Kapitel 2b

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Wie ein Windspiel tanzte das Banner des Menschenkönigs an einem entfernten Punkt des Marktes über die Köpfe der Lehma hinweg und wurde von einem geisterhaften Luftzug aus den Gassen beinahe bis zur Unkenntlichkeit verformt, als hätte einer der Schöpfer unter den Bergen einen Atemstoß über die Kronstadt gehen lassen. Dennoch konnte ich den weißen Klecks auf schwarzem Grund in meinen Gedanken zu einem Vogelschädel zusammensetzen – zweifelsohne die mit Knochenfarbe gepinselten Umrisse eines Schädels, die skelettierten Flügel eines Drachenwesens in einem grotesken Zusammenspiel mit den Rabenknochen als Rahmen. Da mochten die dazugehörigen Soldaten aus der Rabenfeste noch so gut von den schlanken Körpern der Besucher verborgen werden und sich noch so ruhig durch die Händlertische des Marktgeschehens fragen; die Herkunft der Männer war schon allein an den Reaktionen auf das Banner zu lesen und die Richtung ihres Laufs blieb durch den Strom der Massen ganz eindeutig erkennbar ...

Die Stimmen, das Getuschel ...

Die Botschaft pflanzte sich wie eine Welle durch die Münder der Marktbesucher fort.

Begina, flüsterten die Leute. Die Gewürzhändlerin. Begina.

Höchstwahrscheinlich pflügten sich die Soldaten des Königs bereits eine Weile durch die Reihen zwischen den Ständen, erkundigten sich bei den ansässigen Händlern nach der Position des Standes, fragten sich Meter um Meter durch das Getümmel des Vorstadtmarktes ... und peilten nun mit ihrem Rabenbanner immer zielstrebiger in unsere Richtung. Wo sich die Luftmassen noch vor wenigen Minuten in jenem Kessel zwischen den Häuservierteln gestaut haben mochten, da nahm der Atem der Schöpfer um den flatternden Stoff des Banners die Oberhand, umtoste ihn, riss daran, wand sich um ihn und drohte, das Symbol des Rabenkönigs mit seiner allgewaltigen Schöpfermacht endgültig aus der Halterung an der Lanzenspitze zu reißen. Der Geisterwind fegte spürbar zwischen all den Menschen, Lehma und Glasern hindurch, als würde sich ein Spuk seinen Weg durch die Körper bahnen. Er erschien mir nicht real, nicht wie ein tatsächlicher Wind aus den Bergen, aber derart ... derart präsent, dass ...

Magerey!

Obwohl ich das Knistern des Zaubers trotz meiner empfindlichen Glasersinne nicht auf den Marktflächen fühlen konnte, so spürte ich doch einen gewissen Schutzbann hinter den zusammengedrängelten Lehma, als würde die Zauberformel trotz der Abwesenheit eines Magyrs von sehr mächtigen Energieschüben am Leben erhalten werden. Mit den Soldaten des Königs zog sich eine fast gewitterähnliche Aura unter dem Frühlingshimmel durch die Massen der Vorstadt, durchwirkte jeden einzelnen Körper mit den Fäden aus der Hand eines Zauberkünstlers und rüttelte an den Seelen der Anwesenden, bis sie vor der schieren Kunstfertigkeit hinter den magyschen Floskeln zurückzuweichen begannen. Die Markbesucher trieben in ihrer Ehrfurcht wie Eisschollen auf dem ewigen Meer auseinander und schwappten schließlich in größer werdendem Radius um die Abgesandten Königsmänner herum, schwappten zur Seite, bewegten sich in wohlkalkuliertem Abstand, ehe sie sich hinter der Soldatengruppe wieder zu einem heillosen Durcheinander vermengten.

Trotz der flüsternden Winde gab es keinen größeren Aufruhr. Der Bann selbst erschien im Grunde weder gut noch böse noch sonst eine Farbe dazwischen. Er blieb präsent, blieb ein Schild. Mächtig, ja – aber nicht gewalttätig gegen solche, die ihn respektierten.

Niemals zuvor hatte der friedliebende König aus der Rabenfeste einen magyschen Eingriff in das Leben der Stadtbewohner gewagt und auch sonst stets das gröbste Unheil der royalen Entwicklungen von der Bevölkerung fernzuhalten versucht, sodass die Lehma – mit Ausnahme ihrer Gerüchte über die Entwicklungen im Obsidian – hauptsächlich in positiven Reden über den Rabenkönig sprachen. Selten sah man die höhergestellten Soldaten überhaupt mit einem Banner durch die Mengen der Einwohner schreiten, sah sie – wenn überhaupt – als königliche Eskorte von Spendentransporten und Nahrungsmitteln, die der Großzügigkeit des Königshauses auf dem oberen Festenberg entstammten.

Ein Herz aus Lehm und Glas - Rabenkrone [Leseprobe]Donde viven las historias. Descúbrelo ahora