Kapitel 2

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Audrey PoV
Ich zog sich die Kapuze etwas tiefer ins Gesicht und lief die verregnete Straße entlang, vorbei an alten, geschlossenen Geschäften. Aus Versehen trat ich in eine matschige Pfütze und beschmutzte dadurch noch mehr meine weißen Chucks.
Ich schnaubte schlecht gelaunt – es war ein komplett bescheuerter Tag gewesen. Alles begann damit, dass meine beste Freundin Hanna bei dem Wetter krank geworden war und ich ohne ihren seelischen Beistand im Französischtest wieder eine Fünf bekommen hatte. Noch dazu wurde ich heute schon wieder auf den Schulfluren dumm angemacht, wobei mir heute sämtliche Nerven fehlten, irgendetwas zu erwiedern und so ließ ich den Hass wie einen Wasserfall auf mich niederprasseln. Ich war nicht gerade beliebt an meiner Schule, so hatte ich nur Hanna, niemanden sonst. Sie war mir wie ein Fels in der Brandung, aber selbst diese Stütze entfiel heute.
Schlechter konnte der Tag echt nicht werden. Ich wollte nur schnell nach Hause, um mich wenigstens etwas entspannen zu können. Endlich erreichte ich das Kinderheim, in dem ich seit dem Tod meiner Mutter lebte. Ich hatte sie unglaublich lieb gehabt und wir unser Verhältnis zueinander war ausgezeichnet gewesen – ganz, wie man sich eine liebende Mutter eben vorstellt.
Nur manchmal hatte die Arbeit sie zu sehr eingenommen und ich war tagelang allein bei Freunden untergekommen. Wieso weiß ich bis heute nicht. Ich war damals gerade mal sechs, als sie starb. Erst konnte ich ihren Tod gar nicht realisieren, ich wusste ja nicht wirklich, was das bedeutete. Als es mir dann jedoch klar wurde, machte es mich unglaublich traurig, ohne Hilfe hätte ich ihre ewige Abwesenheit einfach nicht verkraften können.
Irgendwann steckte mich das Jugendamt dann ins Kinderheim, was für mich eine Erleichterung nach ständig wechselnden Pflegefamilien war. Dort wuchs ich unter Gleichgesinnten auf – mit einer grundlegenden Trauer am Herzen, schließlich hatte ich niemanden mehr. Naja, später lernte ich dann Hanna kennen, die wieder Licht in meine düstere Welt brachte.
Mein Vater war schon vor meiner Geburt verschwunden, also vermisste ich ihn im Allgemeinen auch nicht, aber manchmal, in Momenten wie diesem, wünschte ich mir dann schon einen Vater, jemand, der einen in den Armen hielt, einen tröstete, wenn man mal wieder Mist gebaut hatte, jemand, der einen vor den Grauen dieser Welt beschützte und einen liebte. Doch so jemanden hatte ich nicht, nein, ich musste mich selbst beschützen.
Ich riss die Tür zum Kinderheim auf, warme Luft strömte mir entgegen. Sofort stapfte ich in mein Zimmer hoch, welches zum Glück ein Einzelzimmer war. Ich warf meinen Rucksack achtlos in die Ecke, legte mich aufs Bett und schloss die Augen. Endlich Ruhe. Nach einem so anstrengenden Tag wollte ich nichts lieber, als mich einfach hinzulegen und mich auszuruhen.
Langsam driftete ich in eine andere Welt ab, mein Lande der Träume, wo ich von mehr Leuten, als nur meiner besten Freundin und vereinzelten Pädagogen geliebt wurde. Dieser Ort war wunderschön. Er zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen, schenkte mir mehr Selbstvertrauen und ließ mich entspannen.
Als ich meine wieder Augen aufschlug, stellte ich fest, dass ich eingeschlafen war und das wohl ziemlich lange, denn es war breits früher Abend. Schließlich war ich um kurz nach zwei Uhr erst nach Hause gekommen.

