21. Kapitel

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Immer noch überrascht darüber, dass Liv doch noch gekommen ist, lehne ich mich gegen den Tisch. Liv klammert sich weiter schluchzend an meinen Körper und ich halte sie einfach nur fest im Arm.

Ich spüre, dass sie diese Nähe gerade braucht. Und ich hoffe, dass es ihr hilft, mir nachdem sie sich beruhigt hat, endlich die Wahrheit über sich und Jason Burne zu erzählen.

Denn bisher habe ich nur eine Vermutung in meinem Kopf und einen kleinen Hinweis von Claire, den ich von Liv bestätigt haben möchte. Ihr Zusammenbruch hier direkt vor mir, ist für mich aber insgeheim schon eine Bestätigung dafür, dass meine Vermutung der Wahrheit entspricht.

Liv verschweigt etwas und bringt mein Leben damit weiterhin in Gefahr. 

Die Ungeduld nagt an meinen Nerven, die bis zum Zerreißen gespannt sind. So gerne, wie ich Liv auch im Arm halte und versuche zu beruhigen, so stark muss ich von ihr die Antworten bekommen. Denn meine Zeit läuft ab, wir verschwenden gerade kostbare Minuten, die mich der Wahrheit näherbringen könnten. Mit jeder verstreichenden Sekunde nähere ich mich weiter dem Tod. 

Nach einigen Minuten merke ich, wie sich Livs Körper langsam entspannt. Ich nutze diesen Moment und drücke sie auf einen Stuhl herunter. Sie schnappt hektisch nach Luft und wischt sich mit dem Ärmel ihrer Jacke die Tränen aus dem Gesicht. 

Mit gemischten Gefühlen setze ich mich ihr gegenüber auf den freien Stuhl. Sie blickt mich aus ihren roten, dicken Augen traurig an und in mir zerreißt etwas. 

Ich habe immer alles dafür gegeben, dass es ihr gut geht. Sie ist meine Tochter und seit ihrer Geburt mein Ein und Alles gewesen, genauso wie mein Sohn. Für meine Kinder habe ich immer alles gegeben, ich habe hart gearbeitet, um ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen. Dabei habe ich leider außer Acht gelassen, dass ich nicht immer viel Zeit mit ihnen verbringen konnte. Ich war manchmal monatelang mehr auf der Arbeit als zuhause bei ihnen. Damals ist es mir nicht bewusst gewesen, aber jetzt bereue ich es.

Durch die Arbeit habe ich viel verpasst, was ich nun nie wieder aufholen kann. Ich schwöre mir, dass wenn ich dieses Gefängnis wie durch ein Wunder noch einmal lebend verlassen, ich solch einen Fehler nie wieder begehen würde. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass diese Möglichkeit eintritt, ist so gering, dass ich darüber eigentlich gar nicht nachdenken muss. 

Seufzend sehe ich zu Liv und hadere mit mir selbst. Ich muss ihr diese Fragen stellen, um mein Leben zu retten. Ich habe keine andere Wahl, aber es fühlt sich grausam an.

Langsam öffne ich meinen Mund, aber es kommt kein Ton über meine Lippen. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Mit welcher Frage verschrecke ich sie nicht sofort? 

»Liv ich...« Mit  kratzender Stimme setze ich an und unterbreche mich, um mich zu räuspern. Dann schließe ich kurz meine Augen und sammle mich innerlich. Als ich meine Augen erneut öffne, blicke ich sie geradewegs an. »Was genau tut dir leid?« 

Liv verliert noch ein wenig mehr an Gesichtsfarbe. Aber entgegen meiner Erwartungen, streicht sie sich ihre Haare aus der Stirn und atmet tief durch, um mir tatsächlich zu antworten. 

»Mum hatte Recht. Ich kannte Jason.« Während sie erzählt, starrt sie die Tischplatte vor sich an. Ich traue mich nicht, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen oder einen zu lauten Atemzug zu nehmen, so gespannt bin ich auf ihre Aussage. Ich möchte sie nicht ablenken, deswegen sitze ich so stumm wie möglich vor ihr und hänge dabei an ihren Lippen. 

»An diesem Abend...hatten wir ein Date«, beginnt sie dann zu erzählen. Ich kann ihr ansehen, wie schwer es ihr fällt, darüber zu reden. Aber mein Mitleid hält sich gerade in Grenzen, wenn ich an das Gefühl des stolpernden Herzens in meiner Brust zurückdenke, während ich starb. 

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now