Kapitel 1

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Einige Wochen später ...

Der Staub der Jahrhunderte explodierte in einer gewaltigen Partikelwolke aus dem Eichenholzschrank, als wären die mit Schnitzereien verzierten Türen des Möbels über die Dauer mehrerer Generationen nicht mehr geöffnet worden. Ein Beobachter der Szenerie hätte beim Anblick der tanzenden Staubkörnchen in den Lichtkegeln wohl meinen können, auf der Kleidung des Gewürzhändlers hätten sich nach dessen Dahinscheiden auch Pfeffer und Salz zur letzten Ruhe gebettet, ehe sie von einer schwungvollen Bewegung meiner Arme aus ihrem Dornröschenschlaf geschleudert worden waren. So trudelten nun allerlei Momentaufnahmen eines viel zu lange gelebten Lebens in Pulverform durch Stube der Vorstadtwohnung und flirrten in den ersten Strahlen der Morgensonne mit den Staubteilchen der Inneneinrichtung um die Wette. Eine Wolke aus Paprika, Chilli und Ingwer.

Hätte man mich noch vor einigen Wochen nach meinen Vorstellungen von den Berufen im Gewürzhandel befragt, so hätte ich mich vermutlich dem Schwelgen an die furchtlosen Abenteurer auf den Handelsstraßen hingegeben und von den Geschichten aus den fremden Winkeln der Königsländer berichtet. Hätte man mich nach dem Duft ihrer Kleidung gefragt, so wäre ich zweifelsohne den Märchen aus der Feder der viel zu poetischen Bibliotheksschreiber in der Kronstadt verfallen. Ich hätte ihnen geglaubt, es wäre der Duft von Geschichten, Reisen und dem freien Leben auf den Straßen des Königs.

Wenige Wochen in einer Zweckgemeinschaft mit der Witwe des Gewürzhändlers hatten mich eines Besseren belehrt. Der Geschmack von Geschichten verwandelte sich in eine erbarmungslose Dauerduftwolke und ...

Heilige Schöpfer unter den Bergen!

Die ach so romantisch betitelten Abenteuer hatten sich über die Dauer eines ewigen Lebens in den Lehmschichten des Vorstadtgebäudes festgefressen, ja, sogar mein Haar im Laufe weniger Tage mit einer unverkennbaren Note der Marriknollen aus dem Nebenzimmer der Stube versehen. Obgleich ich den Spuk der Geruchskombinationen jeden Morgen mit dem Blut und dem Dreck der Nächte von meiner Haut zu waschen versuchte, so verfolgte mich das Erbe des Gewürzhändlers doch wie mein eigener Schatten.

Gerebelte Kräuter und staubende Pulver. Petersilie, Salbei, Rosmarin ...

Igitt, Thymian ...

Die Sinne einer Glaserin erfreuten sich an solch hübschen Tandereien weit weniger, als manch einer meinen mochte.

Aus diesem Grunde schlug ich mir im Verlauf der Gewürzexplosion reflexartig den Ärmel meiner Nachtgewandung vor Mund und Nase, um nicht von der schieren Gewalt aller Noten zwischen den Düften erschlagen zu werden. Das Öffnen des Wandschranks erinnerte noch immer an den Mann, der einst in der Wohnung lebte. Die fatalen Ausmaße eines Jahrtausends. Gerüche, Staub und noch mehr verstaubte Kleidung.

Mit den Augen wanderte ich über die sorgsam aufgestapelten Gewandungen in einem Fach des Eichenholzschranks und sortierte die Lederhosen des Gewürzhändlers in Gedanken nach ihrem Alter, als könnte ich mir unter den teilweise ausgeleierten Stoffen mit Glück noch etwas Passendes finden. Nach all den Jahren lagen noch immer Kombinationen aus Hemden und Ledern in passenden Paaren; sie bildeten in von Gürteln umschlungenen Päckchen ein Fundament für die Reisemäntel, die wie eine Schutzdecke über den Kleidungsbündeln drapiert worden waren. Leder, Leinen und feinere Seide schmiegten sich mit ihren kostbaren Stofflichkeiten an die gröber gewobenen Kleidungsstücke eines Wanderers zwischen den Ländern und falteten eine Palette der mannigfachen Materialien der Stadtmode auf, lockten mit allerlei gefärbten Geweben, die sich nur ein gut betuchter Herr in diesen Gebieten des Kronlands leisten konnte.

Der Staub der Jahrhunderte wirkte ganz verloren dazwischen.

Jedoch erwiesen sich auch die Hosen des Hausherrn nach einer ersten Einschätzung nicht tauglicher als die Ersatzkleidung seiner Gattin, die mir die Gewürzhändlerin Begina bei meinem Einzug freundlicherweise für den Fall der Fälle zur Verfügung gestellt hatte. Die hochgewachsenen Körper der meisten Lehma würde so manch ein Fremder aus den Landen der Glaser wohl als eher drahtige Gestalten bezeichnen, die noch zierlicheren Körper der Frauen wohl beinahe als langen Schattenriss der anderen Bewohner des Landes. Und obgleich sich die deutlich größeren Männer in deutlich größere Kleidungsstücke einhüllten, so würde sich der weibliche Körper einer Glaskriegerin wohl nur schwerlich in den Hosenbund der Schneiderarbeiten einfügen lassen.

Ein Herz aus Lehm und Glas - Rabenkrone [Leseprobe]Where stories live. Discover now