Kapitel 4.2 - eiskalte Erkenntnis

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Die Hitze im Zimmer fuhr sich wieder herunter. Dort war nichts mehr, außer ein am Boden zerstörtes Kind, das sich in den Stoff der Pritsche krallte.

Niemand fasste ihn an. Sie hatten einen sicherheits-wahrenden Abstand zu ihm aufgebaut. Eine Haltung, die aus purer Angst entstanden war.

»Hatte er das schon einmal?«, stotterte Dougal verwundert und sah erst Rhys, dann Nesta an. Beide schüttelten langsam den Kopf.

»Nein«, sagte Nesta schließlich, aber traute sich dann sich herunterzubeugen, um den Kopf ihres Bruders zu streicheln. Er fühlte sich nicht  mehr heiß an. Nahezu eisig war seine Haut.
Er war wie ausgebrannt worden. Jedes Feuer war aus ihm entwichen... nicht nur die Flamme seines Herzens, sondern auch das feurige Lodern seines Blutes. Es war erloschen, wie eine Kerze im Wind.

»Du sagtest verflucht«, stellte Dougal mit Blick auf Nesta fest. »Warum? Wie kamst du dazu?«

Nesta presste die Lippen zusammen und ließ ihren Blick zu Rhys schweifen, der komplett schutzlos in der Situation stand. Ihm schien nicht zu behagen, dass er sich vor einer Bedrohung befand, die er nicht erschießen konnte. Ihm gefiel nicht, dass dies ein Gott war, der sich beunruhigend bodenständig verhielt.

Er ist fast... selbst wie ein Jugendlicher , stellte Nesta fest und umging weiterhin, Dougal in die Augen zu sehen.

Der Zahn der Zeit biss sich nicht an den Göttern fest, sondern wetzte sich vielmehr an ihnen, um die Menschen zu befallen. Die Götter alterten langsam und kamen nie in einer optischen Erscheinung an, dass sie wirkten, wie alte Menschen.
Nesta fragte sich, ob dies auch für ihren Verstand galt. Fintan war der jüngste der Brüder. Es würde ansatzweise erklären, wieso er sich wie ein Kind aufführte... Und wieso er mit den Menschen umging, als seien sie ungeliebtes Spielzeug, das in der Ecke liegen bleiben konnte.

»Er trägt Fintans Blut in sich«, murmelte Nesta verwaschen. »Er hatte aber sowas noch nie! Ich weiß nicht, was das ist. Das kommt nie wieder vor.«

Dougal lächelte nur. Nein, er lächelte nicht. Er grinste. Die Zähne waren weiß vor der dunklen Haut, als er sich vorlehnte, um Nox zu betrachten.
»Ich tu ihm nichts.«

»Das sagt sich schnell«, platzte es aus Rhys heraus.

"Ich bin eure einzige Hoffnung", behauptete Dougal, als würde dies seine kindliche Neugierde begründen. Für einen Moment wirkte er, als wolle er sich hinhocken, doch kniff dann schmerzverzerrt die Augen zusammen.

Stattdessen ging die schwarzhaarige Frau vor Nox auf die Knie und betrachtete ihn eine Weile.

Nesta zog die Hände von seinen Haaren. Sie schämte sich für diesen Gedanken, doch wollte sie nicht wieder verbrannt werden.

»Na, Kleiner«, murmelte die Heilerin sanft.

Rhys lieb bissig. »Wir kommen auch gut ohne ihre Hilfe klar.«

»Willst du nun noch für mich arbeiten, oder nicht?«, fragte Dougal über seine Schulter hinweg, woraufhin Rhys auf die Pritsche zurückfiel.

Der Junge kniff die Lider zusammen. »Ich weiß nicht mehr, was ich will. Wir sind heute Morgen hier erst angekommen.«

»Heute?«

»Ja.«

»Dann müsst ihr euch ja wirklich überfordert vorkommen.«

»Darauf erwarten Sie doch jetzt wohl hoffentlich keine Antwort von mir.«

»Also war das Kind gerade bestimmt nur überreizt. Irgendwo musste der seinen Frust rauslassen.«, stellte Dougal fest.

