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Lane

In diesem Moment begreife ich, was genau mit dem Sprichwort gemeint ist, dass einem das Blut in den Adern gefriert. Denn genau das ist es, was gerade passiert: Mir gefriert förmlich das Blut in den Adern, als ich höre, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wird. Gerade habe ich noch den Aufnahmebutton angetippt, um Drew eine Sprachmemo zu verfassen und ihm zu beschreiben, wie toll es hier ist – doch gerade scheint mir dieses Vorhaben mehrere Lichtjahre entfernt zu sein. Mit tauben Fingern lasse ich mein Handy zurück in meine Hosentasche gleiten.

»Lane, komm her!«, zischt Beat hinter mir und ich stelle keine Fragen – ich renne einfach zu ihr und lasse mich unter eines der im Raum angeordneten Sitzmöbel ziehen. Während wir beide irgendwie versuchen, eine erträgliche Position zu finden, bei welcher wir von außen immer noch unsichtbar bleiben, klickt die Tür und...

»Die sind zu zweit!«, flüstere ich aufgeregt, doch Beat hält sich energisch den Finger vor die Lippen. Wir rutschen so leise wie möglich herum, bis wir beide, Gesicht an Gesicht und mit einer Wange auf den Teppich unter uns gepresst, zum Liegen kommen. Gott, ist das unbequem.

»... in Ordnung sein dürfte. Aber wir wollen ja kein Risiko eingehen, nicht wahr?«, vernehme ich eine männliche Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkommt. Ich kann Beats Gesichtsausdruck im Dunkeln natürlich nicht erkennen, aber ich spüre, dass sie sich neben mir anspannt. Die zweite Person spricht: »Nein, Sie haben recht. Hier wird uns sicher niemand hören.« Diese Stimme habe ich noch nie zuvor gehört, dessen bin ich mir sicher. Aber ich vermute, dass es sich um einen Mann in einem ähnlichen Alter wie dem, der zuerst gesprochen hat, handelt. Was um alles in der Welt passiert hier?

»Gut, dann folgen Sie mir doch bitte. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass wir das Licht auslassen müssen, da man sonst von außen sehen könnte, dass sich hier jemand aufhält.« Die sich uns nähernde Stimme kommt mir so bekannt vor! Wer ist das bloß?

»Was immer Sie für richtig halten«, entgegnet der andere Mann. Schließlich kommen beide direkt vor unseren Nasen zum Stehen, wobei mein Herz fast einen Aussetzer kriegt. Die auf Hochglanz polierten, schwarzen Lederschuhe sind etwas größer als die Stoffslipper aus Segeltuch der anderen Person. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, die mir bekannte Stimme gehört zu den Slippern.

Als beide sich drehen und ein dumpfes Knarzen direkt über Beats und meinem Kopf ertönt, wird mir klar, dass sie sich von allen verfügbaren Sofas ausgerechnet dieses hier ausgesucht haben. Fantastisch.

»In Ordnung. Ich würde Ihnen ja gern einen Tee oder Kaffee anbieten, aber die Umstände lassen es diesmal leider nicht zu.«

»Ich kann sehr gut darauf verzichten, Winters, keine Sorge.« Moment einmal...

Wir hören ein Geräusch das klingt, als würde sich jemand die Hände reiben. »Gut, dann kommen wir gleich zum Geschäftlichen, nicht wahr?«

»Ja, deshalb bin ich hier, nehme ich an«, erwidert der andere Mann unbeeindruckt. Ich habe ein ganz komisches Gefühl bei dieser Sache, und dass Dekan Winters scheinbar involviert ist, macht es nicht gerade besser. Das hier stinkt doch bis zum Himmel.

»Also schön. Ich fürchte, ich habe eine schlechte, aber auch eine gute Nachricht für Sie. Welche wollen Sie zuerst hören?« Kurze Stille. Dann: »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Sagen Sie einfach, was Sie zu sagen haben.«

»Fein. Der Verkaufspreis, den Ihre Leute mir angeboten haben, liegt  viel zu weit unter dem Wert, den ich mit meinen Leuten angestrebt habe. Aber die gute Nachricht ist, dass wir bereit sind zu verhandeln.«

»Ich hoffe, das ist ein Scherz! Ihnen muss klar sein, dass die... prekären Umstände des Verkaufes den preis drastisch drücken.«

»Natürlich ist mir das klar–«

»Dann gibt es meiner Ansicht nach auch nichts, weswegen wir weiter verhandeln könnten. Entweder Sie akzeptieren, oder Sie tun es nicht.«

Daraufhin folgt eine ziemlich lange Schweigeperiode. Vielleicht ist sie ja auch gar nicht so lang und kommt mir nur so vor. Noch während sich die Rädchen in meinem Kopf auf Hochtouren drehen und eifrig versuchen, sich einen Reim auf dieses Gespräch zu machen, redet Winters schon weiter.

