Prolog

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"Manu?" Das Klopfen an der Tür hallte in seinem Schädel wieder und das helle Licht, das in das dunkle Zimmer fiel, als sie sich öffnete, ließ ihn heftig blinzeln. Mit wackeligen Beinen stand er wieder auf und machte einen unkoordinierten Schritt auf Patrick zu, der zu ihm in den Raum geschlüpft kam.

"Was ist los?" Patrick lallte etwas, seine kurzen Haare standen in alle Richtungen ab. Als er das Licht anmachte, sah Manuel auch, dass sein weißes Hemd zerknittert war, das Jackett trug er gar nicht mehr. Trotz der roten Wangen und den glasigen Augen, war er für Manuel der attraktivste Junge, den es gab.

"Mir ist ein bisschen schlecht." Gab Manuel zu, während Patrick zu ihm kam. Er hatte zu viel getrunken, viel zu viel. In der Cola, die Patrick ihm gebracht hatte, war Whiskey gewesen, wie genau es wer auch immer geschafft hatte, den Alkohol auf das Schulgelände zu schmuggeln, das wusste er nicht. Aber was war schon ein Abschlussfest ohne Alkohol? Das hatte auch Patrick gesagt, als der Alkohol aus der Cola zu wirken begonnen hatte. Und so hatte Manuel weiter getrunken. Shots mit seiner besten Freundin, Bacardi mit Patrick und ihren Jungs.

Dann hatte er Patrick in der tanzenden Menge und der lauten Musik verloren und war allein weiter gezogen. Über die Tanzfläche, die sie extra nach der Abiturzeugnisvergabe gebucht und auf dem Schulhof aufgebaut hatten, bis die Shots ihre Wirkung entfalten hatten. Dann war er auf das Männerklo geflohen, wo ihn nun Patrick gefunden hatte.

"Hast du zu viel getrunken?" Manuel nickte, bevor er antwortete. "Du hast auch zu viel getrunken." Patrick grinste das vertraute, blöde Grinsen, das Manuel so sehr liebte. "Falsch. Ich habe viel getrunken, aber ich kenne meine Grenzen. Komm."

Patrick trat zu den Waschbecken und drückte so lange an einem der Hähne herum, bis aus diesem Wasser floss. "Komm, trink etwas. Dann geht es dir besser." Manuel, der vorher noch nie so viel getrunken hatte, hatte keine andere Wahl, als seinem Freund zu glauben. Patrick war fast jedes Wochenende betrunken, er musste es also wissen.

Manuel machte einen wackeligen Schritt und dann noch einen. Mit beiden Händen musste er sich an dem kühlen Keramik festhalten. Als er den Kopf senkte, wurde ihm erneut schlecht, doch das kalte Wasser machte es tatsächlich etwas besser.

"Danke." Manuel wurde etwas rot, als Patrick ihm mit einem Papiertuch das Wasser von den Lippen tupfte. "Kein Problem. Wie sieht es aus? Wollen wir zurück zu den anderen?" Patrick fasste seine Hand so selbstverständlich, dass Manuel ihn dafür nur bewundern konnte.

"Einen Moment noch." Bat er leise und schloss kurz die Augen. Er wollte nicht zurück zu den anderen aus seiner Stufe, sondern viel lieber hier mit Patrick in der Stille stehen und schweigen.

"Okay." Patrick hatte seine Lautstärke endlich den Gegebenheiten angepasst. "Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie unfassbar gut du in dem Hemd aussiehst?" Manuel wurde rot und sagte nicht, dass Patrick ihm das schon gesagt hatte, als er ihn Zuhause abgeholt hatte. Verlegen strich er das hellblaue Hemd glatt und zupfte an seiner Hose herum, bevor er Patrick wieder in die braunen Augen sehen konnte.

"Danke. Aber du siehst auch nicht schlecht aus." Das war mehr als nur untertrieben. Patrick hatte in seinem Anzug so gut ausgesehen, dass Manuel, der sich für seine Verhältnisse wirklich herausgeputzt hatte, fast underdressed vorgekommen war. Patrick hatte ihm die Sorgen gekonnt genommen und als er beim Anfahren den Motor seines schwarzen Smarts abgewürgt hatte, hatte Manuel sich wieder gut gefühlt.

"Sehr lieb von dir." Patrick grinste wieder und strich sich mit der Hand durch die zerzausten Haare. Manuel musste unwillkürlich lächeln und biss sich auf die Unterlippe.

Es war Patrick gewesen, der ihn eines schönen Nachmittags einfach gerade heraus gefragt hatte, ob sie gemeinsam auf die Abifeier gehen wollten. Damals hatte die Mehrheit der Stufe noch einen Abiball gewollt, mit klassischen Paartänzen und schicken Klamotten und Manuel, der sich schon ausgemalt hatte, wie er am letzten Tag vor dem Ball immer noch verzweifelt nach einer Begleitung suchte, hatte sofort freudig zugestimmt.

Jetzt gab es statt einem Ball ein Besäufnis mit lauter Musik, er und Patrick waren als einziges schick angezogen und obwohl es nicht nötig war, waren sie trotzdem als Paar zu der Party gekommen. Auch das war nur Zustande gekommen, weil Patrick es gewollt hatte.

Manuel stellte sich trotzdem die Frage, als was sie hier waren. Das hatten sie nie geklärt. Waren sie hier als Freunde, einfach nur so zum Spaß, oder waren sie hier wirklich auf einem Date?

Je länger Manuels betrunkenes Gehirn darüber nachdachte, desto mehr kam er zu dem Schluss, dass das hier ein Date war. Es musste. Und obwohl sie hier auf einem Date waren und beide zu viel Alkohol intus hatten, hatten sie sich immer noch nicht geküsst.

"Habe ich etwas im Gesicht oder warum starrst du mich so an?" Patrick klang belustigt, doch Manuel ließ sich davon nicht beirren. Statt zurück zu weichen, kam er noch etwas näher. Patrick wich nicht aus, sondern hielt ganz still, als Manuel ihm die freie Hand auf die Schulter legte.

Ihre Lippen trafen sich zu einem leidenschaftlichen Kuss, Manuel klammerte sich fest an Patrick, weil diese simple Berührung seinen Bauch zum Brodeln und seine Knie zum Zittern brachte.

Sein Magen verkrampfte sich vor Aufregung oder vom Alkohol, Manuel wusste es nicht. Er wusste nur, dass ihm übel wurde. Richtig übel. Hastig löste er sich von Patrick und stolperte Richtung der Kabinen.

"Manu?" Ohne zu antworten sank er vor der Kloschüssel auf die Fliesen und versuchte sich mit beiden Händen an dem kühlen Keramik festzuhalten, während sein Körper sich zitternd verkrampfte.

Patrick kam zu ihm in die kleine Kabine, Manuel konnte ihm keine Beachtung schenken. Er war so damit beschäftigt, sich zu übergeben, dass es ihm nicht einmal mehr peinlich war, dass der andere direkt neben ihm saß.

"Ist schon gut." Patrick fasste Manuels langen Haare und hielt sie ihm. Mit der anderen Hand streichelte er Manuels Rücken, eine tröstliche Berührung, die Manuel für einige kurze Momente vergessen ließ, wie schlimm die Situation war.

"Ist es jetzt besser?" Manuel nickte und ließ zu, dass Patrick ihm mit etwas Klopapier den Mund abwischte, bevor er spühlte und Manuel umarmte.

"Sehr gut." Patrick streichelte Manuel die Schulter und drückte ihn sanft an seine Brust. "Tut mir Leid." Sagte Manuel schlussendlich in die Stille zwischen ihnen. Patrick kicherte und Manuel spürte für einige Momente die warmen Lippen an seinem Haaransatz. "Schon in Ordnung. Wenn ich nicht so betrunken wäre, wäre mir bestimmt ein lustiger Spruch eingefallen."

Manuel kam nicht mehr dazu, etwas zu antworten, weil er sich ein weiteres Mal übergeben musste. Patrick hielt ihm erneut die Haare zurück und tröstete ihn mit liebevollen Worten, bis Manuel zurück an seine Brust sank und müde die Augen schloss.

"Wir sollten gehen." Sagte Patrick gerade als Manuel fast eingeschlafen war. Manuel brummte leise und sah es gar nicht ein, auch nur die Augen aufzumachen. "Das ist mein Ernst." Redete Patrick leise weiter. Du musst dringend nach Hause ins Bett." Manuel nickte.

Im nächsten Moment, noch bevor er die Worte verarbeitet hatte, wurde Manuel bereits auf die Beine gezogen. Er lehnte sich mit zitternden Knien an Patricks Brust. "Du bist zu betrunken zum Fahren." Sehr zu seiner Erleichterung widersprach Patrick nicht, sondern führte ihn nur aus der Kabine heraus.

"Kann ich dich hier kurz allein lassen? Ich muss noch mein Jackett holen, in Ordnung?"






Broken Bottles ~ Kürbistumor Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt