Kapitel 26

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Unten angekommen, rannte ich direkt nach draußen. Ich ignorierte die verwunderten Blicke Aller, es war mir egal, wie ich aussah und dass ich pitschnass war, ich wollte hier einfach nur noch weg. Außerhalb des Towers sah man den Wasserfall, der von dem zerstörten Stockwerk hinabfloss, der Rest des Gebäudes schien dank Starks Konstruktion unversehrt. Das nahm ich jedoch nur zur Hälfte war, nicht wissend, wohin ich gehen sollte, stolperte ich über die Straßen und kassierte merkwürdige Blicke einiger Passanten, die mir entgegen kamen. Ich wusste nur eins: Niemals wollte ich hier her zurückkehren; nie und nimmer mehr. Meine „Familie" oder was auch immer sie sein mochten, gab es ab jetzt für mich nicht mehr. Drehte man die Zeit zurück stand ich wieder am Ausgangspunkt. Ich war wieder auf mich allein gestellt und musste damit irgendwie zurecht kommen. Verlassen, stetig unter Tränen, lief ich weiter. Dummerweise hatte ich keinen Rucksack mitgenommen, so hatte ich nichts dabei, weder Proviant, noch mein Handy, mit dem ich theoretisch Hanna hätte anrufen können. Warum dachte auch nie über meine Taten nach? Praktisch gesehen war ich jetzt obdachlos, ohne jegliche Versorgung und weiterhin unter Schock.
Alles, was mich erreichte, waren dumpfe Geräusche im Hintergrund. Mein Blickfeld war schwammig, ein endloser Tunnel ohne Wände. Ahnungslos irrte ich durch ein Nichts, ein Niergendwo und verlor mich in den verzweigten, dunklen Gassen New Yorks. Ich hätte nicht einmal sagen können, ob ich Manhatten schon verlassen hatte oder nicht. Wahrscheinlich hätte ich es nicht einmal gespürt, wenn mich ein Auto angefahren hätte. Auch, wenn meine Kräfte äußerlich nicht ersichtlich waren, wüteten sie in meinem Inneren, tränkten meine Gedanken mit Trauer und Schmerz. Aber schreien wollte ich nicht mehr, nein, meine Kehle war wie ausgetrocknet.
Mit der Zeit verleiß mich meine Energie und auch der ausgiebige Gebrauch meiner Kraft machte sich schmerzlich bemerkbar. Inzwischen sank die Sonne am Horizont, doch auch die Idülle des Sterns konnte mich nicht in ihren Bann reißen. Statdessen ließ mich sein Feuer, sein Brennen innerlich wieder aufkochen. Jetzt begann mein Köper entgültig zu streiken. Um mich herum wurde die Luft unerträglich feucht, dann hinterließ ich nasse Fußspuren und durchweichte meine fast getrocknete Kleidung aufs Neue. Schwindel übermannte mich, sodass ich an einer bröckeligen Hauswand Halt suchen musste, um nicht zu stürtzen. Es war grausam und ich war schwach, zu schwach. „Kämpfe, Audrey", sagte eine Stimme tief in meinem Inneren, aber sie störte mich und ich machte sie mundtot. An der nächsten Ecke setzt ich mich in eine kleine, düstere Gasse, die von den letzten Sonnenstrahlen schon lange nicht mehr erreicht wurde, neben riesige Müllkontainer. Würde mich jemand suchen, war ich hier genauso verschollen, als wäre ich auf den Bahamas ins Exil geflüchtet.
Meine Augen fielen mir zu, schlaff und kraftlos hingen meine Arme runter auf den Boden. Trotz geschlossener Lieder rannen Tränen meine kalten Wangen hinunter und tropften auf die durchweichten Kleider. Alle Hoffnug, alle Liebe, die ich jemals gespürt hatte, war an einem Tag zerplatzt. Meine Mutter war eine feindliche Killerin gewesen, von einer Organisation, die ich zutiefst verabscheute und meine neue „Familie" hatte mich ebenfalls derartig hintergangen, das mir Vertrauen zu ihnen in jeder Art unmöglich machte. Langsam und stetig driftete ich ab.