»Ich werde vorher noch Rücksprache mit den Sponsoren machen müssen...«

»Sie meinen die steinreichen Eltern der Kids?«

»Nun, ja. Wenn man so will...«

»Verstehe. Für die müssen Sie eine besonders fette Summe herausholen, damit es sich auch wirklich lohnt, wenn Ihre Kinder nicht mehr hier studieren können, richtig?« Mir klappt die Kinnlade herunter. Bitte was?!

»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen«, stimmt der Dekan resigniert zu.

»Ich weiß, dass Sie das Bauwerk dringend loswerden wollen, weil Sie Geld benötigen. Deshalb bleibt Ihnen eigentlich keine andere Wahl, Winters«, stellt der andere Mann nüchtern fest.

»Wenn Sie sich da mal nicht täuschen! Sie und Ihre Leute sind gewiss nicht die Einzigen, die Interesse an dem Komplex haben!«

»Sie lügen, das erkenne ich an Ihrer Körpersprache. Geschäfte zu machen liegt wirklich nicht in Ihrer Natur, oder?«

»Sie–!«

»Wie auch immer. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, dass der illegale Verkauf eines denkmalgeschütztem Bauwerks nicht gerade auf große Resonanz in der Immobilienwelt stößt. Sie haben gar keine andere Option, als an uns zu verkaufen. Ich denke, es ist nur fair, dass Sie sich unser Stillschweigen über die Umstände dieses Verkaufes durch einen gedrückten Preis sichern.«

Ich spüre, wie Beat neben mir zusammenzuckt. Ich werde meinen Studienplatz verlieren und ihr Vater seinen Job. Sie hat Angst um ihn. Und natürlich ist da noch die Tatsache, dass auch sie nicht länger hier arbeiten können wird.

Das Rascheln von Papier erfüllt die Stille und es werden geschäftliche Details besprochen. Dann hört man das Klicken eines Kugelschreibers und anschließend das Geräusch eines über ein Dokument gleitenden Stiftes.

»In Ordnung! Dann hoffe ich, dass sie mir nicht böse sind, wenn ich nicht sage, dass es eine Freude war, mit Ihnen Geschäfte zu machen«, sagt Winters und lässt ein nervöses Lachen folgen. Dieser Heuchler.

»Ehrlich gesagt ist es mir völlig gleichgültig, was Sie sagen oder nicht sagen.«

Über unseren Köpfen knarzt das Sofa und die sich daraufhin entfernenden Schritte werden leiser, bis sie kaum noch zu hören sind, nachdem sich die Tür hinter den beiden Männern mit einem vernehmlichen Geräusch geschlossen hat.

Keiner von uns beiden rührt sich. Ich weiß nicht, wie lange wir in dieser unbequemen Position unter dem Sofa in völliger Stille ausharren. Irgendwann haucht Beat schließlich: »Ich kann das einfach nicht glauben.«

»Ich auch nicht«, flüstere ich zurück. Mein Hirn ist immer noch damit beschäftigt, die eben gehörten Informationen zu verarbeiten. Die Ravensen University wird nicht mehr lange existieren. Beat wird ihren Job verlieren. Professor Keller wird seinen Job verlieren. Ich verliere meinen Studienplatz. Winters ist ein Arschloch.

Beat knurrt leise. »Das ist sowas von scheiße! Gerade, wo alles anfängt, ein bisschen reibungsloser für mich zu laufen beim Putzen und Tanya mit ihrem Gesindel tatsächlich immer öfter einen Bogen um mich macht, kommt fucking Winters mit diesem Bullshit! Was zur Hölle?!« Sie boxt genervt in das Möbelstück über unseren Köpfen, was einen dumpfen Laut erzeugt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich sich dabei vorgestellt hat, dass der Dekan an genau dieser Stelle sitzt.

»Ich verstehe deinen Frust. Ich fühle mich auch scheiße«, entgegne ich leise. Sie atmet tief durch. »Ich könnte echt die Krise kriegen!«, presst sie aus zusammengebissenen Zähnen hervor.

Das, was ich als nächstes tue, könnte sich als die schlechteste Idee überhaupt herausstellen. Trotzdem folge ich meinem Instinkt und nehme sie vorsichtig in den Arm, so gut es eingezwängt unter dieser Couch eben geht. Anfangs ist Beat noch steif wie ein Brett, doch als ich ihr beruhigend über den Rücken streiche, entspannt sie sich.

Seufzend vergräbt sie das Gesicht an meiner Brust und murmelt: »Manchmal hasse ich diese Welt.«

»Ich auch, Beat. Ich auch.«

BeatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt