Ein guter Tag zum Sterben (Update)

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Schon seit meiner Schulzeit besaß ich die Angewohnheit, mich in jede verfügbare Sport-AG einzuschreiben. Heute zahlte sich das aus. Ich fuhr mit den Fingern über die Gravur der Beretta, die ich aus der Sportschützenanlage gestohlen hatte. Weil ich Gale, dem Clubvorsitzenden, ein Date versprochen hatte, ließ er mich alleine schießen. Das Date würde natürlich nie stattfinden.
Eine Tote im Studentenwohnheim. Ich konnte mir die Zeitungsartikel schon vorstellen. Wobei es sich in einer Stadt wie Hongkong wohl eher um eine Erwähnung in einer Seitenspalte handeln würde.
Ich umfasste den Griff fester und hob die Waffe an meine Stirn, sodass der Schalldämpfer sich in meine Haut presste.
Scheiße.
Das Ding zitterte, das fiel mir erst jetzt auf, als ich es in mein Gesicht drückte. Obwohl das mein dritter Tod in drei Wochen sein würde, hatte ich Angst. Ich presste die Zähne zusammen, sodass es schmerzte.
Angst kann einen nicht aufhalten, wenn man verzweifelt ist. Also drückte ich ab.

Aber vielleicht sollten wir von vorne anfangen, während die Kugel meinen Stirnlappen zertrümmert. Wie kam es dazu, dass ich mich selbst zum dritten Mal tötete?
Es begann vor drei Wochen, am letzten Samstag im August. Wenn ich ehrlich bin, hat sich dieses ganze Chaos, in dem ich jetzt bis zum Hals steckte, sich wahrscheinlich schon viel früher zusammengebraut. Vielleicht bereits bei meiner Geburt. Aber nach der Studentenparty, auf die mich zwei Kommilitonen geschleift hatten, stand mein Leben Kopf. Und das alles nur wegen eines Fremden mit einem zerbrochenen Schwert.
Und bevor ihr fragt, ich meine keinen One Night Stand, den ich auf dieser Feier abgeschleppt habe und Schwert ist auch keine Umschreibung für ... Ich meine ein echtes Schwert! Oder ... ein magisches?
Gegen ein Uhr verließ ich die Party, die in einer Bar hinter dem Campuspark stattfand. Für die hiesigen Verhältnisse waren die Appartements billig und in Uninähe, weshalb viele Studenten im Pak Tin  Block und den umliegenden Gebäuden WGs gründeten. Hauspartys waren allerdings nicht besonders verbreitet, weshalb man sich lieber in Bars und Pubs große Tische mietete und sich dort zum Trinken und Feiern traf. So wie auch heute. Bis zu meinem Schlafklo im Studentenwohnheim waren es etwa 15 Minuten zu Fuß und ich wollte mir das Geld fürs Taxi sparen. Also nahm ich die Abkürzung über die Sportanlage der Uni und den Shek Kip Mei Park. Im Nachhinein betrachtet ein folgenschwerer Fehler. Wäre ich an dem Abend doch einfach ins Taxi gestiegen.
Es waren nur wenig Leute auf der Straße, auch der Fußballplatz war nicht mehr beleuchtet, als ich in den angrenzenden Weg abbog. Manchmal rauchten hier Jugendliche, aber heute war es ganz still. Nur ein lauer Wind brachte die Blätter der Parkbäume zum Rascheln und irgendwo schrie ein Käuzchen. Außer mir hätte ohnehin niemand das einzige weitere Geräusch gehört, das die sonst so friedliche Nacht störte.
Das Flüstern der Schatten.
Der hohe Wellblechzaun des Fußballplatzes und die angrenzenden Bäume auf der anderen Seite des Wegs hüllten das graue Pflaster in diffuse Dunkelheit. Wenn ich genau hinschaute, konnte ich erkennen, wie sie sich bewegte und über den Boden zuckte. 
bO, BO bo, zischelten sie meinen Namen. KoMm hEr bO, koMM zU unS iN DiE dunKelHeit. HiEr isT eS WArM uNd dU bRauchSt dIch UM nichTs mEhR soRgen.
„In den Schatten ist es kalt und das wisst ihr ganz genau", hallte meine Stimme von der Wellblechwand wider.
