Jungfrau mit Katana (die japanische Jeanne d'Arc)

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„Meine Herren, bitte schmeißt eure tägliche Drogenration ein", erinnerte Imara die beiden anderen Lucera, nachdem sie dreimal durch die Türklinke des Kangarooby gegriffen hatte. Nachdem ich unter Harus Aufsicht meinen Rucksack aus dem Personalbereich geholt hatte, hatten wir die Bar verlassen wollen. Aber anscheinend war das gar nicht so einfach. Harus Hand glitt wortlos in die Tasche seiner dunkelgrauen Jeans, Leon stöhnte: „Können die das Zeug nicht mal verbessern? Ich vergess' das jeden Abend und merk's erst, wenn ich mich durch irgendeine Kneipentoilette durchpinkle bis auf den Erdkern."
Haru verdrehte die Augen - ihn nervte Leon offensichtlich mehr als die Medizineinnahme. Er zog ein Pillenröhrchen hervor, in dem sich kleine rote Kapseln befanden.
„Da du dich bald auch damit beschäftigen musst: Das sind unsere Transmitter für Bereiche außerhalb des Animus. Damit können wir mit der menschlichen Welt interagieren. Auch, wenn wir trotzdem keine Menschen verletzen können. Lichtwaffen können keine Körper zerteilen", erklärte Imara, bevor sie das Röhrchen an ihre Lippen hob und eine der Pillen schluckte. Die beiden anderen taten es ihr gleich.
„Eigentlich dachte ich, dass ihr euch damit heilt ...", gab ich zu und Imara runzelte die Stirn. „Hä? Warum das denn?"
Mein Blick wanderte zu Haru, der tunlichst darauf bedacht war, mich zu ignorieren. Er hatte mich angelogen und die Pillen gar nicht eingeworfen, um seine Verletzung zu heilen, sondern damit er mir an dem Abend die Handschellen anlegen konnte!
„Ich sollte mich echt verziehen", begann ich und Imara grinste. „Dank der Transmitter könnte ich die Waffe benutzen, die du in deinem Rucksack mit dir rumschleppst und dir ins Bein schießen. Tötet dich zwar nicht mehr, aber tut weh. Oder ich schlag dich bewusstlos. Also mach dir keine Hoffnungen."
Verdammt, woher wusste sie das mit der Beretta? Das Ding zeichnet sich ziemlich deutlich unter dem Rucksackstoff ab, ich würde sagen, daher weiß sie es, mutmaßte Dreckstück. Er war seit einigen Minuten zu erstaunlich wenig Scherzen aufgelegt. Ich verzog den Mund und wand mich in meinen Fesseln - Haru hatte mir noch ein zweites Paar über meine Hände gestülpt: Das eine war eine magische Kette, die meine noch nicht erwachten Kräfte in Zaum halten sollte und das andere waren stinknormale Handschellen. Durch die Kette konnte ich auch Dreckstücks Kräfte nicht nutzen und etwa durch die Schatten verschwinden.
Die Wirkung der Pillen setzte allem Anschein nach sofort nach der Einnahme ein, denn als die Lux dieses Mal nach der Klinke griff, konnte sie die Tür aufziehen. Wir traten nach draußen in die Jaffe Road, eine der bekanntesten Partymeilen Hongkongs. Noch trugen die meisten der Passanten in der Häuserschlucht Einkaufstüten statt Ausgehkleidung, aber in wenigen Stunden würde sich das ändern. Autohupen, Mororengeräusche und Menschen, die im Vorbeigehen telefonierten, prägten die Atmosphäre der Straße. Aus einigen der angrenzenden Restaurants und Geschäften drang Popmusik. Wenn man den Kopf in den Nacken legte, konnte man über den Werbetafeln und den Dächern der Wolkenkratzer den grauen Himmel erkennen. Die Sonne konnte ich nicht sehen, sie hatte sich zu einem diffusen Leuchten hinter dem städtischen Smog zurückgezogen. Dafür entdeckte ich die beiden Typen wieder, durch die das Schattenmonster erst hatte entstehen können, als ich den Blick wieder senkte. Sie standen einige Meter abseits der Bar. Der Kleinere stützte seinen ekelhaften Freund, der sich Taschentücher in die blutende Nase gestopft hatte.
„Dauert das noch lange, bis der scheiß Krankenwagen kommt?", fragte er und sein Kumpel schien mit den Schultern zu zucken. Auch, wenn ich mir da nicht ganz sicher war, weil sie unter dem massigen Körper des anderen begraben wurden.
Der Blick des Kleineren fand unsere Gruppe und er erstarrte. Lautlos bewegte er die Lippen, bevor er mit dem Finger auf mich zeigte. „Du ... du ... Da ist sie! Scheiße, was willst du noch von uns?!"
