Ein schlechter Tag zum Leben

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„Hast du gerade ...?" Sein Blick wanderte zu den zerbrochenen Teilen seines Schwerts, dann zurück zu mir. Er hatte die Augen aufgerissen. „Du hast den Schatten erledigt!" Für einen Moment sagte er nichts, starrte mich nur an. „Das kann nicht sein", murmelte er dann.
„Hey!" Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie wär's mit einem Danke?"
Doch er reagierte nicht, stattdessen setzte er sich auf. „Aber wenn du ihn sehen und sogar töten konntest..." Wieder verstummte er und fuhr sich durchs Haar. „Wer bist du?", richtete er sich wieder an mich. Statt Verwirrung las ich nun Misstrauen in seinen Augen.
„Ich bin Bo. Keine Ahnung, was du hier machst und was das für ein Ding war. Aber du wärst jetzt tot ohne mich", erinnerte ich ihn an seine Niederlage.
Mein Gegenüber kniff die Augen zusammen. „Ja. Ja, genau. Ich konnte ihn nicht besiegen, aber du. Und das war ... der erste Schatten, den du je gesehen hast?" Seine Stimme war rau.
Ich kratzte mich am Hinterkopf. „Nun ja. Kommt drauf an, was du unter Schatten verstehst", gab ich zu. Mein Blick fiel auf seine Beinverletzung. „Wir sollten dich in ein Krankenhaus bringen. Ich ruf einen Notarzt", sagte ich, doch bevor ich mein Handy rausholen konnte, griff er nach meinem Handgelenk. Ein eigenartiges Gefühl durchfuhr mich, als er mich berührte. Fast war es, als glitten seine Finger für einen Moment durch meinen Körper. Wie bei einem Geist!, schoss es durch meinen Kopf. Doch dann umschlossen seine Finger meinen Arm.
Unsere Blicke trafen sich. In seinen Augen schimmerte das Licht der Laternen, als sie sich weiteten. „Du bist ein Mensch", flüsterte er. Ich zog meine Hand weg.
„Überraschung, du Weirdo. Für was hast du mich gehalten, einen Elefanten? Drei Gremlins unter einem Trenchcoat?"
„Ruf nicht den Arzt. Er kann mir nicht helfen. Ich hab meine eigene Medizin", wies er mich an, ließ mich los und zog ein Röhrchen aus seiner Hosentasche, in dem sich kleine rote Kapseln befanden.
„Bist du ein Junkie?", stieß ich aus und wollte ihm die Pillen aus der Hand reißen. Doch er war schneller als ich und schon verschwand eine zwischen seinen Lippen.
„Fast", erwiderte er und schnappte erneut nach meinem Arm, doch dieses Mal war ich schneller und rückte von ihm ab.
„Du hast mein Schwert berührt. Und es benutzt", stellte er das Offensichtliche fest, während er mich nicht aus den Augen ließ. Sein Blick war intensiv, fast schon brennend.
„Ja, um dir den Arsch zu retten!", fauchte ich. „Aber das bringt auch nichts, wenn du jetzt verblutest!"
Er lächelte leicht. „Keine Sorge, das bringt mich nicht um. Sieh mal." Er winkte mich zu sich. Von meiner Neugier getrieben rückte ich wieder etwas näher und staunte nicht schlecht, als ich der Wunde beim Heilen zuschauen konnte. „Wie kann das sein?", flüsterte ich und ein Klicken erklang. Etwas Kaltes schloss sich um mein Handgelenk.
„Sorry. Aber ich kann dich nicht gehen lassen", meinte er. Ich starrte auf die Handschellen, die mich an an ihn ketteten.

***

Wer von euch hat sich schon mal in den Kopf geschossen? Ich nehme an, die wenigsten. Empfehlen kann ich es euch nicht, man stirbt häufig dabei. Zumindest habe ich davon gehört, aus eigener Erfahrung kann ich das nicht bestätigen. Die Alternative ist aber mindestens genauso unangenehm: Wenn man nicht stirbt, dann hat man das Feuer auf den eigenen Körper eröffnet. Und mein Körper feuerte zurück.

Als ich nach meinem Selbstmordversuch wieder aufwachte, hatte ich die schlimmsten Kopfschmerzen meines bisherigen Lebens. Dabei war ich bereits mehrfach vom Pferd gefallen, hatte mich mal beim Skaten an der Schläfe verletzt und einen Motorradunfall hinter mir, der mir eine Gehirnerschütterung eingehandelt hatte. Aber nichts davon war mit meinem derzeitigen Zustand zu vergleichen. Es fühlte sich an, als ob Bomben hinter meiner Stirn explodierten.
Für die ersten Minuten (vielleicht waren es auch Stunden), war ich unfähig, mich zu rühren. Ich ertrug den Schmerz einfach und dämmerte immer wieder weg, ohne die Augen zu öffnen. Nur, dass es hinter meinen Lidern hell war und die Sonne aufgegangen sein musste, seit ich mich erschossen hatte, nahm ich wahr. War ich wirklich wieder wach oder gestorben und das war die Hölle? Zumindest war es ein Höllenkater.

Lux - Krieg zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt