87.

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Jace weicht zurück.
Seine Finger greifen in seine Locken und schieben sie aus seinem Gesicht.
"Hör auf mich wegzustoßen, nur weil du dir einbildest, dass das irgendetwas erträglicher machen würde. Das ist einfach lächerlich", schnaube ich und wirble herum.

Mitten in der Bewegung halte ich inne und drehe mich zurück, überbrücke mit erhobenem Finger die Distanz, die er zwischen uns gebracht hat.
"Weißt du was? Ich wünsche mir den Jace vom Bahnhof zurück! Mit seinen Glückskekssprüchen und der Einstellung, dem Glauben, dass alles möglich ist. Oder war das etwa alles nur Blendung für das kleine, reiche Mädchen?"

Ich weiß, dass ich ihn gerade unnötig verletze, aber ich kann nicht an mich halten.
Ich greife mit meinen Fingern durch die Luft, versuche den Sauerstoff zwischen meinen Fingern zu zerquetschen und gebe einen unschönen Laut von mir.
"Und jetzt sag mir nicht, dass dieser Optimismus nur für anderen Menschen gilt und nicht für dich selbst und dein verdammtest Leben - denn du bist noch am Leben!"

Der Schatten hat sich von Jaces Augen aus über sein gesamtes Gesicht ausgebreitet.
Er blickt mir von einer beinahe grauen Fassade entgegen.
Was habe ich bloß angerichtet?
Ich lasse meine Schultern fallen und betrachte die frisch eingepflanzten Pflanzen.

Mit einem Seufzen richte ich meine brennenden Augen wieder auf den jungen Mann vor mir, der plötzlich nicht mehr wie ein Angreifer über mir lauert.
Wir schweigen uns an. Die wahrscheinlich beste Methode, um Worte noch mehr Schaden anrichten zu lassen.
Meine schreienden Gedanken geben mir keinen Ansatzpunkt, die Wogen zu glätten, dennoch unternehme ich nach einer gefühlten Ewigkeit einen Versuch.

"Ich will doch nicht mit dir streiten, Jace. Ich -"
Ich beiße auf meine Zunge, so sehr, dass ich jeden Moment mit dem vertrauten metallischen Geschmack rechne. Diese Worte hat mein Vater erst zu mir gesprochen.
"Ich liebe dich. Und deswegen mache ich mir schreckliche Sorgen um dich. Ich sehe nicht nur den Krebs, wenn ich dich ansehe, dass könnte ich nie tun. Aber ich weiß, dass er da ist, ein Teil von dir. Und ich habe Angst, dass du wertvolle Zeit verstreichen lässt, in der du nicht gegen ihn kämpfst."

Die ersten drei Worte waren nicht geplant.
Aber ich bereue sie nicht und sie sind mir nicht peinlich, machen mich nicht verlegen.
Ich bin die Erste von uns, die es zugibt, gesteht, laut ausspricht, benennt, was sie fühlt.
Und ich werde nicht mal rot dabei.
Meine Augen ruhen auf Jaces Gesicht und mit einem Mal fällt die Anspannung aus meinem Körper.

Als ob diese drei Worte, dieses Geständnis alles erklären, begründen und entschuldigen.
Warme Augen begegnen meinem Blick und lassen mich aufatmen.
Er ist nicht geschockt, er zieht sich auch nicht zurück.
Er fährt sich nur über den Nacken und sieht mich an. Ein Mundwinkel hebt sich und sein Grübchen kommt zum Vorschein.

"Was du da sagst, ist ...", setzt er an, aber mitten im Satz scheint er zu vergessen, was er sagen wollte.
"Danke. Du glaubst an mich. Auch wenn ich nicht behaupten kann, dass das etwas sonderlich gutes ist. Ich kann dir das nämlich nie zurückgeben."
Seine raue Stimme wird immer leiser und das Lächeln auf meinen Lippen immer weicher.

"Merkst du nicht, dass du das schon längst getan hast? Hör auf die Augen davor zu verschließen, dass andere Menschen dir etwas geben können, ohne dafür etwas zurückfordern zu müssen. Ich will für dich da sein, so wie du für mich da bist und ich will, dass du ehrlich zu mir bist - egal, wie hässlich die Wahrheit ist."

Ich nicke, um ihn zu bestärken. Doch seine Augen driften an die Wand hinter mir.
"Ich versuche es", seufzt er und kommt einen langen Schritt auf mich zu.
"Ich versuche es wirklich, O."
O. Der ist neu.

Mein Lächeln wird in Jaces Oberarm erstickt, als er mich in eine Umarmung zieht.
"Als ich das letzte Mal beim Arzt war, hieß es, dass der Krebs gestreut hat. Ich habe eine Chemo abgelehnt, weil ... weil ich sie nicht machen wollte", murmelt er in mein Haar.
Ich spüre seinen warmen Atem über meine Kopfhaut wabern und weiß sofort, dass da etwas ist, dass er mir nicht sagt.

Sein Herzschlag hallt in meinen Ohren wieder, ich kralle mich in sein Shirt und schmiege mich gegen seine verspannten Muskeln.
"Wir müsse zum Arzt gehen, Jace", flüstere ich.
Augenblicklich verstärkt sich der Griff um mich, stranguliert meine Körper in seinem Halt.

