Innenwelt

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„Alex, hol uns hier raus!", rief jemand neben mir.

Langsam kamen erste Erinnerungen, aber mit ihnen auch die Schmerzen. Ich öffnete die Augen, um mir einen Überblick zu verschaffen.

Alex telefonierte konzentriert und gestikulierte dabei wild herum und Caro saß neben mir und weinte.

„Hey, nicht weinen, wir kommen hier wieder raus.", flüsterte ich schwach an sie gewandt.

Ruckartig und für meinen Geschmack ein wenig zu schnell blickt sie mich leicht geschockt an.

„Oh sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.", schob ich hinterher.

„Ich dachte du bist tot, du warst so bewusstlos und hast nicht mal auf meinen Schmerzreiz reagiert."

Derweil kam Dad zum Auto gerannt und hinter ihm ein ganzes Schockraumteam, welches mir nicht ganz geheuer war. Menschen überforderten mich seit dem Zwischenfall immer noch, weshalb ich mich so gut es ging wegdrehte und sie ausblendete.

Alex hatte sich wieder an das Auto gestellt, um mit uns zu reden.

„Die Feuerwehr ist auf dem Weg und der Schockraum vorbereitet, Phil konnte ich auch erreichen, er ist gleich da.", berichtete er uns.

Mir war bewusst, dass ich aktuell nicht alles verstand, was um mich herum passierte, da mein Kopf fast platzte und ich total neben der Spur war. Jedoch musste ich mir vorher überlegen, wen ich an mich heranließ, bevor ich Panik bekam. Am liebsten würde ich natürlich niemanden zu mir lassen, jedoch bezweifle ich, dass das klappen wird. Deshalb denke ich, dass es die beste Lösung wäre, im größten Notfall der gerade eintritt, Phil und Alex die Erlaubnis zu geben.

„Ich hab Angst vor denen.", flüsterte ich leise und nickte dabei in Richtung der Ärzte und Schwestern, die wie gierige Hyänen auf mich warteten.

„Soll ich ihnen sagen, dass nur Papa und Alex dich behandeln dürfen?"

„Ja, bitte.", sage ich und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, weil meine Freundin mich einfach zu gut kannte.

Nach einer kurzen Bestandsaufnahme stelle ich fest, wie schlecht mein Allgemeinzustand eigentlich ist und kann nun Caros Panik nachvollziehen. Meine Kopfschmerzen foltern mich, sodass ich stark von einer Gehirnerschütterung ausgehe. Auch meine Wunde am Arm sieht entzündet aus, weshalb ich nur hoffen kann, mir keinen Keim eingefangen zu haben, auch wenn ich dies befürchte. Das Wärmeempfinden scheint auch nicht mehr richtig zu arbeiten, denn aktuell befinde ich mich am Nordpol.

Die ganzen kleineren Macken mal außen vorgelassen fühle ich mich wie von einem LKW überrollt.

„Papa, komm bitte her!", ruft Caro Phil ans Auto heran.

„Hey, was ist denn hier los? Beruhig dich erstmal, die Feuerwehr ist gleich da und holt euch raus. Wie gehts Nora?", fragt auch Phil, mit einer großen Sorgenfalte auf der Stirn.

„Alex kann dir gleich alles erklären, aber du musst mir versprechen niemanden an Nora zu lassen außer euch beiden, sie hat total Panik vor Fremden, aber das weißt du ja schon."

„Okay, dann weiß ich Bescheid, ich kläre mit Alex wie wir vorgehen.", bestätigt er mir.

Erst höre ich das Martinshorn ganz leise, doch es wird schnell immer lauter, sodass ich mir die Ohren zuhalten muss. Die Geräuschkulisse malträtiert meinen Kopf. Ich kneife die Augen zusammen, um mich abzuschotten, denn ich weiß, dass ich meine Menschenangst gleich auf die Probe stellen muss.

Ich öffne kurz meine Augen, um meine Gedanken zu bestätigen. Immer mehr Feuerwehrleute steigen aus und kommen auf das Auto zu. Mit sich tragen sie großes, angsteinflösendes Werkzeug.

Ihre Ansprechpartnerin ist Caro, ich bin zu nichts mehr fähig und auf dem besten Weg in eine erneute Panikattacke zu rutschen.

‚Warum können die nicht alle verschwinden?' frage ich mich. War ich eben noch so optimistisch, so Zweifel ich jetzt an allem. Ich will meine Gedanken auf etwas anderes bringen, doch suche verzweifelt nach einem schönen Thema. Doch auch jetzt rutschen meine Gedanken zu dem schwerverletzten Mann ab.

„Nora, die holen uns jetzt hier raus!", versucht mir Caro zu erklären, doch ich bekomme nur die Hälfte mit, da ich zu tief in meinen Gedanken stecke. Vor wenigen Minuten noch wollte ich unbedingt die Außenwelt vergessen, doch jetzt weiß ich erst, wie schlimm meine Innenwelt aussieht.

Ich merke wie Caro sich schützend über mich legt und mich dabei fest umarmt, das hilft mir wieder im jetzt anzukommen und ich hoffe kurz Ruhe zu haben, um alles zu verarbeiten.

„Es geht jetzt los!", schreit jemand in unmittelbarer Nähe vor dem Auto, doch dann höre ich nur noch zerberstendes Glas.

Seid ihr gut ins neue Jahr gestartet?

Flug ins Unglück (Asds)Where stories live. Discover now