Aus Nebel und Nacht

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Als Kiara die Augen öffnete, blickte sie in tiefe, warme Schwärze. Mehrere Sekunden blinzelte sie verwirrt und fragte sich, ob sie womöglich noch träumte, bis sie sich in den Arm kniff und der Schmerz ihre Nervenbahnen nach oben schoss. Sie schüttelte sich und atmete tief durch. Kein Traum. Sie befanden sich im Land der Schatten und waren ihnen nur mit Mühe entflohen.

Der Bernstein um ihren Hals war verloschen und so konnte sie auch Fynn nicht mehr ausmachen. Nicht einmal ihre eigene Hand sah sie, als sie sie vor ihr Gesicht hielt. Genauso gut hätte sie auch blind sein können.

An ihrem Rücken nahm Kiara Wärme war, sie meinte, einen leisen Atemzug in der Stille der Dunkelheit zu hören, der nicht zu ihr gehörte. Langsam setzte sie sich auf und tastete ihre noch immer leicht feuchte Kleidung ab. Sie hätte sich doch eigentlich erkältet haben müssen, doch so fühlte sie sich nicht.

Kiara runzelte die Stirn. »Fynn?«

Keine Antwort.

»Fynn?« Sie tastete nicht sich, spürte den Stoff des Kissens, dann Haar. Unwillkürlich zog sie die Hand zurück und rutschte von ihm ab. Ein leises Brummen ertönte, Kleidung raschelte.

»Was? Was ist los ...?« Er hörte sich an, als träume er noch immer, gähnte laut.

Mit ungläubig aufgerissenen Augen starrte Kiara ihn an. »Was hast du da gemacht? Warum lagst du da?« Langsam kroch ihr das Blut in die Wangen. Sie mochte nicht gerne im Heim gelebt haben, doch einige der dort vertretenen Regeln – darunter besonders die Trennung der Schlafräume – hatten ihr stets eingeleuchtet.

Fynn antwortete einige Sekunden lang nicht, dann fiel der Groschen auch bei ihm. »Oh«, murmelte er hörbar betreten, sprach schneller, sodass sich seine Stimme hin und wieder überschlug. »Das war auf keinen Fall böse gemeint, tut mir leid, wenn dir das unangenehm ist. Ich wollte eigentlich ein Feuer machen, damit wir nicht krank werden oder erfrieren, aber dann ist mir eingefallen, dass ich dafür Holz sammeln müsste und ich konnte dich doch nicht einfach so da liegen lassen, während du schläfst und die Schatten wieder auftauchen könnten. Also ...«, er seufzte leise, »habe ich eben versucht, dich möglichst warm zu halten. Ich bin nachts gefühlt sowieso immer ein Ofen, deswegen ...«

»Halt mal kurz die Luft an, bevor du erstickst«, unterbrach Kiara ihn und zu ihrem Erstaunen gehorchte er. Sie schloss die Augen einen Augenblick lang und versuchte, sich vorrangig selbst zu beruhigen. Mit einem Kopfschütteln strich sie sich durch die Haare und rieb sich die Augen. Unter jedem anderen Umstand wäre das einer der Fälle, in denen sie es überaus gerechtfertigt gefunden hätte, zu zetern und zu schreien.

»Es war ein Notfall«, sagte sie schließlich, »und du hast mir ja nichts getan. Richtig?«

»Entschuldige? Natürlich nicht!« Er schnaufte beleidigt und erhob sich mit raschelnden Kleidern. »Was denkst du von mir?«

»Es war nur eine generelle Frage, du musst nicht gleich wieder meckern.«

Kurz schwieg er, ehe er, sanfter als zuvor, sagte: »Natürlich. Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich kann dir versichern, dass ich einfach nur dalag und selbst geschlafen habe. Ich bin nur ein wenig durcheinander und gestresst, mehr nicht.«

Kiara nickte leicht, bis ihr einfiel, dass er das nicht bemerken würde. »Schon gut«, murmelte sie also stattdessen. »Was machen wir denn jetzt? Wo sind wir?«

»Ich weiß nicht«, gestand Fynn und knirschte hörbar frustriert mit den Zähnen. »Diese Route hatte ich nicht geplant. Alles, was ich weiß, ist dass wir uns irgendwo zwischen dem Kamién und dem Ufer des Fischsees befinden müssen. Aber ob wir geradeaus oder schräg gefahren sind ...« Er stieß einen Seufzer aus und Kiara konnte sich beinahe bildlich vorstellen, wie er mit den Schultern zuckte. »Ich fürchte, wir können nur versuchen, uns irgendwie zu orientieren, indem wir vom Ufer aus nach Nordosten wandern.«

Tänzerin der SchattenWhere stories live. Discover now