Kapitel siebzehn

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Isabel schlief schlecht in dieser Nacht.

Ständig schreckte sie schweißgebadet und atemlos aus irgendwelchen Alpträumen auf, an die sie sich bereits Sekunden später nicht mehr erinnern konnte.

Um fünf Uhr morgens hielt sie es im Bett nicht mehr aus. Sie stand auf und schlüpfte in ihre Jeans.

„Komm!", flüsterte sie Troll zu, der ihr verschlafen und mit hängenden Ohren in den taufeuchten Morgen folgte.

Hausarrest hin oder her. Der Hund brauchte Auslauf.

Die kühle Morgenluft umfing sie wie ein feuchtes Handtuch, was sie als ausgesprochen angenehm empfand, nach den schweißtreibenden Alpträumen und zum ersten Mal seit sie das Summen am Festjern gehört hatte, konnte sie wieder durchatmen. Sie warf einen Blick über den Fjord. Eine leichte Brise kräuselte die Wasseroberfläche und lies die Boote, die festgetäut im Hafen lagen, träge hin und her schaukeln.

Sie leinte Troll nicht an. So früh am Morgen würde ihnen keine Menschenseele begegnen. Gedankenverloren folgte sie dem Setter, der mit der Schnauze am Boden begeistert einer Fährte nachging. Viel zu spät bemerkte sie, dass sie den bekannten Weg verlassen hatten.

»Wo hast du uns da hingeführt?«, fragte sie, als der Weg sich gabelte und Troll unschlüssig mal nach links, mal nach rechts schnüffelte. Isabel spürte, wie sich die feinen Härchen in ihrem Nacken langsam aufrichteten und ihre Haut zu prickeln begann. Sie nahm die Leine, die sie sich wie eine Kette um den Hals gelegt hatte und ging in die Knie. »Troll. Komm hier!«

Sofort war der Setter bei ihr.

Sie hakte den Karabiner ein. »Am besten, wir gehen denselben Weg wieder zurück«, sagte sie leise. »Vielleicht führt uns deine Nase nach Hause.« Sie hoffte es jedenfalls. Das Gefühl, beobachtet zu werden, ließ sie nicht los. Wie konnte sie auch nur so bescheuert sein, dachte sie wütend, obwohl sie die Antwort kannte. Sie machten kehrt, bis sie erneut an eine Weggabelung kamen, in deren Mitte ein auffälliges Wegkreuz stand, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. »Oh Troll«, stöhnte sie. Angst umklammerte mit eiserner Faust ihre Eingeweide. »Hier sind wir vorhin nicht vorbeigekommen.« Sie drehte sich um ihre eigene Achse. »Wo sind wir, verdammt nochmal.« In den Büschen knackte es. Ihre Stimme sank zu einem ängstlichen Wispern. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, hatte ihr Vater früher immer gesagt, wenn sie etwas Dummes angestellt hatte. Hoffentlich lag er falsch. Sie versuchte, sich an etwas Bekanntes zu erinnern. Einen Baum, einen Felsen, irgendetwas. Nichts.

Es knackte wieder. Und wieder. Ganz laut und ganz in ihrer Nähe. Isabel fuhr herum und starrte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Etwas bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch das Dickicht und die unregelmäßigen Schritte, die unaufhaltsam auf sie zukamen, verrieten, dass jemand einen schweren Gegenstand trug. Warum war derjenige nicht auf dem Weg geblieben? Noch während Isabel über diese Frage nachdachte, hielten die Schritte plötzlich inne.

Die Stille um sie herum war jetzt vollkommen. Als hielten selbst die Bäume die Luft an und lauschten.

Isabel schloss die Augen, und versuchte nachzudenken. Welchen Weg? Kristian! Oh bitte, bitte. Hilf mir!

Die Schritte bewegten sich wieder. Isabel kauerte sich zwischen zwei Bäumen in das Gebüsch und wartete.

Troll baute sich mit gefletschten Zähnen vor ihr auf, sein Nackenfell hoch aufgerichtet, sodass er größer wirkte, als er war. Kein Knurren kam aus seiner Kehle. Als wollte er ihre Anwesenheit nicht verraten. Dass sie in Todesgefahr war, spürte sie, noch ehe sie sah, mit wem sie es zu tun hatte. Wer immer es war, der sich um diese Zeit durch die Büsche schlug, hatte etwas zu verbergen.

