Kapitel 2

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"Sind wir alle?", fragte ich in die Runde und begann damit, meine Teamkameraden zu zählen. Die Niedergeschlagenheit in ihren Gesichtern war weiterhin vorhanden, doch besonders die Erstklässler sahen bereits weniger Traurig aus. Schliesslich hatten diese noch einige Matchs vor sich, um die Karasuno dem Erdboden gleich zu machen. 

"Einer fehlt...", murmelte ich vor mich hin und sah mir erneut die Gesichter vor mir an. Als mir bewusst wurde, wer fehlte weiteten sich meine Augen. Schnell winkte ich die Nummer zwei Mattsukawa zu mir und ordnete ihn an, sich mit dem Team zum Restaurant zu begeben. "Ich komm gleich nach", winkte ich ihnen zu, bevor ich mit schnellen Schritten zu den Kabinen lief, in welchen ich Iwa vermutete. 

Ich war gut darin, andere Menschen zu durchschauen. Sie zu bewegen wie Figuren in einem Spiel. Sie so zu platzieren, dass am Schluss alles zusammenpasste und ein grosses Ganzes ergab. Doch es gab da eine Ausnahme, welche meine rationalen Entscheidungen aus ihrer Bahn warfen. Und das war genau dieses Häufchen Elend, welches ich in der Kabine auffand.

Den Kopf zwischen den Knien vergraben sass Iwa vor seiner Sporttasche in der Umkleide am Boden. Seine Schultern bebten unter den leisen Schluchzern, die er von sich gab. So hatte ich ihn noch nie gesehen und ein kleiner Stich durchfuhr mein Herz, als ich ihn beobachtete. 

Wie von selbst bewegten sich meine Beine in seine Richtung und ich setzte mich vor ihm hin. Langsam hob ich meine Hände und wollte sie ihm auf die bebendem Schultern legen, doch entschied mich anders. 

"Iwa?", flüsterte ich und sah, wie er stockte. Mit einer kleinen Bewegung drehte er seinen Kopf etwas weg von mir und murmelte: "Lass mich in Ruhe!"

Enttäuscht seufzte ich. Ich konnte ihn verstehen, so ging es mir ja auch. Man überlegte sich tausendmal, was man alles hätte anders machen können. Doch am Ende war man genau so weit wie zuvor, keinen Zug weiter und das Spiel verloren. 

Behutsam legte ich meine Hand auf seinen Arm und fuhr tröstend ein paar Mal auf und ab. "Komm schon", meinte ich beruhigend. "die anderen haben bereits Hunger..."

Iwa hob seinen Kopf und blickte mich mit seinen Braunen Augen direkt an. Sie waren gerötet und einige Tränen hatten sich ihren Weg über die Wangen gesucht. Sein Blick wirkte verzweifelt. 

"Tooru", flüsterte er. "Wie kann ich das Ass sein... wenn ich doch keine Punkte mache?!" Seine Stimme brach und eine erneute Träne entkam aus seinen Augen. Ohne nachzudenken hob ich meine Hand und fing sie mit meiner Fingerkuppe ab. 

Ja... Wie sollten wir unserem Team ein Vorbild sein, wenn uns diese Niederlage so zu schaffen machte...?

Sei stark. Für dich, Iwa und dein Team. Einer muss stark bleiben, die anderen Trösten. Lass nicht zu, dass dir deine Figuren entgleisen. Ein alleiniger König kann nicht gewinnen...

Ich löste meine Hand von seiner Wange und stand auf. Mit einer Hand, die ich ihm entgegenstreckte, sah ich ihn auffordernd an. "Als Ass machst du nicht nur Punkte. Du bist auch der Stützpfeiler des Teams. Ein Vorbild."

Energisch wischte Iwa sich seine Tränen aus dem Gesicht und rappelte sich hoch, ohne meine dargebotene Hand anzunehmen. 

"Manchmal bist du echt ein Arsch!", meinte er mit schwacher Stimme. "Aber als Kapitän warst du echt Spitze."

Warst. Vergangenheit. Das war genau das, was mir am Meisten zu schaffen machte. Was sollte ich nach der Schule tun? Wie sollte mein Leben ohne den Volleyballclub der Aoba Johsai aussehen? Wieso konnte nicht alles so bleiben, wie es war?

Weil das Leben vorwärts geht. Weil es nie anhält. Weil du um jeden Sonnenstrahl kämpfen musst!

Kämpfen? Hatte ich das nicht genug? Ich hatte jegliche freie Zeit dem Volleyball geopfert. Hatte mich stets weiterentwickelt und darum gekämpft, besser zu werden. Nur um dann von einem egoistischen König überholt zu werden. Dabei konnte der König nicht allein gewinnen, er brauchte seine Untertanen. Die Bauern genau so sehr wie die Türme. Oder die Läufer und Springer. Jeder war richtig eingesetzt die ultimative Waffe. Wie also hatte es mein Zögling geschafft, ohne Funktionierende Taktik gegen uns zu bestehen?

Von einem Schlag auf meine Schultern wurde ich in die Gegenwart geschleudert. Iwa hatte sich an mir vorbei in Richtung Türe bewegt und mir beim Vorbeilaufen seine Handfläche auf die Schulterblätter geschlagen. 

Verdammt, tat das weh. Und verdammt tat es gut, diesen kleinen, gut gemeinten Schmerz zu spüren. Zu spüren, dass man noch lebte. 

Stimme / IwaOi ffWhere stories live. Discover now