Plötzlich schreckte ich hoch, als jemand meinen Namen rief, die Aufseherin. Sie meinte, dass ich Besuch hätte. Doch eigentlich kannte ich niemanden, der mich besuchen kommen könnte – abgesehen Hanna natürlich. So hoffte ich, dass sie es war und eilte voller Freude nach unten. Vielleicht war sie ja inzwischen wieder gesund geworden?
Jedoch sah ich nicht Hanna, als ich unten bei der Rezeption ankam, sondern einen Mann und eine Frau. Der Mann hatte kurze, blonde Haare, himmelblaue Augen und war sehr muskulös. Erst wusste ich nicht, wer er war, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Klar, das war Steve Rogers, Captain America, den kannte jeder! Doch warum kam er mich besuchen? Die Frau neben ihm kannte ich auch; es war niemand anderes als Natsha Romanoff, aka Black Widow. Sie beide waren Mitglieder der Avengers.
Aber was machten die beiden bei mir? Hatte ich etwas verbock, von dem ich nicht wusste? Oder waren sie vielleicht hinter mein Geheimnis, hinter mich, gekommen? Nein, das war so ziemlich unmöglich. Der Gedanke war so absurd, dass ich ihn gleich verdrängte.
Die beiden unterhielten sich angeregt mit meiner Aufseherin, während sich das schwere Gefühl von Unsicherheit in mir ausbreitete. Als sie mich entdeckten, hörten sie auf zu reden und lächelten mich an.
„Hi, du musst Audrey sein", sagte Mr. Rogers.
„Ja, die bin ich", antwortete ich ihm.
„Schön, dich kennen zu lernen, wir haben soeben viel von dir gehört", fuhr er fort und deutete unf meine Aufseherin, „Ich bin Steve und das ist Natasha", erklärte er freudestrahlend und schüttelte meine Hand. Die schwarze Witwe tat es ihm gleich, wobei ihre Augen liebevoll strahlte.
„Du weißt wahrscheinlich noch nicht, warum wir hier sind-", begann Natsha.
„Ähm, nein, sollte ich?", fragte ich. Steve holte tief Luft, wobei er aussah wie ein kleiner Junge an Weihnachten, der gerade vor einem riesiegen Berg an Geschenken stand. „Also, wir sind hier, um dich kennen zu lernen, Audrey", meinte er mit einem nervösen Unterton.
„Wie bitte?" Verwirrt schaute ich ihn an. Ich musste mich verhört haben. „Wir möchten gerne jemanden adoptieren und in mehreren Gesprächen stellte sich heraus, dass du ganz gut zu uns passen würdest. Du weißt sicherlich, wir sind ein bisschen speziell", erklärte Natasha. „Natürlich nur, wenn du willst", fügte sie hinzu.
Ich hatte mich doch nicht verhört, die beiden wollten mich tatsächlich adoptieren. Aber warum überhaupt?
„Wieso?", fragte ich neugierrig. In meiner Vorstellung musste ein Avenger so ziemlich alles haben, was er begehrte – dafür konnte man tagtäglich genug über Tony Starks Geldbeutel in der Klatschpresse lesen.
„Weil Tasha und ich uns schon immer ein Kind gewünscht haben. Und weil wir beide Familienmenschen sind, haben wir beschlossen, jemanden zu adoptieren. Es hört sich bestimmt total kitschig an, aber wir vermissen öfters die Normalität, wie sie jeder andere in seinem Leben hat. Dann haben wir dich gesehen und haben von deiner Geschichte mit deiner Mutter gehört. Das tut mir sehr leid, ich war zwar nicht sechs Jahre alt, aber auch ich kann einen solchen Verlust besser nachvollziehen, als die Meisten denken", sagte Steve mitfühlend. Ich nickte. „Naja, ich kannte sie kaum, demnach war es nicht so schlimm." Warum log ich Steve an? Doch der lächelte nur mitfühlend und nickte verstehend.
Er wusste bereits, dass wir uns sehr nahe gestanden hatten und ich deswegen sehr unter ihrm Tod hatte leiden müssen, aber er wollte mich nicht damit reizen. Ich war sehr stark, das hatte er von Anfang an gemerkt.