Das Knacken kam näher und näher. Gebannt starrte Isabel auf das Gebüsch auf der anderen Seite des Weges.

Dann trat er auf den Weg hinaus.

Isabel presste mit aller Kraft die Hände auf ihren Mund, um nicht zu schreien, als sie erkannte, was für eine Last der Unbekannte mit sich trug. Sein Gesicht war nicht zu erkennen. Es war verdeckt von dem leblosen Körper eines jungen Mädchens, dessen lange, blonde Haare sich in den Zweigen und Dornen der Beerensträucher verfangen hatten. Als er ganz aus seiner Deckung trat, blieben Strähnen davon daran hängen - wie Lametta in den Ästen eines Weihnachtsbaums.

Das ist nicht gut, dachte Isabel verzweifelt. Das ist gar nicht gut!

Als hätte er ihre Gedanken gehört, richtete der Mann sich auf und drehte sich um. Er blickte jetzt genau auf die Stelle, an der Isabel sich versteckt hatte. Ein Lächeln umspielte seinen Mund.

„Du machst es mir einfach, Isabel. Sehr einfach!" Obwohl sich seine Lippen nicht bewegt hatten, drangen seine Worte laut und deutlich an ihr Ohr. Wie hat er das gemacht?

Doch sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn er hatte in einer einzigen, geschmeidigen Bewegung, das tote Mädchen zu Boden fallen lassen.

Im selben Augenblick stürmte Isabel los. Sie rannte so schnell, dass ihre Füße kaum den weichen Waldboden berührten. Ihre Kehle brannte vor Anstrengung und der Geschmack von Eisen breitete sich in ihrem Mund aus. Doch so schnell sie auch lief, ihr Verfolger ließ sich nicht abschütteln. Unnachgiebig kam er näher. Trolls heiseres Bellen ging in ein klägliches Winseln über. Auch er hatte Angst.

Dann hatte er sie eingeholt. Seine Finger legten sich wie Fesseln um ihr Handgelenk und bereiteten so ihrer Flucht ein Ende. Sie stürzte und spürte einen stechenden Schmerz in ihrem Kopf. Dann hörte sie jemanden Schreien. Es klang, wie ein verletztes Tier.

»Nein!«

Kristian!

Über ihre Augen legte sich ein Schleier aus Blut. Mit einem Stöhnen rollte sie sich auf den Bauch und stütze sich ab. Das konnte nicht sein. Sie musste träumen. Sie hob ihren Kopf. Alles drehte sich. Doch es war zweifellos Kristian, der sich mit einem erneuten Aufschrei auf ihren Angreifer stürzte. 

»Rühr sie nicht an!« 

Benommen starrte Isabel auf Kristians Mund. Auch seine Lippen hatten sich nicht bewegt. Ein irrationales Lachen drang aus ihrer Kehle. Das ist doch alles total verrückt! In ihren Ohren tobte ein Sturm. Immer wieder verschwammen die Bilder vor ihren Augen. Sie würgte, versuchte verzweifelt, bei Bewusstsein zu bleiben. Doch sie konnte es nicht verhindern, dass sie immer wieder in den Tiefen eines schwarzen Nichts versank.

»Das war das letzte Mal, dass du mich gestört hast, Crawler.« Die Stimme des anderen klang bedrohlich. Wütend. Als hätte er eine Niederlage erlebt, die er nicht akzeptieren würde.

Dann hörte sie Kristians Stimme. Klar und stark in ihrem Kopf. »Darauf würde ich nicht wetten!« Seine Worte klangen wie eine Versprechen. Isabel zwang sich, die Augen zu öffnen.

»Du hast ja keine Ahnung, mit wem du dich da angelegt hast, Crawler.« Der Fremde warf seinen Kopf zurück und lachte aus voller Kehle. er bückte sich hob seine furchtbare Fracht auf und warf sie wie einen Sack über seine Schulter.  Dann wurde er ernst. »Es gibt keinen Weg, sie zu retten."

Fast glaubte Isabel eine Spur von Traurigkeit in der Stimme des anderen zu hören.

"Hörst du Crawler! Keinen!« Er lies ein freudloses Lachen ertönen. „Du kannst nicht immer auf sie aufpassen, Wanderer!"

Eine Sekunde später war er im Dickicht verschwunden.

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⏰ Cập nhật Lần cuối: May 05, 2021 ⏰

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