Ich öffne langsam meine Augen und spüre die warmen Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. In den ersten Sekunden bin ich so sehr vom hellen Licht geblendet, dass ich kaum etwas erkennen kann. Erst nach einer Weile werden meine Sinne wieder klar. Die Geräusche der Natur umgeben mich - das leise Plätschern des Sees, das Tosen des Wasserfalls, das Zwitschern der Vögel und das sanfte Rauschen des Windes in den Bäumen. Ein dröhnender Schmerz breitet sich in meinem Kopf aus - wie lange liege ich hier schon?
Ich versuche mich zu orientieren und realisiere, dass ich am Ufer des Sees liege. Die Sonne spiegelt sich glitzernd auf dem ruhigen Wasser. Alles ist so friedlich und ruhig hier - als wäre nichts geschehen. Doch meine Erinnerung an das Geschehene ist mit einem Mal wieder glasklar.
Die Karrieros haben mich gefunden und mich eingedrängt. Lahela war kurz davor, mich zu töten. Jacek hat mir geholfen. Und dann habe ich Lahela den Wasserfall hinuntergeschubst und bin mitsamt ihr in die Tiefe gefallen.
Ich kann mich bloß noch an reißende Fluten erinnern, die mich herumwirbelten, bis ich das Bewusstsein verlor. Doch wie war ich dann hierher gekommen? Hatten meine Sinne mich womöglich irgendwie doch zurück ans Ufer gebracht, ohne, dass ich mich daran erinnern kann?
Langsam setze ich mich auf und sofort machen sich meine schmerzenden Glieder bemerkbar. Der Sand unter mir ist durch die Hitze brennend heiß und - Moment.
Wo ist Lahela?
Ist sie womöglich noch irgendwo in der Nähe? Wenn ich den Sturz überlebt habe, hat sie es vielleicht auch? Hoffnung flammt in mir auf.
Verstohlen sehe ich mich am Ufer des Sees um, welcher von den letzten Strahlen der Abendsonne beschienen wird. Rötliche, spitze Felsen ragen aus dem Wasser hervor und ich realisiere, dass es ein Wunder ist, dass ich sie verfehlt habe.
So schnell, wie meine schmerzenden Glieder es zulassen, richte ich mich nun ganz auf und gehe vorsichtig auf den See zu.
Mit einem Mal fällt mir das fehlende Gewicht auf meinen Schultern auf. Wo ist mein Rucksack? Verzweifelt drehe ich mich um und suche mit meinen Blicken den gesamten Strand ab - nichts. Mein Rucksack, in dem sowohl Ausrüstung als auch das überlebenswichtige Wasser drin waren, ist fort. Vermutlich haben die Fluten des Sees ihn von mir gerissen.
Ein noch größeres Schuldgefühl macht sich in mir breit, als sich Lahelas letzter Gesichtsausdruck wieder in meine Gedanken schleicht. Egal, wie lange ich noch zu leben habe, diese vor Todesangst geweiteten Augen werde ich nie wieder vergessen.
Sie wollte mich töten, und doch habe ich vermutlich das selbe ihr angetan.
Vorsichtig wate ich einige Schritte in das kühle Wasser des Sees hinein. Doch von der Karrieretributin fehlt jegliche Spur. Verzweifelt halten meine Augen nach ihr Ausschau, und obwohl ihr Auftauchen vermutlich meinen Tod bedeuten würde, kann ich nicht aufhören, nach irgendeinem Anzeichen von ihr zu suchen.
Nachdenklich starre ich auf das ruhig plätschernde Wasser, das sich um meine Beine schmiegt. Es schimmert durch das Licht des Sonnenuntergangs in unzähligen Farben: blau, türkis, grün, silbern, rot - rot.
Mit einem gewaltigen Satz springe ich zurück und reiße einen Schwall Wasser mit mir, als die dunkelrote Flüssigkeit auf mich zugeschwommen kommt.
Blut. Viel zu viel Blut.
Es fühlt sich an, als hätte mir jemand einen Speer in die Rippen gerammt. Panisch sehe ich an meinem Körper hinunter, doch ich finde keine offene Wunde. Es ist nicht mein Blut.
Taumelnd wanke ich aus dem Wasser zurück ans Ufer. Die schwarzen Strähnen meines Haars baumeln vor meinen Augen und nehmen mir die Sicht, ich spüre, wie Übelkeit in mir aufsteigt, mein Herz schlägt immer schneller und schneller - ich blicke hinab auf meine zitternden Hände.
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Tribute von Panem | Flüsternder Ozean
Fanfiction»Das ist der einzige Vorteil, den ich habe. Das Wasser.« Was tust du, wenn du für die Hungerspiele ausgewählt wirst und von nun an das Schicksal deiner gesamten Familie allein von dir abhängt? Das Glück verlässt Librae Olgivy, eine Waise aus Distri...