Nur ein Anruf (Olivia)

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"So, das war's! Wir sind für heute fertig. Olivia und Josh, kümmert ihr euch bitte um den Barbereich, ich räume mit Katy hinten auf!"

Ich muss ein erschöpftes Seufzen unterdrücken, als ich meinen Körper endlich aus der angespannten Haltung entlasse und meinen Schultermuskeln Erleichterung verschaffe. Den anderen scheint es nicht anders zu gehen - ihre Mienen sprechen Bände.

Noch während wir uns einen Moment der Ruhe gönnen, beginnt Lex schon damit, die herumstehenden Gläser von den Tischen einzusammeln und nach hinten in die Küche zu räumen. Wir alle sind an das gnadenlose Tempo des Barbesitzers gewöhnt und machen und dementsprechend schnell wieder an die Arbeit. Ich muss schmunzeln, auch wenn es mir enorme Kraft abverlangt.

Seit heute morgen um fünf bin ich auf den Beinen. Ich habe zusammen mit den anderen alles gegeben, um die sonst eher helle, elegante Bar in eine Explosion an bunten Farben zu verwandeln. Und wir haben wirklich gute Arbeit geleistet, denke ich zum wiederholten Male voller Stolz, während ich den Blick durch den Raum gleiten lasse.

Ich bin wirklich froh, dass ich im Moment keine Prüfungen habe, denn das Studium hätte die überlange Samstagsschicht nicht erlaubt.

"Livvy?"

Katy, eine junge Asiatin, die schon mindestens dreimal so lange hier bei Lex arbeitet wie ich, kommt mit zerknirschtem Gesichtsausdruck auf mich zu geeilt, mein Handy in der Hand. Als ich fragend die Augenbrauen hochziehe, wirft sie Lex einen entschuldigenden Blick zu.

Dieser runzelt nur missbilligend die Stirn, sagt aber nichts, sodass sie mir mit einem zaghaften Lächeln mein Smartphone überreicht. Noch bevor sie den Mund öffnen kann, um mir die Situation zu erklären, sehe ich sie: Mindestens zwanzig Anrufe von Elijah.

Mit wachsender Unruhe blicke ich wieder zu meiner Kollegin und Freundin auf.

Sie erklärt: "Elijah hat immer wieder angerufen, das Klingeln hat gar nicht mehr aufgehört. Susie hat dann einen Wutanfall bekommen, weil sie die Buchhaltung jetzt noch machen will. Du sollst deinem Freund mal erklären, was Professionalität ist, hat sie gesagt."

Katy grinst und ich erwidere es ein wenig gequält, während ich das Smartphone annehme.

Ich kann mir Susie nur zu gut vorstellen, wie sie die arme Katy anschnauzt, weil sie das Klingeln sie zur Weißglut bringt. Zwar ist Lex ein freundlicher, wenn auch bestimmter Mann, aber seine Frau Susie ist einfach nur bestimmt. Sehr zu unserem Leidwesen, vor allem, wenn sie ihren schlechten Tag hat - anscheinend war der heute.

Mein Blick wandert nachdenklich zu dem Gerät in meinen Fingern. Wenn Susie wüsste, dass El eigentlich genau weiß, was es heißt professionell zu sein, dann wäre sie entweder noch wütender oder - was unwahrscheinlich ist - sie würde ebenso wie ich ahnen, dass etwas nicht normal ist.

Mit einem letzten prüfenden Blick zu Lex, der vor sich hin summend die Tische abwischt, entferne ich mich ein wenig von den anderen. Dann hole ich tief Luft und wähle Elijahs Kontakt.

"Livvvyyy!!! Endlich gehst du ran! Ich dachte schon, du willst mich nicht mehr", ruft er mir auch schon entgegen, sobald er abgenommen hat.

Sofort bestätigt sich mein Verdacht - er ist betrunken. Warum auch sonst hätte er mich um halb drei nachts anrufen sollen? Der schleppende Tonfall und das unkontrollierte Lallen sind nicht zu überhören, ebenso wenig der wummernde Bass im Hintergrund.

Ich kneife die Lippen zusammen und unterdrücke mit aller Kraft den Fluch, der mir gerade sehr locker auf der Zunge liegt. "Elijah, wo bist du? Sind die anderen bei dir?" Ich gebe mir Mühe, nicht allzu besorgt zu klingen. Immerhin kenne ich El und seinen Hang zum Extremen.

"Keine Sorge, ich bin hier in Baltimore in so nem Club mit den Jungs. Und Avery hat Angel dabei. Also alles gut, bin nicht allein."

Ich nicke erleichtert, auch wenn er es nicht sieht. Es ist einfach nur ein Bandabend und sie feiern sich und ihre Tour - natürlich sind sie da besoffen. Ich gebe ein zustimmendes Geräusch von mir, bevor ich mich räuspere: "Ich liebe dich, Elijah. Hab noch einen schönen Abend und grüß die anderen von mir, ja?"

Er stößt hörbar die Luft aus.

"Ich liebe dich auch, Liv. Aber eigentlich wollte ich mit dir reden, weißt du? Das haben wir zu lange nicht gemacht."

Nun muss ich doch leise lachen. "Nicht jetzt, okay? Du bist nicht wirklich zu einem Gespräch in der Lage und ich muss den anderen noch helfen, die Bar fertig zu machen."

Er diskutiert noch eine Weile, bis er schließlich nachgibt er und sich verabschiedet, indem er mir noch einmal versichert, dass er mich liebt. Ich muss lächeln und erwidere es. Dann lege ich auf und bleibe noch eine Weile einfach stehen, wo ich bin, mein Kopf voller Sorgen und Befürchtungen.

Gleichzeitig schimpfe ich mich überfürsorglich und dramatisch, weil ich Elijah bremsen möchte, aus Angst davor, dass er es übertreiben könnte. Das wäre unglaublich unfair, redet mein Gewissen auf mich ein. Du kannst nicht erst aus seinem Leben verschwinden, dann wieder auftauchen, von ihm derart liebevoll zurückgenommen werden und dann versuchen, seinen größten Traum platzen zu lassen!

Der Gedanke lässt mich den ganzen Abend nicht mehr los und auch Lex bemerkt, dass etwas nicht mehr in Ordnung ist, denn nachdem alle anderen schon weg sind und ich ihm wie immer helfen möchte, frische Getränke für die Kühlschränke aus dem Keller zu holen, schickt er mich mit einem energischen Kopfschütteln und einem sanften Kuss auf die Stirn nach Hause.

Dankbar, endlich Feierabend zu haben, hole ich meinen dicken Mantel aus der Angestellten-Garderobe und ziehe ihn über das dünne T-Shirt, das zur Uniform der Bar gehört. Innerhalb von zwanzig Minuten sitze ich in meinem Auto und fahre vom Parkplatz der Bar.

Mein ganzer Körper schreit vor Müdigkeit und ich möchte einfach nur noch ins Bett. Duschen kann ich auch morgen noch.

Bitte, Elijah, mach einfach keinen Mist. Du hättest es nicht verdient, vor den Augen aller zu stolpern, flehe ich stumm vor mich hin. Aber sobald mein Kopf mein Kopfkissen berührt, verpuffen alle Sorgen und Ängste und ich schlafe innerhalb eines Wimpernschlages ein.

28 Lincoln Street - a rockstar romanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt