Kapitel 7

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"Hallo Manuel." Herr Scholl begrüßte ihn mit einem Lächeln und winkte ihm mit seinem Löffel. Manuel zwang sich dazu, ebenfalls die Mundwinkel hoch zu ziehen und nickte ihm freundlich zu.

"Guten Mittag. Brauchen Sie noch Milch zu Ihrem Kaffee?" Der alte Mann schüttelte den Kopf und wies mit dem Löffel auf das kleine Kännchen, das Manuel vor gut einer halben Stunde erst auf den Tisch gestellt hatte, bevor er damit wieder in seiner Tasse rührte.

"Haben Sie ein paar Minuten Zeit oder haben Sie noch viel zu tun?" Fragte er freundlich. Manuel dachte kurz über die Frage nach, bevor er antwortete. "Ich habe ein paar Minuten Zeit. Was gibt es?"

Herr Scholl wies auf den anderen Stuhl an seinem Tisch und obwohl Manuel eigentlich keine Lust und keine Zeit für eine Unterhaltung hatte, setzte er sich brav hin und schlug die Beine übereinander.

"Trinken Sie etwas." Der alte Mann schob Manuel eine saubere Tasse hin und der griff nach der Kaffeekanne, um sich etwas einzuschenken. Er wusste, dass das Gebräu ihm zu schwach sein würde, aber es war besser als nichts.

"Sie sehen müde aus." Merkte der Alte an. Manuel nickte nur und nahm einen Schluck. Anika hatte ihm angeboten, seine Augenringe mit Concealer abzudecken, so wie sie es früher schon häufig gemacht hatte, aber er hatte keine Lust darauf gehabt.

"Hab die Nacht schlecht geschlafen." Murmelte er und nahm gleich noch einen Schluck. Viel zu schwach, aber er sagte nichts. Herr Scholl lächelte ihn freundlich an und rührte weiter in seiner Tasse. "Wollen Sie darüber reden?"

Manuel wollte darüber reden, aber er wusste, dass er die Bewohner nicht mit seinen eigenen Problemen belästigen sollte. Deswegen wollte er den Kopf schütteln, doch dann bemerkte er, dass der Blick seines Gegenübers auf seinem Handgelenk ruhte. Dort sah man immer noch die mittlerweile grünen Flecken. Jetzt ging es nicht mehr, nichts zu sagen.

"Es ist nichts schlimmes passiert." Plötzlich sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. "Mein bester Freund aus der Schule ist vor ein paar Tagen bei mir eingezogen." Herr Scholl nickte, als wolle er ihn zum weiter sprechen animieren. Manuel redete weiter.

"Und die ersten paar Tage war es wirklich schön. Er hat mir morgens Kaffee ans Bett gebracht und abends Essen gekocht." Das waren zwar unnötige Informationen, aber er hatte das Gefühl, Patrick verteidigen zu müssen.

"Vorgestern war er betrunken, als ich nach Hause gekommen bin. Wir sind irgendwie aneinander geraten." Eine Strähne löste sich aus seinem Zopf, er strich sie nachlässig hinter sein Ohr.

"Es war meine Schuld. Ich hab ihm die Flasche weggenommen und das hat ihn offensichtlich verärgert. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe."

Herr Scholl blickte ihn aus seinen blauen Augen an und runzelte die Stirn.

"Hat er Sie geschlagen?" Manuel schüttelte sofort den Kopf. "Nein, natürlich nicht! Nein, er... Er hat mich nur festgehalten." Manuel zog die Hand vom Tisch und versteckte sie zwischen seinen verschränkten Beinen.

"Patrick hat mich nicht geschlagen. Er würde so etwas niemals machen. So ist er nicht. Klar, er stand etwas neben sich, aber so etwas hat er früher nie gemacht. Sowas würde er nie machen."

Herr Scholl legte die Stirn in traurige Falten. Mit der Linken strich er sich durch die weißen Haare, bevor er das Gesicht in die Hand stützte.

"Das habe ich auch mal von mir gedacht." Sagte er dann. Manuel runzelte die Stirn. "Wie meinen Sie das?"

"Genau wie ich es gesagt habe. Ich hätte früher auch nie gedacht, dass mich Alkohol mal aggressiv machen würde. Aber damals wusste ich auch nicht, dass ich mal Alkoholiker sein würde." Manuel verrutschte das Gesicht.

"Ich habe Sie noch nie trinken sehen." Herr Scholl lachte auf. "Ich bin seit fast zwanzig Jahren trocken. Ein Schluck Alkohol und ich werde wieder zu einem Monster."

"Warum erzählen Sie mir das? Patrick ist kein Alkoholiker." Manuel kam nicht umhin, sich ein bisschen angegriffen zu fühlen. Doch der alte Mann lächelte freundlich und rührte in seinem Kaffee. "Das habe ich auch nie behauptet, Manuel. Wissen Sie, ich bin 94 Jahre alt. Ich habe wirklich viel Scheiße gebaut, aber ich habe auch gut daraus gelernt. Es wäre Verschwendung, das nicht an die nächsten Generationen weiter zu geben."

