4. Kapitel - Mila

231 8 0
                                    

Ich liege im Bett und versuche, wieder einzuschlafen. Es ist mitten in der Nacht, und ich habe keine Ahnung, warum ich wach geworden bin. Grundsätzlich passiert es oft, dass ich nachts wach werde. Das liegt dann aber meistens daran, dass meine Geschwister bei mir schlafen wollen, weil sie allein in ihrem Zimmer Angst haben. Die meisten Kinder würden dann zu ihren Eltern ins Bett kraxeln, aber nicht so Alec und Lydia. Kein Wunder, schließlich habe ich sie eigentlich groß gezogen. Als Lydia dieses Jahr ihren ersten Schultag an der Grundschule hatte, habe ich sie dorthin gebracht, bevor ich zu meiner High School gefahren bin. Genauso war es ein Jahr zuvor mit Alec. Unsere Eltern sind eigentlich nie da, weil sie sehr viel arbeiten. Also bin ich für die zwei Kleinen da. Vor allem in letzter Zeit, wo Mum und Dad eine Scheidungsphase durchmachen. Leise seufze ich. So ruhig wie jetzt war es seit Wochen nicht mehr. Da höre ich plötzlich ein leises Poltern. Sieht aus, als wäre es mit der Ruhe vorbei. „Wahrscheinlich kommt jetzt entweder Alec oder Lydia zu mir", denke ich, als vor meinem Fenster ein Licht aufleuchtet. Und noch eins. Vier kleine Lichter scheinen durchs Fenster. Es dauert ein bisschen, aber dann sehe ich auch den Umriss einer Person. Einbrecher! Die Lichter sind vermutlich Taschenlampen. Oh, Fuck. Ich verstecke mich in meiner Decke und tue so, als würde ich schlafen. Zugleich nehme ich aber den kleinen Block und den Stift von meinem Nachttisch und stecke sie in die Tasche meines Schlafanzuges. Mein erster Gedanke war zwar, dass es Einbrecher sind, aber wer weiß das schon sicher? Okay, sie natürlich, ich aber nicht. Seit ein paar Jahren sind in Kalifornien auch Entführer unterwegs. Es sind schon über 100 Mädchen in meinem Alter aus ihrem Zimmer verschwunden.

Ich verkrieche mich noch ein Stück weiter unter der Decke und forme ein kleines Loch, durch das ich nach draußen sehen kann. Den Lichtern nach stehen vier Personen vor meinem Fenster am Balkon. Eine davon hantiert mit irgendeinem Gerät am Fenster. Die Scheibe fällt aus dem Rahmen und wird von den Einbrechern aufgefangen und zur Seite gestellt. Dann klettert einer durch das Fenster und öffnet für die anderen die Balkontür. Sie kommen langsam zu meinem Bett. Schnell schließe ich die Augen und achte noch mehr als zuvor darauf, dass ich aussehe, als würde ich schlafen. Das war eine sehr gute Entscheidung, denn mir wird die Decke vom Kopf gezogen und jemand hält mir mit einem Stück Stoff Mund und Nase zu. Es riecht irgendwie komisch nach Krankenhaus und ich halte die Luft an, um nicht zu viel von dem Zeug zu inhalieren. Trotzdem werde ich schläfrig, und als mich jemand aus dem Bett hebt, bin ich schon fast weg.

Als ich wieder aufwache, trägt mich ein Mann über seine Schultern. Ich kann ihn nicht sehen, aber er spricht mit den anderen. Es hört sich an, als wären es vier Männer. Entweder habe ich nur sehr kurz geschlafen oder wir sind schon am Ziel.

Ich stelle mich wieder schlafend und warte, was passiert. Etwas später werde ich von der Schulter des Mannes genommen. Kurz öffne ich die Augen und sehe ein schwarzes Auto, dann werde ich in den Kofferraum gelegt. Schnell schließe ich meine Augen wieder, als einer der Männer auf mich zukommt. Er fesselt meine Arme und Beine, dann höre ich wie jemand den Kofferraumdeckel zuschlägt. Ich mache meine Augen wieder auf, sehe aber nichts. Hier ist nicht viel Licht und meine Augen haben sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt. So lange muss ich mich wohl auf meine anderen Sinne verlassen. Vorne steigt jemand ein, dann fahren wir los.

Ich bin noch immer etwas benommen von der Betäubung, aber langsam werde ich wieder klar im Kopf. Es fühlt sich nach einer ausweglosen Situation an, schließlich liege ich gefesselt im Kofferraum eines fahrenden Autos. Aber ich weiß, solange ich einen Ausweg suche, habe ich keine Zeit, hysterisch zu werden. Plötzlich kommt mir eine Idee: Wenn ich das Rücklicht raustreten kann, könnte das Auto angehalten werden und ich komme in Sicherheit. Und selbst wenn das nicht passiert, kann ich mich anders bemerkbar machen. Ich habe doch nicht umsonst etwas zum Schreiben dabei. Nach einigen missglückten Versuchen ist endlich ein Loch, wo vorher das rechte Rücklicht war. Meine Hände sind zwar gefesselt, aber ich schaffe es, eine Nachricht zu schreiben: „Hilfe! Ich wurde entführt! Vier Männer sind in mein Zimmer eingestiegen und haben mich betäubt! Jetzt liege ich im Kofferraum eines Autos, bei dem ein Rücklicht fehlt. Farbe und Modell konnte ich nicht gut erkennen, ich glaube es ist schwarz". Schnell unterschreibe ich das Blatt, dann drehe ich mich um, sodass ich aus dem Loch sehen kann. Das ist nicht ganz einfach, aber der Kofferraum ist relativ geräumig. Als ich es geschafft habe, werfe ich den Zettel nach draußen und hoffe, dass ihn jemand findet.

Unterwegs schreibe ich immer wieder kleine Nachrichten, auf denen ich beschreibe, wie es draußen aussieht. Immer wieder nicke ich kurz ein, aber sobald ich wach bin, mache ich weiter. Irgendwann gehen mir die Zettel aus, aber ich merke mir trotzdem möglichst viel von der Umgebung. Vielleicht erkenne ich so, wo wir hinfahren. Ein wenig bezweifle ich das aber, weil ich nichts von dem wiedererkenne, was ich sehe. Außerdem bin ich schon so müde von der langen Fahrt. Ich habe hier zwar keine Uhr, aber wir sind sicher schon Stunden unterwegs.

entführtWhere stories live. Discover now