»Das war wohl kein normaler Trotz-Anfall eines Kleinkindes. Er hat Fintans Blut in sich.«

Dougals Lachen war tief und humorlos. »Ach was. Sowas gibt es nicht. Das ist irgendeine Spinnerei, die sich Fintan ausgedacht hat. Niemand hat hier irgendein Blut von irgendwem in seinem Körper.«

Als Nestas Blick nur stumpf und verständnislos blieb, fügte er erklärend hinzu: »Ich bezweifle, dass Fintan mit deiner Mutter ein Kind gezeugt hat. Das hätte Fintan nie getan. Der Kerl verachtet die Menschen.«

»Er verachtet die meisten Menschen.«, korrigierte Rhys und erntete dafür einen strafenden Blick von Dougal. Der Gott verachtete es offensichtlich, korrigiert zu werden.

Es gab Menschen in Fintans Reich, die in guten Verhältnissen lebten.
Sie hausten in ansehnlichen Herrenhäusern, so sagte man. Es hieß allerdings auch, dass nur ein oder zwei Familien die Güte und Respekt Fintans erfuhren.

Fintan sah sich gezwungen, Menschen als seine Berater zu nehmen. Sie waren die einzigen Wesen in seinem Reich, die Gefühle besaßen.
Der Gott war aus einem unbekannten Grund nicht in der Lage, Monster mit Gefühlen zu erschaffen. Alles was er zeugte, waren stumpfe Wesen, die Befehle ausführten.
Einigen von ihnen hatte Fintan so gezielte Befehle gegeben, dass es sich anfühlte, als hätten sie Emotionen. Sie lachten, oder konnten die optischen Reaktionen von Wut zeigen... Doch richtig fühlen taten sie es nie. Sie reagierten nur optisch auf gewisse Reize.

Die Menschen blieben die einzigen Wesen mit Gefühle.
Und Fintans Stolz wurmte sich an diesem Fakt.

Dougal lehnte sich an die Wand. »Fintan wird wohl trotzdem kaum sein Blut irgendeinem menschlichen Kind einverleibt haben.. So funktioniert das nicht. Er hat euch das bloß erzählt, um potenziell Magier aus dem Weg zu schaffen.«

»Ach du Schreck. Magier.«, spottete Nesta. »Magier. Ja. Magier.«

»Wenn du möchtest, können wir sein Talent schulen lassen.«

»Nein. Nox bleibt wie er ist. Solange man nicht versucht, ihn zu Tode zu ängstigen, ist der Junge auch Herr seiner selbst. Er hat immer Kontrolle über sich gehabt. Bisher.«

Rhys setzte sich aufrecht hin und starrte von Reuel zu Dougal. »Bevor wir jetzt noch mehr in einen Plausch verfallen. Was sollen wir tun? Was hast du mit uns vor, wenn wir uns dir anschließen?«

»Spionage.«, antwortete Dougal nüchtern mit einem Schulterzucken, als sei das Thema für ihn alltäglich. »Wir haben schon mehrere... Also einige andere von Fintans Reich bei uns aufgenommen. Wir wollen wissen, wie die Gegenseite aussieht. Menschen sind gute Spitzel. Und vor allem ihr, mit Verlaub, kennt es ja, euch zu verstecken.«

»Wo werden wir also leben?«

»Damals gab es eine große Stadt, namens Caim. Der Krieg hat noch viel von ihr übergelassen und so leben auch noch viele Menschen dort. Wir haben ein Haus gefunden, in dem ihr unterkommen könnt... Zusammen mit einigen anderen Flüchtlingen. Ich erwarte aber im Gegenzug dazu eure Bereitschaft, Hand anzulegen, wenn ich euch einen Auftrag gebe.« Beim letzten Satz lag sein Augenmerk besonders auf Rhys.
Dougal wippte auf die Fersen zurück und balancierte sein Gewicht mit dem Gehstock aus. »Ich kann und werde mich nicht für meinen Bruder entschuldigen... Aber seid euch gewiss, dass ihr mein Mitleid habt, dafür, was ihr erleben musstet.«

»Und trotzdem lassen Sie zu, dass wir ihnen als Mörder dienen.«, stellte Nesta fest.

»Tut nicht so, als würdet ihr das nicht wollen. Ihr braucht ein Spielzeug, an dem ihr euren Frust ablassen könnt. Seid dankbar, dass ich euch genug mit Aufträgen versorgen werden.« Er lächelte schwach. »Ich weiß, wie sehr ihr euch danach sehnt, jemand anderen so leiden lassen, wie ihr es habt. So sind alle Menschen. Und anders bin auch ich selbst nicht. Wir verfolgen dasselbe Ziel. Rache.«

Die Raben der GötterWhere stories live. Discover now