Falls ihr euch jetzt fragt, ob auf dieser Party Drogen konsumiert wurden - nein. Zumindest nicht, dass ich wüsste. Und ich hatte auch nur ein Bier getrunken, ich war kein besonders großer Fan von Alkohol. Falls ich halluzinierte, dann bereits seit meiner frühesten Kindheit. Denn seitdem begleiteten mich die Schatten schon. Flüsterten mir allerlei Scheiß in die Ohren. Entweder wollten sie, dass ich mich prügelte oder zumindest verbal mit jemandem anlegte - wozu ich sehr gut und gerne selbst in der Lage war - oder sie wollten mich in ihre dunkle Umarmung ziehen. Keine gute Idee. Falls euch ein Schatten so etwas je anbieten sollte, rennt. Bittet niemals einen Schatten um Hilfe oder lasst euch auf einen Deal mit einem ein!
Die Schatten protestierten, schlichen um meine Füße, flüsterten mir süße Worte ein. Doch wie schon die meiste Zeit meines Lebens ignorierte ich sie, den Blick stur geradeaus gerichtet auf die Kreuzung, hinter der der Park begann. Solange man ihnen keine Beachtung schenkte, konnten sie wenig ausrichten. Schatten erzählten viel, konnten Menschen aber kein Haar krümmen. Zumindest nicht körperlich.
Ich ließ den Sportplatz hinter mir und bog in den Park ein. Derweil dachte ich über die Party nach. Warum hatten Kenny und Isabel mich nur mitgeschleppt? Wir waren bestenfalls Bekannte. Manchmal setzten sie sich in der Mensa neben mich und ich ließ es zu oder wir tauschten unsere Notizen aus den Vorlesungen aus. Die weitaus wichtigere Frage war jedoch, warum ich mitgekommen war. Ich schlug jedes Angebot für Gruppenaktivitäten aus, es sei denn, es ging um die Uni. „Komm schon Bo, wir wollen dich dabei haben, du Stiesel." Isabels Gesicht tauchte vor meinem inneren Auge auf. Die geröteten Wangen, die großen braunen Augen, das blond gesträhnte brustlange Haar. Sie war immer so fröhlich. Ich wünschte, sie hätte mir etwas von ihrem Optimismus abgeben können. Vielleicht hatte ich deshalb zugesagt. Und weil ich mir tief in meinem Inneren Freunde wünschte.
Ein lang gezogenes Schreien riss mich aus meinen Gedanken. Ich erstarrte. Das hatte sich nicht menschlich angehört. Und es kam direkt aus dem Park.
Nein Bo. Du wolltest keinen Ärger mehr. Ich vernahm ein eigenartiges Sirren, dann erleuchtete ein Blitz den Park, als hätte jemand einen kleinen Feuerwerkskörper am Boden entzündet. Ich zögerte. Nach einigen besorgten Anrufen meiner Mutter hatte ich darauf geachtet, mich von Prügeleien fernzuhalten. Aber das hier ... das war anders als sonst. Ein Instinkt sagte mir, dass das nichts mit randalierenden Jugendlichen oder ekligen alten Männern, die mir an den Hintern fassen wollten, zu tun hatte.
Ich lief los, direkt in die Richtung, wo ich den Ursprung des Lärms und des Blitzes vermutete. Schon von Weitem erkannte ich zwei Silhouetten am Brunnen in der Mitte des Parks. Die eine Gestalt schien menschlich zu sein. Doch die andere ... Abrupt blieb ich stehen. War ich auf der Party eingepennt? Hatte ich einen Schatten in meinen Kopf gelassen und das hier war ein Albtraum? Ein paar Laternen verdrängten die Dunkelheit der umliegenden Bäume. In ihrem Licht spritzten Wassertropfen auf, jemand ächzte. Und dann hörte ich wieder den markerschütternden Schrei.
Er stammte von der Bestie, die aus dem Brunnen herausragte wie ein gigantisches, dunkles Insekt. Ihr grauer Panzer glitzerte im Laternenlicht, weil Wassertropfen daran abperlten. Zwei schwere Scheren wie die einer Gottesanbeterin klickten und kratzten, als das Untier sie auf- und zuschnellen ließ. Und sein Kopf war nichts weiter als eine starre Maske mit leeren Augenhöhlen und einem fleischlosen Beißwerkzeug aus grauen Knochen.
„Du bist der hässlichste Bastard, den ich je gesehen habe", erklang eine Stimme und mein Blick fiel auf die zweite, deutlich kleinere Gestalt. Ich kam einige Schritte näher. Ich musste zugeben, das fasste meine Beurteilung dieser Bestie gut zusammen.