„Hey, kommt hier rüber! Ich die Kleine gefunden!", rief eine fremde Stimme aus der Nähe. Ich wollte aufstehen und mit meinem Finder reden, aber mir fehlte die Kraft. „Ah, heute ist unser Glückstag!", sagte jetzt eine zweite Stimme. „Komm, schaffen wir sie hier weg, bevor uns noch jemand bemerkt", forderte wieder die erste Stimme. Grob wurde am Arm gefasst, jemand zog mich gewaltsam daran hoch, sodass es mir schmerzte. Aber ich war gelähmt vor Erschöpfung, wehrlos. Jemand schulterte mich und ich wollte aufstöhnen, doch auch das funktionierte nicht. „Glaubst du, die bekommt noch was mit?", fragte jetzt eindeutig ein Mann, wahrscheinlich mein Träger. „Gleich nicht mehr", antwortete wieder jemand anders. Dann spürte ich einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf und mir gingen auch noch die letzten Lichter aus.


Als ich wieder zu mir kam konnte ich mich immer noch nicht bewegen. Dies war jedoch nicht durch meinen körperlichen Zustand, der sich nahezu normalisiert hatte, bedingt, sondern durch zahlreiche Fesseln, welche mich an Gliedmaßen und Korpus an die Pritsche unter mir banden. Es waren feste Riemen, die mir schmerzhaft ins Fleisch schnitten, wenn ich daran zerrte. Ahnungslos schlug ich die Augen auf und fand mich in einem stockdunklen Raum wieder. Na toll, etwas nachtblind war ich schon immer gewesen. Mit laut pochendem Herz horchte ich, suchte die Stille nach einer weiteren Atmung ab – beruhigerder Weise erfolglos. Ich entspannte mich wieder und stieß die Luft aus meinen Lungen; durch meine Aufregung hatte ich gar nicht gemerkt, dass ich sie angehalten hatte.
Wie lange war ich wohl weg gewesen? Wie viel Uhr war es jetzt oder, viel wichtiger, wo war ich jetzt? Mit der Suche nach meinen Erinnerungen kehrte nicht nur das Wissen, um meine missliche Lage, sondern auch die Schmerzen in meinem Hinterkopf zurück.
Ich verfluchte mich selber, die einzigen Leute, die mich wahrscheinlich aus dieser bescheidenen Lage hätten retten können, abgewiesen zu haben. Andererseits waren sie auch der Grund gewesen, weshalb es überhaupt hierzu gekommen war. Mich zerriss es wieder innerlich, was geschehen war, aber an einem weiteren Ausbruch hinderte mich zum Glück in letzter Sekunde der Kopfschmerz. Meine Bedenken blieben allerdings bestehen, sodass Angst in mir hochstieg. Ich war ahnungslos irgendwo, an einem undefinierbarem Ort, gafangen. Keiner wusste davon, keiner würde mich aufgrund der neusten Vorkommnisse in näherer Zukunft suchen. Ich steckte wortwörtlich bis zum Hals in der Scheiße, an dem ein weiterer Riemen angebracht war und mir fast die Luft abschnürte.
