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Beat

In mir herrscht kein Aufruhr. Ich fühle mich vollkommen ruhig – noch. Ich mache mir keine Illusionen, denn ich weiß, dass all das noch auf mich einstürzen wird wie ein Tsunami. Doch momentan fühle ich mich fast schon leer.

Die Stille zwischen Lane und mir im Auto ist nicht direkt unangenehm, aber es schweben eine Menge ungesagter Worte zwischen uns. Ich kann mir vorstellen, dass er aus Taktgefühl schweigt und wartet, bis ich bereit bin zu reden. Es ist nicht einmal so, dass ich nicht bereit wäre, zu sprechen. Viel mehr spüre ich gerade einfach keine Notwendigkeit dazu. Ich habe nicht das Bedürfnis, über das zu reden, was gerade passiert ist. Ich will einfach nur fahren.

Plötzlich räuspert sich Lane neben mir. »Wohin fahren wir eigentlich?«

»Ich weiß es nicht.«

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Lane nachdenklich nickt. »Ist das okay für dich?«, will ich wissen. Sein Nicken wird hastiger. »Klar, natürlich, ich meine... ja. Voll in Ordnung.« Wieder legt sich eine Decke aus Stille über uns.

Nach etwa zwanzig Minuten, in denen ich mehr oder weniger im Kreis gefahren bin, ertappe ich mich dabei, wie ich die Ravensen University ansteuere. Es fühlt sich richtig an, auch wenn das der Ort ist, an dem Lillian lebt und studiert. Doch ich bin nicht wegen ihr hier – nicht mehr. Jetzt ist Lane der Grund dafür, dass ich zu dem alt anmutenden Gebäudekomplex mit der jahrhundertschweren, würdevollen Ausstrahlung fahre.

Ich parke auf dem Studentenparkplatz und Lane schnallt sich ab, ohne Fragen zu stellen. Trotzdem merke ich, dass hinter seiner Stirn ein Fragezeichen nach dem anderen aufploppt.
Da ich in dieser Einrichtung regelmäßig putze, kenne ich die Ravensen wie meine eigene Westentasche – vermutlich sogar besser. Und ich weiß, dass es da so einen ganz besonderen Ort gibt, den vermutlich nicht einmal Lane kennen dürfte. Irgendwie habe ich gerade Lust, mit ihm dorthin zu verschwinden, an diesen Ort, den kaum jemand kennt.

Ich bleibe abrupt im verlassenen Flur stehen, welchen wir gerade noch Seite an Seite durchlaufen haben, und sehe warnend zu Lane auf. »Pass auf, Freund: Wir gehen gleich an einen Ort, der eigentlich tabu ist für Nicht-Lehrpersonal. Wenn du mich irgendwann verpfeifen solltest, hattest du die längste Zeit zwei Eier – klar soweit?«

Seine Reaktion auf meine Worte ist ein Lächeln, wobei sich kleine Fältchen um seine grünbraunen Augen bilden. Prompt flattert es aufgeregt in meiner Magengegend und ich öffne den Mund, um mehr Luft in meine Lungen befördern zu können. Bescheuerte Hormone!

»Meine Lippen sind versiegelt, Ehrenwort!«, verkündet Lane schließlich feierlich und untermalt seine Aussage gestisch, indem er einen imaginären Schlüssel an seinem Mundwinkel dreht und diesen dann über die Schulter wirft. Ich rolle mit den Augen. »Du bist so ein Freak.« Er jedoch zuckt bloß die Schultern und sagt kaum hörbar an meinem Ohr: »Aber das ist es, was du an mir magst.« Ich schnaube, gebe ihm jedoch einen kleinen Kuss auf die Wange und wende mich dann ab, als wäre es nicht passiert.

Ich rufe über die Schulter: »Komm endlich, wir stehen schon lange genug dumm im Gang herum.« Einige Sekunden später höre ich, wie er sich wieder rührt und zu mir aufschließt. Wenn ich zur Seite blicken würde, könnte ich garantiert sehen, dass seine Wangen eine rosa Färbung angenommen haben. Der Gedanke bringt mich zum Lächeln.

Unsere Schritte hallen leise von den Steinwänden wider. Als wir in immer kleinere, engere Gänge abbiegen, wird das Hallen entsprechend dumpfer. »Wow, ich glaube, hier war ich noch nie. Wo sind wir ungefähr?«, fragt Lane jetzt leise. »Im Nordflügel«, antworte ich ebenso leise.

»Also in der Nähe der Bibliothek?«

»Ja. Und jetzt hör auf zu reden.«

»Zu Befehl, Eure Schrecklichkeit.«

BeatWhere stories live. Discover now