Flucht

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Benommen blinzelte ich, meine Augen taten weh von dem grellen weiß des Flugzeuges. Elijah! Ich drehte mich zu ihm um. Seine Augen waren verschlossen, seine geballte Faust verriet mir jedoch, dass er am leben war. Ich rüttelte erleichtert an ihm. Er riss entsetzt und ruckartig die Augen auf und sah mich an. "Scheiße!", flüsterte er. "Scheiße verdammt!" Er richtete sich stöhend auf und ließ seine Finger knacken. "Wir leben, Elijah!", sagte ich ihm. Er sah mich mit einem seltsamen Blick an. "Es ist zu still", sagte er ein wenig benommen. Dann musterte er mich. "Du blutest", bemerkte er. Erschrocken starrte ich ihn an. Langsam befühlte ich meine Stirn. Als ich meine Finger wieder betrachtete, klebte frisches Blut daran. Ich wurde panisch, denn langsam begann es zu schmerzen. "Das ist nicht schlimm. Das macht nichts", redete er mir ein. "Meinst du wir sind die einzigen die...", fragte ich zittrig. Er blieb still. Nichts. Er setzte an um etwas zu sagen, da hörten wir ein stöhnen. Lautes atmen. Wir sprangen auf und liefen durch den Gang. Niemand war stark verletzt. Möglich dass sie nur nicht beim Bewusstsein waren. Aber weder Elijah noch ich trauten uns, auch nur einen von ihnen anzufassen. Das Atmen kam von vorne. Es war laut und ich vermutete, dass jemand daher sehr verletzt war. Da hörten wir, wie jemand die Tür aufbrach.  Wir wechselten einen misstrauischen Blick und begannen schneller zu suchen. Es war das Mädchen. Das Mädchen mit dem Buch. Sie hatte genauso wie ich eine Platzwunde, sie jedoch am Hinterkopf. Ich musste würgen als ich ihren Nacken sah, an dem Blut langsam herunterlief. "Das war kein schlimmer Absturz. Die anderen haben vermutlich auch überlebt. Aber die meisten sind anscheinend mit dem Kopf irgendwo dagegengeknallt und sind bewusstlos", flüsterte Elijah mir zu. Ich nickte. Mein Kopf dröhnte. Ohne ein weiteres Wort hob er das Mädchen hoch und lief zur Toilette. Ich folgte ihm. Sobald wir in der geräumigen Toilette waren, sperrte er ab. Er setzte das Mädchenauf dem Boden ab, nahm sich ein Tuch, hielt es unter das Wasser und hielt es ihr auf die Wunde. Sie öffnete vorsichtig die Augen und sah mich ausdruckslos an. "Ich weiß nicht wer gerade in das Flugzeug reinkommt, aber ich glaube nicht, dass sie es gut meinen. So kurz nach dem Absturz...Das kann kein Zufall sein. Wir hauen ab wenn der richtige Zeitpunkt kommt", erklärte Elijah während er die Wunde des Mädchens säuberte. Sie sah gar nicht so schlimm aus. Dann begann er auch, meine Wunde abzustupfen. Ich unterdrückte einen Aufschrei, das Wasser brannte wie Feuer auf meiner offenen Wunde. "Sie leben alle noch!", hörze ich eine Männerstimme schreien. "Nicht schlimm. Es geht mir nur um sie", brummte eine andere, raue Männerstimme zurück. "Du hättest sie auch auf den Dorfauftritten töten können", mischte sich eine Frauenstimme ein. "Bis dahin hätte sie vielleicht...zu viel geredet. Außerdem würde mich niemand mehr wählen wenn ich einfach so ein scheinbar unschludiges Mädchen töten würde", antwortete die raue Männerstimme. "Hier hinten ist sie nicht", sagte der andere Mann. "Was wäre wenn hier noch anderen Menschen etwas schlimmes passiert wäre? Wir können von Glück reden dass es ein harmloser Absturz war" Die Frau ließ nicht locker. "Jinah. Suchen Sie einfach das Mädchen", knurrte die raue Stimme. Die Schritte kamen näher. "Sie wollen tatsächlich nichts gutes!", flüsterte ich so leise es geht. "Wir sitzen in der Klemme", meinte das Mädchen, dem es wieder deutlich besser geht. "Könnt ihr rennen?", fragte Elijah, der als einziger komplett unversehrt war. Ich wechselte einen Blick mit dem Mädchen. "Ja", sagten wir beide gleichzeitig. Unsere Wunden bluteten jetzt weniger. "Ich kämpfe, ihr rennt. Einverstanden?", fragte Elijah. Ohne zu Überlegen nickten wir. Elijah stieß die Türf auf. "Vielleicht ist es ja nicht nötig zu kämpfen und sie lassen uns gehen", murmelte er leise. Als wir in den Gang traten, richteten sich drei Waffen auf unsere Gesichter. Elijah zuckte zusammen. Schnell versteckte sich das Mädchen hinter mir. Ich ließ sie. "Locker bleiben!", sagte Elijah. Die drei ließen ihre Waffen sinken. "Das sind nur überlebende. Lass sie gehen", sagte die Frau. Der Mann in der Mitte nickte zu der offen stehenden Tür. Mein Herz setzte für einen Moment aus. Es war er. Klark Andersion. Seine kristallblauen Augen fixierten meine. Meine Armhaare stellten sich auf und ich bekam eine Gänsehaut. Am liebsten würde ich flüchten und Elijah und das Mädchen ihrem Schicksal überlassen. Aber dafür war mir Elijah schon zu sehr ans Herz gewachsen. Ich zwang mich schließlich, ruhig stehen zu bleiben, und dem verängstigten Mädchen Deckung zu geben. Elijah ging Richtung Tür und ich folgte ihm. Das Mädchen hielt sich an meinem T-Shirt fest wie ein kleines Kind und versuchte, immer hinter mir zu bleiben. Elijah war schon am Ausgang angekommen, als Klark auch das Mädchen sah. "Stopp!", befahl er. Das Mädchen versuchte mich weiterzuschieben, aber ich hatte eine solche Angst vor Klark, dass ich gehorchte. Ivh biss mir auf die Lippen. Warum kam er mir so vertraut vor? Warum wusste ich, dass ich Angst vor ihm haben musste? "Wer ist das?", fragte er und deutete hinter mich. Das Mädchen hatte ihm den Rücken zugewandt und nur ihr dunkler Haarschopf war zu sehen. "Das ist...", begann ich, doch dann fiel mir ein, dass ich es selber nicht wusste. "Dreh dich um", kommandierte die Frau. Als das Mädchen nicht reagierte, hob Klark erneut seine Waffe. "Er hat eine Waffe, dreh dich um!", flehte ich, meinen Blick auf den Lauf der Pistole geheftet. Sie war geladen. Ein einziger Druck auf den Knopf genügte, um uns zu töten. Ich begann zu zittern und verspürte eine Wut auf das Mädchen. Es brauchte sich doch nur umzudrehen, um uns das Leben zu retten. "LAUFT!", schrie sie, drehte sich um und schlug Klark geschickt die Waffe aus der Hand. Sie nahm sie an sich und rannte los. Sie war unglaublich schnell und geschickt, und ich taumelte hilflos hointer ihr und Elijah her. Der Zusammenhang fehlte. Warum liefen wir jetzt vor den bewaffneten Leuten weg? Mein Gehirn arbeitete zu langsam. Ich wusste nicht warum wir flüchteten, warum das Mädchen sich nicht einfach gezeigt hatte. Ich kapierte es einfach nicht. Auch die anderen zwei hatten Waffen, sie könnten uns in wenigen Momenten erschießen. Da wurde Elijah langsamer, bis er neben mir herlief. Er nahm meine Hand und zog mich mit unerwarteter Kraft schnell nach vorne. Das Mädchen drehte sich um und zielte mit der Waffe auf die Frau. Ein lauter knall ertönte, dann folgte ein klägliches Gejaul. Ich wusste, das sie geschossen und getroffen hatte. "Dzu hast sie erschossen?!", schrie ich aufgebracht, mein Kopf schmerzte immer mehr. "Ich hab ihr ins Bein geschossen, davon stirbt sie ja wohl nicht!", brüllte das Mädchen zurück. Ich blickte mich suchend um. Wir waren auf einem anderen Flugplatz abgestürzt. Eindeutig geplant, Elijah hatte Recht. Links und Rechts von uns mündete eine ausgetrockete, gelbliche Wiese, hinter dem Flugzeug musste eine Straße sein, die einzige Stelle, an der kein Zaun war. Wir liefen in die falsche Richtung. "Elijah!", rief ich, doch er rannte einfach weiter. Es waren nur noch wenige Meter, als auch Elijah den hohen Zaun bemerkte. "Shit!", fluchte das Mädchen. Ich schaute nach hinten und bemerkte, dass Klark und der Mann uns hinterhergestürmt kamen. Die Frau lehnte an der Wand und hielt sich schreiend ihr Bein. "Hoch da", sagte ich kruzerhand und zog mich an dem Gitterzaun hoch. Ich wusste, dass mich oben ein schmerzhafter Abstieg über Stacheldrahtzaun erwarten würde, aber wir hatten keine Wahl. Neben mir schwang sich Elijah hoch, das Mädchen kletterte neben ihm. Etwa einen halben Metrer nach dem ersten Zaun erstreckte sich ein zweiter, darüber war ebenfalls ein Gitter, auf dem der Stacheldraht aufgebaut war. Ich versuchte meine Hand so zu positionieren, dass sie nicht veletzt wurde. Ein kleiner Drat, der aufrecht etwa einen Zentimeter nach oben stand, bohrte sich in meine Haut. Ich merkte, dass der Zaun mit diesen kleinen Drähten übersät war. Ich biss mir auf die Lippe und zog mich hoch. Aus meiner Hand floss Blut, der Draht hatte sich weit darin hereingebohrt. Ich stand nun mit den Füßen auf dem Draht und wusste, dass meine Schuhe nun hinüber waren. Ich schaute hinunter. Drei Meter. Allerhöchstens. Ich sprang kurzerhand herunter und knallte mit den Füßen auf. Mein Sprunggelenk durchfuhr ein Schmerz, der jedoch schnell wieder vorrüber war. Ich konnte weiterlaufen, und ich war nicht mit meiner offenen Hand aufgekommen. Das war schonmal gut. Neben mir landete Elijah, ebenfalls auf den Füßen, seine Hände waren ebenfalls blutig. Achtlos schmierte er das Blut an seiner Kleidung ab. Das Mädchen fiel neben ihm zu Boden, halb auf den Füßen, halb auf den Händen, halb auf den Knien. Ihre Hände waren jedoch unversehrt, ich wusste nicht wie sie das geschafft hatte, aber ich vermutete, dass ihr harter Aufprall ebenfalls nicht angenehm war. Sie fluchte lautstark und betrachtete ihre Hände Harmlose Schrammer von dem unebenen Boden und ihre weiße Hose färbte sich an ihren Knien ein wenig rot. "Los, weiter!", befahl ich und wir liefen eilig weiter. Vor uns mündete ein Wald, die Bäume waren teils verdorrt und krank, teils grasgrün und voller Leben. Der ausgetrocknete, raue Untergrund verwandelte sich in sanftes Moos, und die Trockenheit der dorren Bäume lagen nach weniger Zeit ebenfalls hinter uns. Es war wie im Märchen, wie magisch, wie sich eine trockene Wüstenlandschaft so schnell in einen tropischen Urwald verwandeln konnte. Ich hatte noch nie eine solch fabelhafte Landschaft gesehen. Die Pflanzen wurden immer feuchter, das Grün wurde immer saftiger und die Singvögel sangen immer lauter und schöner. Wir streiften wortlos durch den dichten Farn, die Luft wurde schwül und stickig. "Eben noch ein Wüstengebiet und jetzt das", staunte das Mädchen nach einer Weile. Erneute stille. Wir wussten, dass wir unsere Feinde längst abgehängt hatten, gingen jedoch immer weiter durch die prächtige Farbenpracht der Natur. Eine solche Schönheit hatte ich noch nie gesehen. "Wir haben uns einander noch gar nicht vorgestellt", fiel Elijah plötzlich auf. "Ich heiße Samira", stellte sch das Mädchen vor. Sie strich sich ihre dunklen Strähnen schüchtern zurück. Sie war einechtes Rätsel. Eben noch war sie bestimmerisch und hart, jetzt zurückhaltend und schüchtern. Sie war mir defintiv nicht sympatisch. "Jeaney", antwortete ich und mir fiel im selben Moment auf, dass ich Elijah nicht mal meinen Namen verraten hatte. Es war eine ausgesprochen nette Geste mich trotzdem mitzunehmen und mich vor dem Alarm im Dorf zu schützen. Ich schämte mich, dass ich mich ihm noch nicht vorgestellt hatte. Er lächelte und ich merkte, dass ihm genau das selbe durch den Kopf ging. "Elijah". Ich starrte auf den Boden und versuchte mir vorzustellen, wie ich wieder zu Cency und meiner Familie gelangen würde. Ich sorgte mich um Cency. Für sie war ich ihr Vorbild und eine Bezugsperson die sie im Alltag brauchte. Die Gefühle mischten sich wie in einem Suppentopf. Die Angst, weil wir mitten in einem seltsamen Wald waren, die Hoffnung, weil ich nicht alleine war, aber auch die Trauer und Reue, dass ich mit Elijah gegangen bin. "Wir sitzen hier fest", murmelte ich und Elijah warf mir einen mitfühlenden Blick zu. Das ließ den Topf überschwappen. Ich brauchte kein Mitleid, ich brauchte einen Plan. "WIR SITZEN HIER MITTEN IM WALD FEST, VERDAMMT!", schrie ich und sogar Samira warf mir einen erschrockenen Blick zu. Elijah wollte etwas sagen, doch ich ließ ihn nicht anfangen zu reden. "Wir haben kein Plan, wir wissen nicht wo wir sind, und wurden gerade eben grundlos von einem bewaffneten Klark Andersion verfolgt. Verdammt, ich habe eine Familie die ich brauche, und die mich braucht!", fasste ich aufgebracht zusammen. Jetzt schaute Elijah mich nicht mehr so mitleidig an. Als wäre ich ein kleines Kind. Jetzt schaute er mich betroffen an und ich wusste, dass es ihm genauso geht. "Ich habe einen kleinen Bruder, Jiin. Er ist ganz alleine zuhause. Also falls du denkst du bist die einzige mit Familie, dann hast du dich getäuscht", sagte er und sein Blick bohrte sich in meinen. Seine Stimme war ruhig und friedlich, doch sein Blick war hartnäckig, er wendete sich nicht ab sondern starrte mir nur audruckslos in die Augen. Seine Augen waren plötzlich so kalt und abweisend, aber auch gefühlslos, dass es beängstigend war. Es mischten sich förmlich alle negativen Gefühlen in ihm. Das schreckliche war, dass man es nur  in seinen glänzend blauen Augen sah. Sein Gesicht blieb unverändert und er lächelte sogar leicht. Ich senkte meinen Blick und biss mir auf die Unterlippe. "Wir haben also kein Plan wo wir sind?", fragte Samira und zunterbrach die peinliche Stille. "Keinen Plan", wiederholte ich leise, was nicht einmal als Antwort bestimmt war. Trotzdem nickte Samira wissend. Es beunruhigte mich. "Wir können nicht zurückkehren. Wenn die Leute wirklich alle überlebt haben sollten, dass wird wohl bald ein Ersatzflieger geschickt. Aber ich denke das Klark und seine Leute dort auf uns warten werden", überlegte Elijah laut. "Möglich, aber besser als im Wald zu sterben", schnaubte ich und erntete einen bösen Blick. Es war besser wenn ich meine Klappe hielt, und das Denken den beiden überließ. Doch eine Frage keimte in mir auf und wurde immer größer, bis ich sie nicht mehr zurückhalten können. "Warum sind sie hinter uns her? Nur hinter uns?", hakte ich mit einem skeptischen Blick zu Samira nach. Ich bemerkte wie sich ihre Augen weiteten, sie strich dich ertappt durch die Haare und sah vorsichtig zu Elijah. Er musterte sie ebenfalls, jedoch nicht so lauernd und gefährlich wie ich, sondern eher...neugierig. Was hatte Samira zu verbergen? "Samira?", fragte ich und schaute ihr streng in ihre Augen. Sie schluckte und setzte mehrmals an, etwas zu sagen, doch ihre Stimme versagte jedes mal. Sie schwieg und ich sah die Angst und den Zweifel in ihren Augen. Etwas stimmte nicht mir ihr. Sie fasste sich unruhig und immer noch still an ihre Wunde. Anders wie meine schien sie immer noch stark zu bluten. Sie schwankte und warf mir einen ehrfürchtigen Blick zu. Als hätte sie respekt vor mir. Als hätte sie wahrhaftig Angst vor mir. Kurz stieg ein Gefühl der Macht in mir auf, es war herrlich zu wissen, das ich Samira kontrollieren konnte, das sie sich vor mir fürchtete. Doch es war nicht die Angst vor mir selbst, stellte ich nach kurzem Blickkontakt fest. Es war erstaunend, wie viel man anhand eines Augenkontaktes über jemanden herausfinden konnte. Immer noch war dieser ehrfürchtige Blick in ihrem Gesicht. Ich wusste, dass sie Angst vor meiner Reaktion hatte. Und ich hatte Angst vor ihrer Antwort auf meine Frage. Was konnte Samira so aus der Fassung bringen. Erneut griff sie sich an ihre Wunde. Ihre Fingerspitzen waren voller Blut. "Sie sind nicht hinter uns her. Sondern hinter mir" Dann schwankte sie in Elijahs Richtung und fiel bewusstlos in seine Arme.

Before my lifeWhere stories live. Discover now