~

"Manu, Schätzchen. Was machst Du denn hier? Komm rein." Manuel trat durch die Haustür in das kleine Haus seiner Mutter. "Wenn du etwas gesagt hättest, dann hätte ich etwas gekocht."

"Du bist meine Mutter und nicht meine Köchin. Ich bin nur hier, weil ich etwas Zeit mit dir verbringen wollte, darf ich das nicht?" Manuel versuchte sich an einem Lächeln und scheiterte kläglich.

"Doch, natürlich darfst du das. Aber du kommst dich sonst nicht einfach so vorbei? Ist etwas passiert? Hat Patrick sich gemeldet?"

Manuel schloss seine Mutter in die Arme und vergrub das Gesicht in ihren Haaren. Sie strich ihm sanft über den Rücken.

"Komm rein. Ich koch dir einen Kaffee und dann erzählst du mir, was passiert ist."

Manuel folgte ihr in die Küche und setzte sich da an den Tisch, wo er das Gesicht in den Händen vergrub.

"Was ist mit deinem Handgelenk passiert? Wieder jemand aus dem Altenheim?" Manuel nickte, weil er keine Lust hatte, das alles schon wieder zu erklären. Und er wollte seiner Mutter gegenüber nichts Schlechtes über seinen besten Freund sagen.

Seine Mutter liebte Patrick. Sie hatte ihn vor über zehn Jahren ins Herz geschlossen, als Manuel Patrick zum ersten Mal mit nach Hause gebracht hatte und seit dem hatte er einen Platz in ihrem Leben.

Patricks Eltern waren damals mitten im schönsten Scheidungskrieg gewesen und in seiner Hilflosigkeit hatte er sich an den damals unbeliebten Manuel gewendet, dessen Eltern sich bereits in seiner Kindheit getrennt hatten.

Patrick hatte ihn in der Schule angesprochen und Manuel hatte ihn kurzentschlossen mit nach Hause genommen. Dort war Patrick dann zusammengebrochen und Manuel hatte in seiner Hilflosigkeit seine Mutter angerufen, die nach Hause gekommen war und die Situation geklärt hatte.

Von dem Moment an waren sie irgendwie Freunde gewesen. Mehr noch. Patrick hatte Manuel mit in seinen Freundeskreis aufgenommen und ihn später sogar mehr oder weniger zu seinem besten Freund erklärt.

Manuels Mutter hatte es geliebt, dass Patrick ihn glücklich gemacht hatte und auch, dass Patrick morgens Unmengen an Essen in sich hinein geschaufelt hatte.

"Manu?" Seine Mutter stellte eine dampfende Tasse vor ihm ab. Er nahm einen großen Schluck und verbrannte sich die Zunge.

"Jetzt sag schon, ich bin neugierig. Hat Patrick sich gemeldet?" Manuel biss sich auf die Unterlippe und nickte langsam. "Es war nett, ihn mal wieder zu sehen." Sie nickte und strich sich durch die Haare.

"Du siehst müde aus." Merkte sie an. Manuel nickte und schloss die Augen. "Ich hab nicht geschlafen. Aber ich bin wegen etwas anderem hier. Kannst du mir was über Papa erzählen?"

Seine Mutter atmete scharf ein, einige Momente lang war es still. Als Manuel die grünen Augen wieder öffnete, sah er, dass ihre Finger in die Tischdecke geklammert waren.

"Warum fragst du? Hat er sich bei dir gemeldet?" Manuel schüttelte den Kopf. "Nein, hat er nicht. Patrick hat mir aber erzählt, dass er immer noch Kontakt zu seinem Vater hat und da wollte ich einfach mal nachfragen, warum Papa sich nie gemeldet hat."

Er sah seine Mutter fest an, sie seufzte leise und senkte den Blick. "Er hat sich nie gemeldet, weil ich es ihm verboten habe. Er war ein furchtbarer Mensch."

Manuel runzelte die Stirn, sie beeilte sich weiter zu reden.

"Versteh das nicht falsch. Wenn er nur schlechte Eigenschaften gehabt hätte, hätte ich mich nicht in ihn verliebt. Letztendlich war es auch alles ein bisschen meine Schuld. Wir waren jung und dumm und verliebt und nachdem du auf dem Weg warst, haben wir fast sofort geheiratet. Das hat ihn verändert. Er war immer öfter betrunken, hatte Stimmungsschwankungen und war aggressiv und als ich befürchten musste, dass er dir etwa antut, habe ich ihn rausgeworfen und die Scheidung eingeleitet."

Broken Bottles ~ Kürbistumor Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt