Kapitel 3.1 - Wie ein Phönix aus der Asche

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Nesta kreischte spitz auf. Ihre Finger krallten sich tief in die Erde hinein. Ein Winseln riss in ihrer Kehle und fuhr durch die Nacht über ihren Köpfen. »Bitte lass das aufhören!«, brüllte sie wie unter Schmerz und wand sich. »Ich kann das nicht mehr!«

Rhys stand etwas abseits von ihr. Die Miene von Sorge zerfurcht, die Lider schwer, starrte er sie an und beobachtete mit Erschrecken, wie sie sich auf dem Boden zusammenkauerte.
Nox stand neben ihm. Er hatte Abstand von seiner Schwester genommen. Eine gezielte, sicherheits-wahrende Haltung, um ihr zu entgehen. Sie war zuvor das Monster gewesen, dass ihn und Rhys über die Wiese gejagt hatte.

»Nesta.«, flüsterte ihr Freund ihren Namen und hockte sich vor sie. »Du bist draußen.«

»Bleib bloß weg von mir!«, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen, als sie sich aufrichtete. In ihren Augen schwammen Tränen. »Ich hab keine Ahnung mehr wo ich bin.«

»Draußen. Also jetzt endgültig draußen.«
Rhys hörte in die Ferne, aus der der ferne Donner des Krieges erklang. Das Klirren von Waffen ertönten aus so weiter Ferne, dass sich der Kampf der Götter nur erahnen ließ.
»Das war eine Illusion.«, fügte er weicher hinzu, als Nesta anfing zu weinen.

»Ich hab auf dich geschossen. Und auf Nox.«, murmelte sie schwammig.
Es nahm mehrere Minuten in Anspruch, bis sich ihre Atmung beruhigt und ihre Sinne auf die Realität eingestellt hatten.
Ich bin nicht mehr in der Grenze. Es ist alles in Ordnung. Das vor mir sind keine Monster, keine Wesen... Es sind Menschen.

Sie erhob sich, als sie mitbekam, wie ihr Bruder sich weiterhin hinter Rhys Beinen versteckte. Nesta warf ihm ein erzwungenes Lächeln zu, um ihn zu stärken. Es war ein Ausdruck, der sich vollkommen falsch und unpassend anfühlte.

Rhys hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und lief die Wiese entlang.

Hinter ihnen leuchtete die violette Wand noch so kräftig wie zuvor. Sie wirkte robust, als wäre nie etwas hindurchgekommen.

Die Nacht ging mit den Rufen einiger Vögel, dem laute Branden von Wellen und entferntem Donnern einher.
Keine Welt ist so friedlich, hallten die Worte von Rhys in Nestas Kopf wider. Sie fragte sich, ob diese Aussage wohl von Rhys selbst kam, oder ob es schon dieses Vieh gewesen war.

Hätten sie eigentlich in der Grenze sterben können? Oder wäre sie einfach nur für immer dort gefangen gewesen?

Sie schob den Gedanken beiseite, als ihr Weg auf einem schmalen Pfad mündete, der durch ein Waldstück führte.
Rhys begutachtete einen morschen Wegweiser und nickte dann.
In seinen leuchtete Aufregung. Er zurrte an der Jacke, die seine Schultern schon seit Jahren bedeckte. Es war gutes Material.
Nesta hatte sich nie getraut, zu fragen, wo er dieses Kleidungsstück herhatte.
Rhys war einer der Anführer der Aasfresser. Nicht selten war er daher der erste gewesen, der an gute, neu erworbene Ware gelangte.
Er wusste, woher sie die Nahrung bekamen. Vielleicht war dies auch der Grund, weshalb er eine so brüchige Seele geworden war.
»Gut.«, murmelte er, als würde er für sich im Stillen einen Gedanken bestätigt haben. »Ich weiß, wo wir hingehen können.«

»Kannst du mir dann bitte eine deiner Waffen angeben, damit ich mich nicht völlig schmächtig fühle?«, fragte Nesta. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie jemanden verwunden müsste, oder würde. Tatsächlich hatte sie einmal einen Jungen in den Minen beinahe tot geprügelt. Eine grausame Erinnerung, die sie jedoch nicht bereute.

Harte Zeiten erforderten harte Maßnahmen.

Er reichte ihr einen Dolch herüber. »Frag mich nicht woher ich ihn habe.«

»Das hatte ich nicht vor. Du gibst mir eh keine Antwort.«
Je mehr sie über ihren Freund nachdachte, desto mehr verstand sie, wie viele behütete Geheimnisse er wohl unter seiner Haut mit sich tragen musste.
Er führte den Revolver, als seien die beiden eine schon längst eingespielte Einheit. Er würde ihn mit Sicherheit gerne einsetzen. Rhys würde nur zu gerne auf Feinde stoßen, die er erlegen könnte.

