6 Ivy - 2

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„Hab ich dich!"

Henry rannte schreiend vor mir weg und ich tat so, als ob ich nicht in der Lage wäre ihn zu fangen. Seit ungefähr zehn Minuten spielten wir dieses Spiel und ich jagte meinen zweijährigen Neffen durch das ganze Haus.

Vor Jahren hatte ich Mom einmal gefragt, ob wir nicht einmal über Weihnachten dorthin fahren könnten, wo Schnee lag, und nun war es endlich so weit. Wir verbrachten die Feiertage bei Zoey und Tate, welche zwar am anderen Ende des Landes lebten, dafür aber Schnee ohne Ende vor ihrer Haustür hatten.

„Hilfe! Hilfe!", rief Henry und eilte Ruby entgegen, welche ihn auf ihre Arme nahm.

„Versucht Tante Ivy dich zu fangen?"

Er drehte sich leicht in ihren Armen und zeigte mit seinem winzigen Finger auf mich. „Will mich fressen", sprach er und ich kam auf ihn zu.

„Weil du so süß bist, dass ich dich fressen möchte!" Dann kitzelte ich ihn und er lachte, während er immer wieder "nein, nein" rief.

„Lass mir auch noch etwas übrig." Dad kam und sofort bekam er Henrys ungeteilte Aufmerksamkeit.

Ruby und ich waren abgeschrieben und er wollte nur noch zu seinen Grandpa. Wenn ich in seinem Alter wäre und mein Grandpa mich bei jeden Besuch mit Geschenken überschütten würde, würde ich nicht anders handeln.

Einmal meinte Zoey, dass sie es nicht gut fand Henry so zu verwöhnen. Dad hingegen meinte, es wäre als Grandpa seine Aufgabe, ihn nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen. Tatsächlich sagte er zu nichts nein, wenn Henry ihn danach fragte.

„Wollen wir uns kurz hinlegen?", fragte Dad und gähnte übertrieben. „Ich bin so müde und mag nicht alleine schlafen."

Henry schüttelte seinen Kopf. „Bin nicht müde."

„Aber ich habe Angst alleine. Ich dachte, du passt auf mich auf." Dieses Schauspiel war unglaublich. Dad tat so, als ob er traurig wäre und der kleine Mann in seinen Armen sprang sofort darauf an.

„Nicht traurig, Umpa."

Bei dem Kosenamen mussten Ruby und ich uns das Lachen verkneifen und drehten unsere Köpfe weg.

„Wollen wir in die Küche?", fragte Ruby. „Die zwei werden sich vermutlich gleich hinlegen. Wenn Henry nicht schon auf dem Weg ins Bett einschläft."

„Wir haben seinen Mittagsschlaf aber auch bis aufs Äußerste hinausgezögert. Wenn er jetzt nicht schläft, wird er heute Abend schlecht gelaunt sein."

„Und mit ihm Zoey. Die wird uns die Hölle heiß machen", gab Ruby an. „Wann ist sie so spießig geworden?"

Ich zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht wird man so, wenn man ein Kind hat."

„Dann will ich keine."

„Worüber sprecht ihr?" Wir hatten die Küche kaum betreten und schon lag die Aufmerksamkeit unsere Mom auf uns.

„Ruby will keine Kinder, wenn man dann spießig wird."

Dafür, dass ich sie verpetzt hatte, kassierte ich einen Mittelfinger in meine Richtung.

„Lasst das nicht eure Schwester hören", lachte Mom. „Und den Mittelfinger habe ich gesehen. So etwas will ich nicht noch einmal mitbekommen."

Ruby stöhnte genervt und nahm sich etwas zu trinken aus dem Kühlschrank. „Ich geh ins Wohnzimmer." Sie steckte mitten in der Pubertät und ihre Stimmungsschwankungen waren nicht ohne. Von jetzt auf gleich konnte sie hochgehen wie eine Bombe.

„Spätestens wenn sie später mit Dad und Henry die Plätzchen macht, hat sie sich beruhigt." Mom nahm die letzten Besteckteile aus der Spülmaschine und sortierte diese in die Schubladen.

„Das sie dafür noch nicht zu cool ist. Wann kommen Zoey und Tate eigentlich wieder?" Ich setzte mich auf einen der Küchenstühle und sah meiner Mom bei ihrer Arbeit zu.

Zoey und Tate nahmen sich heute eine kleine Auszeit und wollten alleine zu Mittag essen. Wann sie zurück sein würden, hatten sie aber nicht gesagt.

„Ich denke irgendwann vor dem Abendessen. Gönnen wir ihnen doch etwas Ruhe. Wir haben Henry doch gut im Griff und die zwei können wirklich etwas Zeit für sich gebrauchen." Mom war diplomatisch wie immer und das würde sich wohl nie ändern.

„Du hast doch nur die Hoffnung, dass du noch ein Enkelkind bekommst", lachte ich.

Sie zeigte mit dem Finger auf mich und beugte sich leicht zu mir herüber. „Du kommst auch noch dahin."

„Und wenn es so weit ist, musst du Dad erklären, dass das nächste Mädchen das Haus verlässt."

„Erinner mich nicht daran." Sie griff sich an den Kopf und rieb ihre Stirn. „Wenn es so weit ist, versprich mir zumindest, dass du nicht in einer anderen Zeitzone lebst. Das sollte es ihm erträglicher machen."

Grow upWhere stories live. Discover now