~𝑭𝒖̈𝒏𝒇𝒛𝒆𝒉𝒏𝒕𝒆𝒔~

101 24 50
                                    

Fast dauerhaft summt das Glöckchen, dass ankündigt, dass ein Gast den Shop entweder betreten oder verlassen hat. Lynn, Amanda, ich und die anderen drei haben alle Hände voll zu tun, denn am Sonntag tanzt hier der Bär.

Anders als andere Läden hat unser Secondhandshop geöffnet und als hätten die Leute keine Klamotten, kommen sie am Sonntag in dreifacher Anzahl. Zusätzlich triezt uns unsere Chefin extra und ich habe das Gefühl, dass sie das mit Absicht macht. Während wir alle arbeiten, sitzt sie wie immer in ihrem Büro, die Beine wahrscheinlich auf das Pult gelegt und ihren Kaffee schlürfend, den Amanda ihr stündlich servieren muss.

Von normaler Arbeit kann eigentlich nicht mehr die Rede sein. Sklavenarbeit passt irgendwie besser. Dass wir in einer riesigen Halle arbeiten, macht es auch nicht besser. Es gibt längere Wege, mehr Möglichkeiten für Aufenhaltstorten von Kleidungsstücke, die man suchen muss und mehr Platz für Klamotten, die man in die Preisliste eintragen muss. Allgemein gesagt: Viel Arbeit.

Und am Sonntag wird es zusätzlich schwieriger, weil noch mehr Leute kommen und man Quatsch für zwischenzeitliche Pausen knicken kann. Besonders schlimm ist es um die Mittagszeit.

Dass die Leute um zwölf herum Mittag essen und somit weniger in unseren Laden kommen ist nur ein Gerücht. Höchstwahrscheinlich hat es damit angefangen, dass man sich gemerkt hat, dass es um die Mittagszeit besonders leer ist. Aber wenn das jeder denkt, schlägt es schnell um.

Ironischerweise wird es zum Nachmittag auch nicht unbedingt weniger. Wo oder wann die Leute essen, ist mir immer noch ein Rätsel, denn wenn nicht mittags und auch nicht Nachmittags, wann dann?

Aber auch, wenn ich viel zu tun habe, macht mir die Arbeit Spaß. Anders sieht es bei den anderen aus. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie lieber woanders arbeiten würden, selbst wenn sie eigentlich immer gut gelaunt sind.

„Eines Tages schmeiße ich alles hin und haue einfach ab", stöhnt Lynn, während sie Wäsche sortiert. „Bloß nicht, sonst wirst du gefeuert", ächze ich und hebe einen Sack voll mit Wäsche auf meinen Arbeitstisch. „Ach was. Die Chefin wäre völlig aufgeschmissen, wenn auch nur einer von uns kündigen würde."

„Du kannst es ja mal probieren. Vielleicht bekommst du dann mehr Gehalt. Sozusagen Bestechungsgeld, damit du weiterhin arbeitest", schlage ich nachdenklich vor. Lynn grinst mir zu und schleppt dann einen Haufen Kleider in einem Karton in Richtung Lagerraum.

Nachdem ich meine Arbeit beendet habe, schnappe ich mir die Kiste mit Klamotten, die Lynn mir hinterlassen hat und beginne sie Stück für Stück an die Kleiderständer zu hängen.

Gerade als ich ein Shirt über einen schon beschädigten Bügel hängen will, spüre ich ein Zupfen an meinem weißen Wollpullover. Genervt senke ich meinen Blick und erschrecke, als ich in ein verheultes Gesicht blicke. Vor mir steht Fela mit weit aufgerissenen Augen und tränengenässten Wangen.

Sofort werden meine Gesichtszüge weicher und ich hänge den Bügel schnell auf, ehe ich mich zu ihm runter hocke. „Was ist los?", frage ich sanft und streiche mit meiner Handfläche die Tränen von seinen Wangen. Wortlos tritt Fela einen Schritt näher und schlingt die Arme um meinen Hals. Perplex drücke ich ihn dicht an mich und streiche sachte über seinen Kopf.

Nach einiger Zeit hebe ich ihn ein Stück von mir weg und sehe ihm in die Augen. „Was ist passiert, dass du weinst und wo ist Khalid?" Fela schüttelt den Kopf und kneift die Augen zusammen, sodass die letzten Tränen über seine Wangen rinnen.

„Ist Khalid mit dir?"

Ich bekomme ein Kopfschütteln.

„Hat dich jemand geärgert?", frage ich weiter, woraufhin er nickt. Weil er auf ein "Wer?" mit großer Wahrscheinlichkeit nicht antworten wird, hebe ich ihn hoch und gehe mit ihm auf dem Arm zu meiner Chefin.

Honeymilk SmellWhere stories live. Discover now