Erst jetzt bemerkte ich das geschwungene Schwert in seiner Hand, das bläulich aufblitzte, als er ausholte. Hatte das vorhin die Lichtexplosion verursacht? Seine Füße schmatzten durch das kniehohe Wasser, während er auf die Bestie zu rannte. Er zielte den dünnen Teil ihrer Arme hinter den Scheren. Wenige Meter vor dem Ungetüm sprang er federnd ab, den Blick starr auf die verwundbare Stelle gerichtet. Das Monster versuchte auszuweichen, war jedoch wenige Atemzüge zu langsam. Das Schwert fuhr nieder und trennte seinen Arm ab. Mit einem Platschen tauchte es ins Wasser und das Vieh brüllte. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Der Typ landete wieder auf den Füßen, schwarzes Blut vermischte sich mit dem Nass im Brunnen. Der Angreifer machte zwei Sätze nach hinten und wischte sich die dunkle Flüssigkeit aus dem Gesicht, mit der er über und über benetzt war. „Scheiße", ächzte er. Mir schien, uns wurde im gleichen Moment bewusst, dass dieser Kampf noch nicht vorbei war, als das Monster erneut brüllte und zwei schwarz schimmernde Flügelpaare aus dem Rücken entfaltete.
„Ach du kacke!", flüsterte ich und rieb mir über die Augen. Ich hatte zuletzt zu viele Anime geschaut, deswegen träumte ich jetzt von so etwas, oder?
Der Kämpfer brachte sich in Angriffsstellung, als sich das Vieh über seinem Kopf in die Luft erhob. Die verbleibende Klaue wie die Sichel des Sensenmanns persönlich geöffnet, schoss es auf ihn herab. Er wich aus, doch plötzlich rutschte er aus. Ich zuckte zusammen, als er strauchelte und sich mit der Hand im Becken abstützte. Diese wenigen Sekunden besiegelten sein Schicksal. Übrigens - meins ebenso.
Die Bestie ließ ihre Schere auf ihn niederfahren, er riss im letzten Moment sein Schwert hoch. Das Klirren, als beide Klingen aufeinandertrafen, hallte in meinen Ohren wider. Das blaue Licht, da war es wieder! Sein Schwert pulsierte, ein letztes Aufbegehren, ein letzter Kampfschrei.
Bevor es zerbrach.
Scharf sog ich die Luft ein, hielt den Atem an. Die Teile der Schneide klimperten, als sie dampfend auf der Erde vor dem Brunnen aufprallten und liegen blieben. Ihr Leuchten erlosch. Dunkler Rauch stieg aus ihnen auf.
Für einen Sekundenbruchteil erinnerte er mich an einen Schatten. Dann schenkte ich meine gesamte Aufmerksamkeit wieder den beiden Kämpfenden.
Wieder sauste eine Schere auf den Kopf des Typen zu. Er warf nun auch das Schwertheft weg und rollte sich zur Seite. Sein Keuchen war so schwer, es erfüllte den ganzen Platz. Die Bestie krallte sich sein Bein und er schrie. Sein Blut war rot, wie das eines Menschen. Es durchtränkte seine schlichte blaue Jeans und tropfte ins Brunnenwasser. Das Monster hob ihn fast schon genüsslich langsam in die Höhe. Mir wurde kalt und ich schluckte. Der Typ griff sich an den Arm und ich bemerkte einige weiße und rote Tätowierungen. Fast erinnerte das Licht, was er nun geradezu aus seinem Arm herauszog, an einen Sonnenuntergang. Sein Körper begann zu glühen, seine Augen waren geschlossen.
Was macht der da?
Das Monster zögerte, grub dann jedoch seine Kauwerkzeuge in sein Fleisch. Oder zumindest versuchte es das. Doch die messerscharfen Beißer prallten an der Haut seines Opfers ab. Es zuckte zusammen, dann hieb es die Zähne fester in seinen Körper, nur um erneut zu scheitern. Ein wütendes Brüllen erklang und ich runzelte die Stirn, als ich erkannte, dass das Geräusch zwar aus seinem Körper, aber nicht aus dem Maul stammte.
Die Bestie schleuderte seinen Gegner aus dem Becken raus zu Boden, der beim Aufprall keine Regung zeigte, sondern unbeweglich im Dreck liegen blieb. Mit seinen langen dürren Beinen stakste das Vieh über den Brunnenrand. Sein Kopf drehte sich in dem kugelförmigen Nackengelenk ruckartig, als überlegte es, wie es weiter vorgehen sollte. Und dann hieb es plötzlich auf den Typen ein wie ein Berserker. Jeder Schlag prallte klirrend ab, doch das schien es nur noch mehr anzustacheln.
Das Licht begann zu flackern, kurz erlosch es, und dem Monster gelang ein Treffer in sein Bein. Er schrie auf, nur um die Barriere sofort wieder aufzurichten. Erneut fuhr die Schere nieder, ohne ihn zu verletzen. Doch jetzt wusste das Vieh, dass er seinen Schutz nicht ewig aufrechterhalten konnte.
Und ich wusste es auch. Ach Shit. Hätte ich zu dem Zeitpunkt meine Menschlichkeit nur schon verloren. Dann wäre mir dieser Typ egal gewesen. Aber das würde erst geschehen, nachdem ich ihm geholfen hatte. Zudem ich mir immer noch nicht ganz sicher war, ob es nicht doch ein Traum war, in dem ich mich befand. Mein Blick fiel auf den Schwertgriff, aus dem der Klingenstumpf ragte.  Ich musste ihm helfen. Also löste ich mich aus den flüsternden Schatten der Bäume und rannte los. Es lag einige Meter von den beiden Kämpfenden entfernt, sodass ich das Heft zu fassen bekam, bevor das Monster mich bemerkte. Als meine Finger den Griff berührten, überkam mich ein winziges Kribbeln. Der schwarze Rauch, den ich vorhin hatte aufsteigen sehen, kräuselte sich um meine Hand, bevor er zischend unter meinen Nägeln verschwand. Ich runzelte die Stirn und kurz war mir, als drücke etwas von innen gegen meine Brust. So schnell es gekommen war, so schnell war das Gefühl vorbei. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Aber gerade war hatte ich keine Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich tat es als Einbildung ab und konzentrierte mich wieder auf mein Vorhaben. Auf keinen Fall wollte ich ein Risiko eingehen und dem Monster zu nahekommen. Deshalb setzte ich auf meine Erfahrungen aus dem Handballclub, dem ich immerhin drei Jahre beigewohnt hatte, und warf.
Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich erwartet hatte zu treffen. Aber die Klinge sirrte durch die Luft und blieb mit einem Schmatzen im Hinterkopf der Bestie stecken.
Heute war mein Glückstag. Oder Pechtag, wie ich später feststellen würde. Das Vieh kam noch dazu, mich aus leeren Augenhöhlen anzustarren, bevor es sich in Rauch auflöste.
Mein Herz raste wie verrückt.
Scheiße. Was war das eben gewesen?
Ich ging auf den Typen zu und ließ mich neben ihm in die Knie fallen. Er hatte die Augen zugekniffen wie ein kleines Kind, die Arme eng um seinen Körper geschlungen. Wildes dunkles Haar stand ihm vom Kopf ab und Tätowierungen schlängelten sich über seine Haut, als ob sie ein Eigenleben besaßen. Vorsichtig streckte ich meine Hand nach ihm aus. Als meine Finger die leuchtende Barriere berührten, zuckte ich zurück. Es war so heiß, als fasste man auf eine Herdplatte.
Im gleichen Moment öffnete er die Augen und sah mich an. Sie hatten die Farbe der Abendsonne, die die Welt zu diesem ganz bestimmten Zeitpunkt zwischen Tag und Nacht in flüssiges Gold tauchte. Seine Wimpern waren lang und dunkel. Ich hielt den Atem an und das Glühen um seinen Körper erlosch. Die Tätowierungen legten sich schlafen.
„Fuck, wer bist du denn?", krächzte er.

Willkommen zu meinem neuen Buch woohoo. Nachdem ich jetzt mein drittes Buch im Verlag veröffentlicht habe (leider nicht Haut aus Silber meh), hatte ich mal wieder Lust, einfach das zu schreiben, worauf ich Bock habe. Ohne Rücksicht darauf, ob es am Ende auf den Buchmarkt passt oder nicht. Deshalb ist es in der Rohfassung mal wieder auf Wattpad zu lesen. Ich vermute, meine alten Leser sind in der Abwesenheit alle gestorben wie meine Protagonistin. Aber ich hoffe, ihr erwacht wieder zum Leben. Wie meine Protagonistin (Ja Spoiler, aber es steht auch in der Inhaltsangabe :P). Ich habe zudem eine neue Szene eingefügt, da ich gerade ein bisschen überarbeiten muss, damit es nicht zu Logiklücken im Plot kommt.
Falls ihr besser geupdated werden wollt zu allem, was ich neben der Story noch so mache, schaut gern bei Insta vorbei bei Ella.amato.autorin :)

Lux - Krieg zwischen Licht und SchattenWhere stories live. Discover now