Mit dem Versuch, die missliche Lage mit Verstand anzugehen, besann ich mich aufs Neue. Was konnte ich alles über diesen geheimnisvollen, undankbaren Ort in Erfahrung bringen? Den Schmerz unterdrückend versuchte ich mich zu konzentrieren. Ich tastete, zog noch einmal an den Riemen und schnupperte. Meine Fesseln bestanden anscheinend aus Metall, das zu meiner Haut hin mit ranzigem Leder versehen war – wie komfortabel, man hatte hier wohl öfters Gäste meiner Klasse. Unter mir befand sich eine dünne, durchgelegene Matratze, die auf einem harten, ebenen Untergrund befestigt war, an dem auch die Fesseln verankert zu sein schienen. Meine Nase nahm den Duft von stickiger, warmer Luft auf. Es roch ranzig, aber nicht alt, nein, viel mehr wie Schimmel in einem recht neuen Gebäude, denn auch die Wandfarbe kam, wenn auch sehr zaghaft, durch. Verächtlich schnaufte ich, versuchte vergebens meinen Kopf zu winden, unter welchem kein Kissen lag, was den Schmerz der Verletzung nur noch föderte. Abgesehen von dieser Blessur schien ich jedoch unverletzt und war – vom psychischen abgesehen – schmerzfrei. Ich beendete meine wirkungslosen Befreiungs-Versuche, um meine Gesundheit bestmöglich zu erhalten. Langsam, aber stetig, wurde ich hungrig und versuchte, davon angetrieben, mein Gefängnis mit der Augen weiter zu erkunden. Nachdem ich schon Dinge begann in die Schwärze rein zu haluzinieren, durchfuhr mich ein Schauer. Hinter meinen Füßen hatte ich etwas aufleuchten sehen. Ein kurzes, rotes Blinken, was mir beinahe einen panischen Schrei entlockt hätte. Wieder hob ich den Kopf leicht und ja, da war es wieder. Fieberhaft überlegte ich, was das zu bedeuten hatte. Schließlich kam ich zu dem Entschluss, dass es sich um eine Kontrollleute handeln musste. Weiter durchforstete ich mein Hirn. Ein Rauchmelder vielleicht? Nein, so sehr kümmerte man sich bestimmt nicht um Menschen in meiner aktuellen Position. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen, eine Kamera. Das musste es sein; ich wurde überwacht, Scheiße!
„Hallo, Schätzchen", knarrte urplötzlich eine undeutliche Männerstimme aus dem Niergendwo. Ich schrie panisch auf. Dieses Mal war das unvermeidlich gewesen. „Na, na, ist der kleine Schützling der Avengers etwa ein Angsthase?" Dieses Mal war ich vorbereitet gewesen und statt zu schreinen lauschte ich aufmerksam. Es war deutlich rauszuhören, dass die Stimme durch einen Lautsprecher kam, ich demnach nicht von meinem Gehör getäuscht wurde, sondern wirklich alleine war. Außerdem schienen diese Geiselnehmer absichtlich hinter mir her gewesen zu sein und wussten genaustens, wer ich war. Innnerlich fluchte ich vor mich hin, denn das machte die Sache nur noch aussichsloser. Einerseits, weil Tony eine Menge Geld besaß, andererseits weil so auch die Avengers hintergangen werden mussten, um an mich zu kommen, was anscheinend blendend funktioniert hatte. Auch wusste ich um Steves Einfluss als Person ansich auf die Politik oder Natashas Verbindungen über die ganze Welt. Im Prinzip konnte so alles wegen mir schief gehen, andersrum könnten sie dem Team auch durch mich schaden, was von meinen neusten Taten nur noch zusätzlich im negativen Sinn unterstützt wurden. Was hatte ich nur getan? Würden sie sich überhaupt bemühen, mich zu retten oder überhaupt nach mir zu suchen? Wenn es ihnen genauso wie mir ginge – voller Wut und Hass auf die andere Partei – dann lautete die Antwort auf diese Frage mit großer Sicherheit nein. Zusammenfasst hatte ich eine Menge Mist gebaut und Fehler begangen, die ich nicht einmal bereute, jetzt aber dadurch tief in der Tinte steckte und keine Aussichten auf irgendetwas hatte. Meine Kräfte zu nutzen wäre eine Schnapsidee gewesen, da mich der Gebrauch dieser direkt zurück in die Ohnmacht getrieben hätte – das wollte ich um jeden Preis vermeiden. So waren mir die Hände gebunden.
Erneut lauschte ich, doch die fremde Männerstimme kehrte nicht wieder durch die Lautsprecher zurück. Ich schwieg, denn wenn sie meinen Schrei gehört hatten, dann war der Raum auch mit Mikrofonen überwacht. Die Privatsphäre und allgemeine Menschenrechte bedachten sie nicht. Ganz leise knurrte mein Magen, inzwischen hatte ich richtig Hunger bekommen und brauchte unbedingt etwas zu Essen, aber wer wusste schon, wie ich daran kommen sollte und wenn ich es dann einmal hatte, ob es überhaupt genießbar oder gar vergiftet war. Bei diesem tödlichen Gedanken verging mir der Appetit wie im Flug.

(K)eine AdoptionWhere stories live. Discover now