"Wann auch immer du bereit bist", füge ich schnell hinzu.
"Können wir nicht mehr darüber reden? Ich muss die Erde noch auffegen, bevor du sie durch die ganze Wohnung trittst."
Der Hinweis auf ein Grinsen schwingt in seiner Stimme mit und als ich mich von ihm löse, entdecke ich sogar eine kleine Veränderung seiner Mundpartie.

Dann schaue ich an mir herunter, um festzustellen, dass ich wirklich in heruntergefallener Erde stehe.
"Scheiße."
Jace lacht und drückt mir einen Kuss auf die Lippen.

Er tut so, als hätten die letzten Minuten nicht stattgefunden und geht wieder in die Knie.
Ich beiße auf meiner Unterlippe herum und versuche mein rasendes Herz und meine zugeschnürte Kehle davon zu überzeugen, dass weinen jetzt äußerst unangemessen wäre.
Ich habe gelernt, meine Emotionen zu kontrollieren, vielmehr zu unterdrücken. Aber das ist mir bis jetzt nur gegenüber Menschen gelungen, die mir nicht sonderlich viel bedeuten.

Jace hingegen bedeutet mir viel, zu viel.
Und aus einem merkwürdigen Grund kann ich meine Maske, wenn ich sie ihm gegenüber einsetzten muss, nicht mehr aufrechterhalten.
Ich will es auch nicht. Aber ich weiß, dass es jetzt gerade das Beste für ihn ist, nicht meine vollständigen Sorgen präsentiert zu bekommen.

Wir können und werden in dieser Hinsicht Babyschritte machen müssen.
Ich hoffe nur, dass wir den Luxus der Zeit haben und uns dieses Tempo erlauben können.
Als hätte der Lockenkopf meine Gedanken gelesen, blickt er auf, eine leichte Röte ziert seine Wangenknochen.

"Aber nur, weil ich dafür noch nicht bereit bin, heißt das nicht, dass wir diese Beziehung langsam angehen lassen."
Es ist kein Angebot, es ist eine Feststellung und gleicht einem Gesetz, das von nun an zwischen uns herrschen soll.

"Keine Zeit verschwenden?", frage ich und hebe die Augenbrauen.
Eine Kopfschütteln entlockt mir ein Kichern.
"Okay", sage ich langsam. "Ehrlich gesagt, hatte ich das auch nicht vor ..."
Jace wirft mir einen vielsagenden Blick zu und leckt sich über sein ausgeprägtes Lippenherz.
"Gut. Ich nämlich auch nicht."

Ich wende mich nur ungern von ihm ab, um ins Bad zu gehen und mir den Schmutz von den Fingern zu waschen, aber nach einer Weile kann ich den Blick von seinem vollkommenen, vorgebeugten Körper abwenden.
Das kalte Wasser kühlt meine überhitzte Haut, die plötzlich nur Jaces Nähe suchen will.

Die Stille des kleinen Raums surrt in meinen Ohren und lässt mich glauben, dass mein Kopf in Watte gepackt ist.
Ich will Jace so nicht sehen; so verzweifelt und beinahe panisch vor der Zukunft.
Was ich zu ihm gesagt habe, habe ich ernst gemeint; manchmal vermisse ich den jungen Mann vom Bahnhof, der eine so andere Lebenseinstellung hatte.
Ich vermisse seine Offenheit und seine Unerschrockenheit.

Was, wenn diese eine Sache, der Krebs, nicht nur seinen Körper, sondern auch sein Wesen zerstört?
Was, wenn er diese Lebensfreude nie auf sich, sondern immer nur auf mich übertragen wollte?
Aus dem Badezimmerspiegel blicken mich meine fragenden Augen verunsichert an.

Sind das graue Wolken, die sich an unserem gemeinsamen Horizont zu einem gewaltigen Sturm zusammenbrauen?
Oder sind dies einfach nur die Dinge, denen man sich gemeinsam stellen und die man gemeinsam ertragen muss, wenn man ... wenn man sich liebt?
In jedem Fall habe ich ein ungutes Gefühl in meiner Brust, wenn ich an all die Steine denke, die uns noch in den Weg gelegt werden.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bevor der Donner über unseren Körper grollen wird.

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Song: Afterglow - Taylor Swift (cuz it's perfect for this!)

Hello :)

Viel los heute, eine Freundin war da, yaayy *-* Lisa hat wieder ein sozial Leben, dass nicht aus Anrufen besteht xD

Wie war euer Tag? <3

Ich bin soooooo froh das Wochenende ist, dass glaubt ihr gar nicht! Und dann noch 3 Tage, dann habe ich FERIEENNNNNN! Die sind so bitter nötig! Ich lauf aufm Zahnfleisch (bah so eine eklige Redewendung, aber ihr wisst, was ich meine xD)

All my Love,
Lisa xoxo

almost Hate [ᴬ ᴸᵒᵛᵉˢᵗᵒʳʸ]✔Where stories live. Discover now