SIEBENUNDZWANZIG - ICH

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Das Gefühl ist stärker als die Logik, das Herz stärker als der Verstand.

Ich starre die Worte an. Sie überraschen mich. Mensch, das hört sich nach einem bahnbrechenden Spruch à la Pinterest an.

Um mich selbst zu motivieren, gehe ich gerne auf Pinterest und lasse mich da inspirieren. Um ehrlich zu sein, ich bin total süchtig nach dieser App. Ich finde immer Bilder, Tricks und Tipps, die mich motivieren und mir neuen Schwung geben. Egal ob es um gesunde Rezepte geht oder um die Inspiration für Einrichtungen.

Ja, ich gebe es zu, meine Wohnung gleicht einer Sammlung von Pinterest Beiträgen.

Besonders stolz bin ich auf die Wohnzimmereinrichtung, daran merkt man, wie viele Gedanken ich mir gemacht habe. Allein die Möbel aus Holz sehen richtig edel aus, obwohl sie nicht teuer waren.

Besonders mag ich mein kleines Pflanzenparadies. Meine Mutter würde mich damit aufziehen, dass ich immer neue Pflanzen kaufe, obwohl ich gar keinen grünen Daumen habe und bei mir die meisten Pflanzen schnell sterben. Mein Vater hingegen hätte mich ermutigt, es immer wieder aufs Neue zu versuchen und mir so lange neue Pflanzen zu kaufen, bis endlich eine überlebt.

Das fördert meine Ausdauer und mein Durchhaltevermögen, meinte mein Dad immer.

Sehr gerne nutze ich Pinterest aber auch für mein neues Buch, an dem ich gerade arbeite. Ich suche nach Bildern, die mich an eine gewisse Szene erinnern, oder nach zusätzlichen Charaktereigenschaften und auch sehr gerne mach Zitaten.

Mittlerweile habe ich so viele Boards, die ich durchstöbere und immer wieder in meinem Notizbuch notiere.

Ich tippe weiter. Die Tastatur wird bald heiss getippt sein. Meine Gedanken schweifen ab.

So manche haben mich gefragt, woher ich eigentlich die Inspiration für meine Bücher nehme. Meistens gebe ich zur Antwort: «Eine Mischung aus Pinterest und Songtitel.»

Was vor wenigen Monaten tatsächlich noch der Wahrheit entsprach. Schätzungsweise könnte ich die ganze Welt erobern, wenn ich meine Playliste höre. Gedanklich, versteht sich.

Das flaue Gefühl im Magen, das man daraufhin verspürt, wenn dieser eine besondere Song aus den Lautsprechern dröhnt, bereitet mir auf dem ganzen Körper Gänsehaut.

Doch genau jetzt habe ich keinen blassen Schimmer, was meine Inspirationsquelle sein mag. Zurzeit beschäftige ich mich hauptsächlich damit, nicht zusammenhängende Sätze zu sammeln, die mir fast tagtäglich durch den Kopf gehen und diese in mein Notizbuch aufzuschreiben.

Meine Karriere hängt am blauen Strich eines Kugelschreibers fest. Zu meinem Bedauern gehen mir auch hier die Sätze aus. Es flaut ab und ich weiss nicht weiter. Wortwörtlich sitze ich in der Scheisse fest. Bislang habe ich mich nicht getraut, dass ich höchstwahrscheinlich an meiner ersten akuten Schreibblockade leide.

Letztens habe ich mich darüber im Internet erkundigt und wollte wissen, wie ich wieder „gesund" werden kann.

Doch Doktor Google verwies mich auf unzählige Seminare, die mich anscheinend auf den Weg der Selbstfindung bringen sollen. Selbstfindung? Sollte das ein schlechter Scherz sein? Nun ja, ich habe tatsächlich gestutzt... Es belastet mich wirklich. Sehr sogar. Ganz ehrlich, mein Leben in New York steht auf dem Spiel, sofern ich nicht bald ein Heilmittel dagegen finde.

Mir wird etwas übel, wenn ich daran denke, dass ich noch nichts gegessen habe.

Ich gehe in die Küche, giesse Milch in eine Schüssel mit Cornflakes. Seit ich ein Kind bin, mag ich Cornflakes. Besonders die zuckerhaltige Sorte, diejenige mit der unscheinbaren, mit Schokolade überzogene Cornflakes führte förmlich ein Geschmacksdrama auf meiner Zunge auf.

Im Stehen vor der Küchentheke schiebe ich einen überhäuften Löffel Cornflakes in meinen Mund. Ich kaue ein paar Mal darauf herum und schlucke sie dann herunter.

Zum Kochen kann ich mich nie aufraffen. Ich liebe gutes Essen, aber die Zubereitung nervt mich. Ich könnte mich vermutlich nur von Cornflakes ernähren, wenn ich nicht hier leben würde.

Das Gute an New York ist, dass es an jeder Ecke Restaurants, Takeaways und Supermärkte gibt.

Ich räume das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und lass sie gleich laufen.

Es ist ... keine Ahnung, wie spät, und ich bin hundemüde. Der heutige Tag hat mich psychisch ziemlich geschlaucht.

Eilig, doch gründlich, erledige ich meine Abendtoilette und lege mich ins Bett.

Wie jeden Abend ziehe ich mir den Kopfhörer über und spiele meine Spotify- Playliste ab.

Mein Herz macht einen kurzen Sprung. Dieser kurze Glücksmoment verflüchtigt sich allerdings genauso spontan, wie er gekommen ist, als ich Ryan Tedder beginnt zu singen.

Die Lieder von OneRepublic beruhigen den Sturm meiner Seele, verjagen die Nebel des Trübsinns und dämpfen zuweilen den regellosen Tumult in der Tobsucht mit dem besten Erfolg.

Doch dieses Mal ist etwas anders...

Ich atme tief ein und dann wieder aus. Allmählich sind meine Gedanken still geworden. Sie lassen mich kurz ruhen. Entspannen. Meine Augenlider werden mit der Zeit schwerer. Die Musik spielt weiter.

BEFORE YOU SAY GOODBYE | 🇩🇪Where stories live. Discover now