Das einzige was Nesta selbst in den Sinn kam, war ihr Wille, in den Schatten zu gehen. Dort, wo sie niemand sehen könnte.
Sie hatte stets das Talent gehabt mit den Schatten wie eine Einheit zu verschmelzen. Nie ist sie aufgeflogen, wenn sie sich an die heiße Luft außerhalb der Höhlen begeben hatte. Sie hatte eine Art an sich, die es erleichterte, unterzugehen, als sei sie eines der Objekte um sich. Es war keine Unsichtbarkeit, aber etwas das Rhys damals, in seinen guten Zeiten, als „Talent zur Unauffälligkeit" bezeichnet hatte.

Ohne auf ihre vorangehende Aussage zu antworten, legte er seinen Gedanken laut fest: »Wir gehen in eine Stadt.«

»In welche Stadt? Vielleicht habe ich schon von ihr gehört.«
Auch Nesta wusste einiges von der Außenwelt, aber auch nur durch ihre Eltern, welche ihr Legenden und Geografie verwaschen geschildert hatten. Damals, wie heute, stellte sich Nesta die Frage, wie ihre Eltern all das mit dieser Sicherheit wissen konnten.
Erst recht nun, mit den harten Tatsachen konfrontiert, brannte die Frage wie ein Feuer in ihrer Seele.

Sie musste wissen, woher ihre Eltern die Außenwelt kannten.
Eben dieses Wissen war es gewesen, das beiden am Ende das Leben gekostet hatte.

»Aad Adaille.«

Als Nesta sich nur in beträchtliches Schweigen hüllte und verzweifelt nach Informationen suchte, die sie über diesen Ort hatte, ließ Nox ihre Hand los um neben Rhys zu laufen.
Er vertraute ihm nach dem Geschehen in der Grenze mit Sicherheit mehr, als ihr.
Aber das würde sich wieder legen. An diese Hoffnung klammerten sich ihre Gedanken schon seit Jahren.

Es wird sich alles wieder legen. Es wird alles wieder gut werden.

Als sie nur schwieg, fügte Rhys von selbst hinzu: »Eine Anglerstadt, soweit ich weiß. Sie gehört zum Reich Ibai und ist so nah an Fintans Gefilde, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass sie noch steht.« Er beleckte sich die spröden Lippen. Seine Finger suchten halt an seinem Revolver, als wolle er etwas Sicherheit unter seiner Berührung spüren. »Sie liegt am Meer der Sturmhöhen... Soweit ich weiß.«

Meer der Sturmhöhen. Dieser Begriff rief sofort Erinnerungen in ihr hervor. »Nordöstlich auf der Karte?«

»Ja.« Eine ausführlichere Antwort blieb aus. Rhys schwenkte nach links aus, um auf einen Weg zu gehen, der von Karrenspuren gezeichnet war. Der blasse Nebel verschleierte die krummen Wege vor ihnen. Die Nacht schien dunkel, doch zwei der drei Monde leuchteten hell genug, damit sie etwas sehen konnten.

Von der Ferne hallte die Schreie von wilden Kreaturen. So lieblich, aber auch tief und verhängnisvoll, als sei es der Gesang einer Sirene. Vereinzelt dröhnte ein Beben über die Fläche. Es war weit entfernt, wie ein wegziehendes Gewitter.
Der Sternenhimmel über ihnen jedoch war ohne Wolken und wurde nur durch den Nebel geschützt... Als wollten die Sterne die beste Sicht haben, um die drei einsamen Reisenden zu beobachten.

»Oh bei den Göttern.«, murmelte Nesta.

In der Ferne leuchtete die schummrig beleuchtete Silhouette einer Stadt. Sie war nichts, als ein verlorener Punkt an der Küstenlinie, doch Hoffnungsschimmer genug, um sich zielsicher auf sie zuzubewegen.
Nesta flankierte Rhys, spürend, wie immer mehr Fragen in ihrer Brust stachen, als wollen sie alle mit einem Mal ausbrechen.

»Kennst du da jemanden?«

»Nein, aber ich weiß, dass die anderen Aasfresser dort vielleicht hingegangen sind... Zumindest wollten sie es. Damals hatten sie es vor.«

»Aber?«

»Das Meer ist gefährlicher als du denkst.« In dem Moment, wie sie ein weiteres Mal den Weg wechselten, um auf die Stadt zuzuhalten, dröhnte ein Schlag von der Ferne. Er hörte sich an, als habe jemand mit stärkster Kraft auf einen Tisch geschlagen, dass sich dieser unter der Kraft spaltete. Das dröhnende Geräusch wurde untermauert von einem Schaben und den schrillen Schreien eines Wesen.

Mit einem Mal beschleunigte Rhys sein Tempo. Mit Nox auf dem Arm stürmte er den Abhang herunter, hin zu der Stadt, die am Fuße einer Klippe im Strand gebettet lag.

Nesta schloss sich ihm an.
Sie konnte nur hoffen, diese Nacht zu überleben. Nun, wo sie es so weit geschafft hatte.

Die Raben der Götterحيث تعيش القصص. اكتشف الآن