

»Möchtegern Bad Boy«, korrigiert sie.

»Vielleicht bin ich einer.«

»Och bitte, dann hättest du einer weinenden Lady wie mir dein Mitleid nicht geschenkt«, bemerkt sie theatralisch und lacht.

Und auch wenn sie alles hinter einem Lächeln versteckt, weiß ich, dass ihr immer noch zum Weinen zumute ist. Sie kann es nur sehr gut verstecken.

»Jeder Bad Boy hat seine schwachen Momente«, behaupte ich.

Dann ertönt die laute Klingel und unterbricht unser Gespräch. Mit einem letzten Lächeln wendet sich das Mädchen zu mir. »Danke übrigens.« Und schon war sie verschwunden.

Mir fällt auf, dass ich nicht einmal ihren Namen weiß.

Wann habe ich das letzte mal eine Konversation geführt, die nicht in einer Schlägerei endete? Ich kann mich nicht erinnern.

𝐃𝐄𝐄𝐏𝐄𝐒𝐓 𝐒𝐎𝐔𝐋𝐒Where stories live. Discover now