„Hast du die so vermöbelt?", erkundigte sich Leon und ich hörte zum ersten Mal so etwas wie Anerkennung in seiner Stimme.
„Vielleicht haben sie auch gesehen, wie sie mit dem Umbra gekämpft hat. Für viele Menschen ziemlich verwirrend, wenn sie nur einen der Kämpfer sehen können", vermutete Imara. Unwillkürlich musste ich an die Szene in Fight Club denken, in der sich der Erzähler vor seinem Boss selbst verprügelt.
„Es ist beides. Ich hab ihm die Nase gebrochen und sie haben den Kampf gesehen", erklärte ich.
Ich zog in Erwägung, die beiden Typen um Hilfe zu bitten, verwarf die Idee aber sofort wieder. Wenn mich jemand nicht aus den Fängen meiner Kidnapper befreien würde, dann diese zwei. Stattdessen fragte ich: „Wo gehen wir jetzt hin?", als wir in eine Seitenstraße einbogen. Wir passierten den Hinterausgang des Kangaroobys, was nicht mehr als drei Stufen waren, die zu einer Feuerschutztür führten. Daneben stand meine Honda. „Ich geh nicht ohne meine Maschine", stellte ich klar.
Leon stöhnte, doch Imara unterstützte mich: „Wenn du Haru fahren lässt, kannst du sie mitnehmen."
„Warum eigentlich immer er?", fragte ich. Nicht, dass ich mit dem Riesen lieber Zeit verbracht hätte.
„Weil er seine Abschlussprüfung versaut hat und dann nicht einmal die Ehre hatte, zu sterben", erwiderte Imara mit hochgezogenen Augenbrauen. Harus Kieferknochen malmte deutlich sichtbar, während er seine Sneaker inspizierte. Ich hatte Recht!, freute sich Dreckstück.
„Man muss bei euch also gleich sterben, wenn man seine Prüfung nicht besteht?" Das hätte Professor Whang bestimmt gefallen.
„Nicht unbedingt, aber es ist eine Ehrverletzung, erfolglos zurück nach Caelus zu kehren und nicht einmal als Zeichen der Beschämung ein Opfer vorzuweisen. Und unser Haru hier ist zufällig der lichtgeborene Sohn des Luxkönigs Illuminatio", erklärte Imara, bevor sie der weiße Terrier einer älteren Dame anknurrt, die an uns vorbei auf die Hauptstraße zusteuerte. „Komm schon Thor!", ächzte sie und zog den Kleffer mit sich.
„Thor?", murmelte ich und sah ihr nach. Für das kleine Ding?!
Hallo? Erde an Bo? Dir wurde gerade eine wichtige Information zuteil und du bist damit beschäftigt, Hundenamen zu bewerten!, rügte mich Dreckstück.
„Menschen kann man täuschen, aber die Tiere nicht. Hat schon meine Babuschka gesagt", meinte Leon.
Ich pustete mir den Pony aus dem Gesicht, weil ich meine Hände nicht dafür benutzen konnte und wandte mich an Haru: „Deshalb bist du so aufgeblasen, hättest gleich sagen können, dass du adlig bist."
In seinen Augen blitzte Zorn auf, doch er erwiderte nichts.
„Es ist ne besondere Schande, wenn der Prinz versagt. Jetzt muss er eine Ersatzleistung bringen und zwar, dich einzufangen und nach Caelus zu bringen. Und er wird alles tun, damit ihm das gelingt, hab ich Recht, Herzchen?" Imara kaute eindrücklich auf ihrem Kaugummi herum und schaute den Angesprochenen abwartend an.
„Klar. Natürlich", presste er schließlich raus und drehte sich weg.
Mann, der hat ein echtes Problem. Ist bestimmt so ein selbstmäkeliger Perfektionist, kommentierte Dreckstück gelangweilt. Sicher ist der total unenspannt. Vergiss sein Sixpack, Bo. Der schläft nur mit seinem Job.
Ich verkniff mir ein Grinsen und heftete mich an Harus Fersen. „Wenn du meiner Maschine auch nur ein Haar krümmst, wird dein Wunsch in Erfüllung gehen und ich bring' dich doch noch um", bemerkte ich beiläufig.
„Wir sehen uns am Treffpunkt", verabschiedete sich Imara. Als ich mich zu ihr umdrehte, waren sie und Leon verschwunden.
„Wo sind sie hin?", murmelte ich, aber von Haru war keine Antwort zu erwarten. Konnten Lichter durch die Schatten reisen? Wohl kaum, oder?
Er starrte mein Motorrad an. „Wie genau ... fährt man sowas?"

Lux - Krieg zwischen Licht und SchattenWhere stories live. Discover now