„Also, hättest du denn was dagegen, wenn wir dich adoptieren würden? Ich meine, wenn du willst. Es würde natürlich eine Weile dauern, bis wir bei dem Jugendamt das Sorge- und Erziehungsrecht bekommen würden, aber solange könntest du schon bei uns im Stark-Tower wohnen. Zur Probe sozusagen, wenn du willst", schlug Natasha vor.
Ich dachte nach. Es kam zwar sehr plötzlich, aber eigentlich hatte ich nichts dagegen, von ihnen adoptiert zu werden. Ich würde sogar bei den Avengers zu Hause wohnen!
Deshalb nickte entschlossen.
„Ja ich würde gerne von euch adoptiert werden." Außerdem merkte ich, dass ich mich in letzter Zeit immer mehr nach Eltern sehnte. Ich brauchte einfach Leute, die mich liebten, das war mir in letzter Zeit immer wieder bewusst geworden. Und wenn-
ich hatte jedoch keine Zeit, um meinen Gedanken zu Ende zu bringen, denn eine gewaltige Explosion erschütterte das Gebäude und wir wurden alle nach hinten geschleudert.
Ein betäubender Schmerz fuhr durch meinen ganzen Körper. Ich war unter ein paar Steinbrocken begraben worden. Ich hustete Staub aus meiner Lunge, bekam trotzdem keine Luft. Panik stieg in mir auf. Hektisch rang ich nach Atem. Ich wollte schreien, aber mein Hals war staubtrocken. Langsam verschwamm mein Sichtfeld.
Das Letzte, was ich wahrnahm, war, wie jemand die Brocken beiseite stieß, mich vorsichtig hochhob und wegtrug. Darauf verlor ich mein Bewusstsein.

Langsam öffnete ich meine Augen. Es fühlte sich unglaublich anstrengend an, so, als würden die Augenlider Tonnen wiegen. Grelles Licht blendete mich und ich musste mich erst an die Helligkeit gewöhnen. Schließlich sah ich mich um.
Ich lag auf einem weißen Bett in einem ebenso weißen Raum. Mehrere Geräte standen neben mir und ich hörte ein regelmäßiges Piepen – ich war definitiv in einem Krankenhaus. Aber warum? Was war geschehen? Krampfhaft versuchte ich mich zu erinnern und langsam sickerte das Geschehene wieder durch.
Das Kinderheim... die Explosion... alles. Da waren Captain America und Black Widow gewesen und wollten mich adoptieren. Und ich hatte zugesagt...
Nee, jetzt spielte meine Fantasie komplett verrückt.
Jedoch blickte ich zu meiner linken Seite und entdeckte dort tatsächlich Steve Rogers, der schlafend neben mir in einem Sessel lag. Also doch kein verrückter Traum? Was war überhaupt mit dem Kinderheim geschehen? War es jetzt zerstört? Hatte man alle retten können? Mir schwirrten viel zu viele Gedanken im Kopf herum und ich versuchte, alles etwas klarer zu bekommen.
Erneut blickte ich zur Seite, Cap schlief immer noch.
„Steve", krächzte ich. Langsam wurde er wach und sah zu mir. Er schaute mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Erleichterung an. „Oh Gott sei Dank, du bist wach! Alles gut?", fragte er. Ich wollte nicken, doch ein stechender Schmerz hielt mich davon ab und ich stöhnte nur auf. Sofort war er bei mir. „Bist du okay?"
„Ja", antwortete ich, doch das war eine glatte Lüge. Ich war ganz und gar nicht okay. Ich hatte gerade eben so eine Explosion überlebt und überstarke Schmerzen. „Wo ist Natasha?", krächzte ich mit einem elendigen Ton. „Sie ist ins Hauptquartier gefahren und kommt bald wieder her", antwortete er. „Was, so schnell? Die Explosion ist doch gerade mal ein oder zwei Stunden her." „Ähm, Audrey..." Er kratzte sich am Hinterkopf, „Ich will dich nicht erschrecken, aber du warst fast vier Tage nicht bei Bewusstsein."
„Wie bitte, was?!"

(K)eine AdoptionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt