15

7.7K 173 6
                                    

Keyla

Nachdem Jacob und ich vor einer Woche auf dem Dach waren, hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. Ich weiß nicht ob ich das gut oder schlecht fand. Ich konnte meine Gefühle nicht so wirklich einordnen.

Gedankenverloren ging ich durch die schicke Villen Gegend, da ich gerade auf dem Nachhauseweg von Lilly war. Wir hatten uns vorhin getroffen, da wir ein Schulprojekt fertig gemacht haben.
Ich lief um die nächste Ecke und erstarrte. Ich blieb ruckartig, angewurzelt stehen.

Ich traute meinen Augen nicht so recht.
Ich sah meinen Stiefvater, der gerade aus einer der Villen, weiter hinten in der Straße rauskam. Hinter ihm erschien eine schlanke, blonde Frau. Einer von den beiden hatte anscheinend gerade etwas lustiges gesagt, denn beide fingen an zu lachen. Dann machte die große Frau auf meinen Dad einen Schritt zu und die beiden küssten sich.

Ich hielt erschrocken die Luft an und machte ein paar Schritte rückwärts. Dann drehte ich mich um und fing an zu rennen, ich hatte genug gesehen.
Meine Sicht verschwamm leicht, als mir ein paar Tränen über die Wange liefen.
Doch ich rannte einfach weiter, bis ich an einem Park ankam. Ich ließ mich dort weinend auf eine Bank fallen und kauerte mich zusammen. Eigentlich weinte ich nie, aber das war gerade einfach zu viel.

Mein Vater hatte meine Mutter betrogen, schoss es mir durch den Kopf.
Ich wusste, dass es zwischen ihnen nicht gut lief und ich mir wünschte, sie würden sich einfach trennen. Und dennoch war das kein Grund ihr fremd zu gehen. Warum hatte er sich nicht einfach von ihr getrennt? Was brachte ihm das? Es fühlte sich so an als hätte er auch mich betrogen.

Ich weiß nicht warum, aber in dem Moment als ich die beiden gesehen hatte, fühlte es sich so an, als hätte ich jetzt beide Elternteile verloren. Sie hatten mich beide zu oft enttäuscht und ich fühlte ein großes Loch in meinem Herzen.
Eigentlich hätte meine Mutter das doch verdient. Aber warum fühlte ich mich dann so schlecht? Sollte ich es ihr erzählen? Sie hätte ein Recht drauf, aber ich schuldete ihr nichts, absolut gar nichts. Man verdammt, warum kam immer ich in so scheiß Situation?
Danke Dad, das hast du wirklich gut hinbekommen. Ein riesengroßer Applaus für dich und ich lachte kurz auf.

Ich zog meine Beine noch enger an meinen Körper und vergrub meinen Kopf in meine Knie.
„Hey alles gut?", fragte eine Person vor mir. Ich saß anscheinend eine ganze Weile hier, denn als ich meinen Kopf leicht erschrocken hob, war es schon dämmrig geworden. „Keyla?", fragte die Person vor mir. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und sah die Person an. „Jacob", stellte ich etwas erschrocken fest. Wieso sah er mich immer, wenn es mir schlecht ging und ich scheiße aussah?
„W-was machst du d-denn hier?", fragte ich mit leicht zittriger Stimme. „Das gleiche könnte ich dich fragen. Darf ich?", fragte er und zeigte neben mich. Ich nickte nur und er setzte sich neben mich auf die Bank.

„Was ist los?", fragte er mich. „Willst du nicht wissen", entgegnete ich ihm und versuchte dabei meine Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen. Er schwieg. Und ich war ihm dafür echt dankbar.
Ich fing leicht an zu zittern, da es inzwischen schon echt sehr kalt geworden war. Jacob schien das anscheinend zu merken und rückte näher an mich und schloss mich in seine Arme. Kaum hatte er das getan, fühlte ich seine Wärme und ich fühlte mich irgendwie sicher.

Ich lehnte meinen Kopf gegen seine Brust und eine Träne rollte meine Wange runter. „Nicht weinen, key", flüsterte er und wischte die Träne mit einem Finger weg. „Warum?", flüsterte ich. „Warum was?", fragte er. „Warum bist du gerade so nett zu mir?"  Er zuckte leicht mit den Schultern und meinte „Du bist anders." Inwiefern?", hakte ich nach. „Deine Art, ich mag sie", grinste er. „Mhm", gab ich nur von mir, mehr fiel ihm nicht ein?
Ich fühlte mich geborgen in seinen Armen und er tröstete mich, ohne zu wissen weswegen. Und irgendwie hatte er mich vor einem Zusammenbruch gerettet. Er hatte nicht jetzt schon zwei mal gerettet, ich schuldete ihm wirklich was.

Ich löste mich langsam aus seiner Umarmung und sagte „Ich glaube ich muss langsam mal nach Hause." „Ich bring dich", sagte er und erhob sich. „Schon gut, ich schaffe das. Ist nicht so weit von hier." „Wie weit?", fragte er.
„Ach nur zwanzig Minuten", erwiderte ich. „Kommt gar nicht in Frage, ich lasse dich so spät nicht alleine hier rumlaufen."
„Aber ic..." „Keine Widerrede", unterbrach er mich. Ich seufzte, er war einfach zu stur, dass wusste ich jetzt mittlerweile. „Also wo lang?", fragte er und schaute mich dabei an. „Hier", und nickte mit dem Kopf geradeaus. „Na dann", sagte er und lief los.

Den ganzen Weg nach Hause sagte keiner von uns ein Wort. Und ich genoss einfach die Stille.
Ich schaute in den Himmel und es bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen. „Was?", fragte Jacob, der mein Lächeln anscheinend bemerkt hatte. „Keine Ahnung", sagte ich, immer noch lächelnd.
Er schüttelte nur leicht lachend den Kopf, sagte aber nichts mehr .

„Wir sind da", sagte ich und blieb stehen.
Wir standen vor dem großen hässlichen Hochhaus. „Hier wohnst du also", stellte er fest und sah das Haus an. „Ich weiß nicht wirklich schön", gab ich zu. „Ach gibt schlimmere und so schlecht sieht's nicht aus, ist halt ein Hochhaus", meinte er.

Wir standen vor der Wohnungstür, denn Jacob hatte doch tatsächlich darauf bestanden mich bis zur Tür zu bringen. Unfassbar wie stur ein Mensch sein konnte. Aber irgendwie war es süß.
„Ähm, also danke fürs nach Hause bringen", sagte ich etwas unbeholfen. „Immer wieder", grinste er.
Bevor ich die Tür aufschloss drehte ich mich noch einmal um und fragte „Wie kommst du jetzt eigentlich nach Hause?" Da ich jetzt schon ein schlechtes Gewissen hatte, weil er wahrscheinlich den ganzen Weg wieder zurück laufen musste. „Lass das mal meine Sorge sein", winkte er ab und lief die Treppen runter. Irgendwie wurde man aus diesem Jungen nicht so wirklich schlau, anscheinend redete er nicht gerne über sich. Genau wie ich.

Ich schloss die Tür leise auf, in der Hoffnung, dass mich keiner hören würde.
„Keyla", rief meine Mutter aus dem Wohnzimmer. Mist, sie hatte mich anscheinend gehört. „Was?", fragte ich und lief ins Wohnzimmer. „Was hat das so lange gedauert, wir haben fast 11 Uhr", schaute sie mich vorwurfsvoll an. „Hat halt länger gedauert als gedacht", sagte ich und zuckte mit den Schultern.
Meine Mutter sah mich mit hochgezogener Augenbraun an, sagte aber nichts mehr. Entweder interessierte es sie nicht, oder sie hatte keine Lust auf Streit.

Ich war schon fast aus dem Wohnzimmer draußen als ich mich umdrehte „Cara, wo ist Dad?", fragte ich. „Er hat sich eine extra Schicht genommen, aber er sollte jetzt gleich kommen", entgegnete sie mir müde. Ich nickte traurig und ging in mein Zimmer.
Wenn sie wüsste.

BreathtakingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt