25. Kapitel

142 44 26
                                    

Fassungslos starre ich Luke an. 

Ich kann es nicht glauben, dass er tatsächlich in dieser Gasse war. Er war am Tatort gewesen, vor mir und hat dort garantiert Jason getroffen. Und er hat nichts davon meiner Anwältin gesagt, um mich, seinen großen Bruder, zu entlasten und vor dem sichereren Tod zu retten. Das ist einfach nur unglaublich. Und es tut verdammt weh. 

Ich spüre einen ziehenden Schmerz in meiner Brust, als hätte er mir mit diesem kleinen Geständnis eigenhändig ein Messer ins Herz gerammt. Dort dreht er es genüsslich herum und genießt es, mich leiden zu sehen. Anders kann ich mir nicht erklären, wieso er nie etwas gesagt hat. Stattdessen ist er zu meiner Hinrichtung gekommen und hat als Zuschauer gesehen, wie ich mein Leben für ihn gegeben habe. Mir wird eiskalt. 

»Du warst dort gewesen?« Ich hake nochmal nach, nur um ganz sicher zu gehen, dass es sich nicht um ein Missverständnis handelt. Ich liebe ihn, er gehört zu meiner Familie. Und er treibt mich in mein eigenes Grab als Dankeschön. Das kann doch nicht sein, da fehlt noch eine wichtige Information. Irgendwas, dass diese schreckliche Tat erklären würde. Aber mir fällt keine Erklärung dafür ein.

»Ja war ich.« Er antwortet und stößt das Messer dabei noch tiefer in meinen Körper hinein. Hasserfüllt kneife ich meine Augen zusammen und starre ihn an. Luke sitzt fast schon gelassen auf seinem Stuhl und mustert mich. Nur seine blasse Gesichtsfarbe verrät, dass er innerlich nicht so ruhig ist, wie er nach außen vorgibt zu sein. Ich hingegen spüre, wie mir die Röte ins Gesicht schießt, so sehr pulsiert das Blut in meinen Adern. 

»Hattest du Jason gesehen?« Meine Stimme klingt blechern und seltsam fremd in meinen eigenen Ohren, aber das ist mir egal. Ich will nur die Wahrheit hören, keine verdammten Lügen mehr. Davon habe ich inzwischen genug gehört und weiß, wohin es führen wird, wenn ich nicht endlich die lang ersehnten Antworten erhalte.

Meine Zeit tickt ab. Mit jeder weiteren Sekunde, die verstreicht, nähere ich mich erneut der tödlichen Injektion. Wie durch ein Wunder bin ich nochmal aufgewacht und habe die Chance bekommen, diesen beschissenen Tag meiner Hinrichtung erneut zu durchleben. Mein Geist ist noch am Leben, aber mein Körper zeigt mir, dass ich eigentlich schon tot wäre. So langsam kommen die stechenden Kopfschmerzen wieder, aber ich versuche sie nach hinten zu drängen.

Sie halten mich in dieser Situation nur auf und ich spüre, dass es nun auf jede einzelne Sekunde ankommt. Jede weitere Antwort von Luke kann mir das Leben retten, oder aber erneut nehmen. Ich darf jetzt nicht wieder zusammenbrechen. 

Falls Sadies Diagnose mit der Dehydrierung stimmt, nehme ich einen großen Schluck meines Wassers. Kalt läuft es meine Kehle herunter, während ich Luke nicht aus den Augen lasse. Unter meinem eiskalten Blick wird er langsam immer kleiner und presst unwohl seine Lippen zusammen. 

»Ich habe ihn gesehen«, antwortet er schließlich so leise, dass ich es fast nicht gehört hätte. Meine Finger verkrampfen sich um das Glas. Ich kann einfach nicht glauben, was ich da höre. 

»Und du hattest rein zufällig eine Eisenstange in der Hand?« Ich schnaube und knalle das Glas zurück auf die Tischplatte. Luke zuckt zusammen und senkt beschämt seinen Blick herunter. Das ist mir Antwort genug.

Wütend springe ich auf und will auf ihn zustürzen, um ihm eigenhändig den Hals umzudrehen. Ich spüre schon, wie sich meine Finger darumlegen und langsam zudrücken und weiß, dass ich dieses Gefühl genieße. Wenn ich ihn umbringe, werde ich wenigstens gerechtfertigt für einen Mord umgebracht. Und nicht für etwas, dass er getan und mir in die Schuhe geschoben hat. 

Aber anstatt zu ihm zu gelangen, schießt ein starker, ziehender Schmerz durch meine Schläfe, hervorgerufen durch die plötzliche Bewegung. Erschrocken kneife ich meine Augen zusammen und halte mich an der Tischplatte fest, um nicht umzukippen. Warum wirken die verflixten Schmerzmittel denn ausgerechnet jetzt nicht mehr?

Sentenced - The last dayWhere stories live. Discover now