12. Kapitel - Mila

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„Habt ihr Sara irgendwo gesehen?", japst Kate aufgeregt, als sie völlig außer Atem in den Besucherraum stürzt. Wir nennen ihn zumindest Besucherraum, es sieht nämlich so aus, als hätten die früheren Gefängnisinsassen hier ihre Besucher getroffen. Für uns ist es eher so etwas wie ein Pausen- oder Aufenthaltsraum. Hier sind wir meistens, wenn gerade keine Arbeit zu tun ist. Diese Pausen sind ohnehin selten genug. Nach dem Frühstück ist Training bis zum Mittagessen, danach müssen wir für einige Zeit in unsere Zellen. Die Türen sind zwar offen, aber es wird nicht gern gesehen, wenn wir uns draußen aufhalten. Nach der Pause geht es weiter mit dem Training, und nach dem Abendessen heißt es entweder Zelle oder Bar. Nur manchmal sind dazwischen unvorhergesehene Pausen, in denen wir uns frei im Gebäude bewegen können. Fast stößt Kate an den Tisch, an dem ich mit Layla sitze, weil sie nicht schnell genug bremsen kann. „Beruhige dich", meint Layla, „Es wird schon nichts passiert sein. Das Mädchen kann sich wehren, das weißt du. Aber wir können dir ja suchen helfen. Ich glaube, wir haben noch Zeit, oder Mila?", wendet sie sich an mich. Kurz verdrehe ich die Augen: „Als ob ich besser wüsste als du, wie viel Zeit wir haben. Hier drinnen ist keine Uhr, wie du weißt. Von daher ist es wahrscheinlich sowieso das Beste, wenn wir uns erstmal auf den Weg machen. Sonst kommen wir noch zu spät, und das will ich wirklich nicht erleben. Aber wenn wir noch Zeit haben, helfen wir natürlich bei der Suche", verspreche ich Kate. „Danke", seufzt diese erleichtert.

Im Speisesaal angekommen werfe ich einen Blick auf die Uhr und überlege laut: „Um halb vier müssen wir hier sein. Das ist in einer halben Stunde. Vorher müssen wir uns noch umziehen, aber ein wenig Zeit haben wir. Das Problem ist nur, dass das die einzige Uhr hier drin ist. Woher wissen wir, wann wir zurücksein müssen?" Layla zuckt mit den Schultern: „Nach Gefühl. Das wird sich schon ausgehen. Wir können uns ja jetzt schon umziehen, dann haben wir später keinen Stress". Mit erhobenen Augenbrauen sehe ich sie an: „Was ist mit dir denn los? Das wird sich schon ausgehen? Ernsthaft? Ich meine, du hast recht, ich bin dabei, aber normalerweise hältst du mich doch davon ab, Risiken einzugehen". „Nicht, wenn es um meine Freunde geht", meint Layla entschlossen. Immer noch erstaunt blicke ich sie an, sage aber nichts mehr.

Nachdem Layla und ich uns umgezogen haben, treffen wir uns vor Sara's Zelle. „Ich glaube, es wäre das Beste, wenn jede einzeln sucht. So schaffen wir es vielleicht, früh genug wieder hier zu sein", erkläre ich meinen zwei besten Freundinnen den Plan. Kate nickt und auch Layla scheint einverstanden zu sein. „Hier sind drei Gänge, wenn jede in eine Richtung geht, kommen wir sicher weit", überlegt Layla. „Alles klar", meint Kate, „ich geh nach links". Layla wählt den rechten Gang, also bleibt für mich noch der mittlere.

Eine Weile geht es einfach nur gerade aus, die meisten Türen, an denen ich vorbeikomme, sind versperrt. In die offenen Räume schaue ich natürlich hinein, aber alle sind leer. Unterwegs werde ich immer schneller, während ich versuche, möglichst viele der Gänge zu durchsuchen. Nach ungefähr fünf Minuten stehe ich wieder einmal vor einer Kreuzung. Kurz überlege ich, aber dann laufe ich geradeaus weiter. So kann ich nach Sara suchen und bin zugleich auf dem Weg in den Speisesaal. Denn so sehr ich sie auch mag, das letzte Mal als Layla und ich ihr helfen wollten, wären wir fast in Schwierigkeiten gekommen. Grundsätzlich helfe ich meinen Freunden immer gerne, auch wenn ich dadurch Probleme bekommen könnte. Aber ich muss dabei auch mitdenken. Es bringt Sara überhaupt nichts, wenn ich den Dienst schwänze, um nach ihr zu suchen. Viel sinnvoller ist es, wenn ich sie später suche. So dauert es zwar länger, aber dafür kann ich ihr dann besser helfen.

Pünktlich um fünf vor halb vier komme ich im Essraum an, wo auch alle anderen Soldatinnen warten. Kurz darauf kommen auch Layla und Kate herein – beide erfolglos. Das heißt, Sara ist immer noch verschwunden. Trotzdem muss ich mich jetzt auf meine Arbeit konzentrieren, so schwer es auch sein mag. Heute ist es meine Aufgabe, die Waffen zu reinigen und zu kontrollieren, ob alles da ist. Am Anfang habe ich mich gewundert, dass sie uns so vertrauen, aber mittlerweile weiß ich, dass diese Arbeit sehr gut überwacht wird. Jeder Winkel des Raumes kann von Kameras eingesehen werden. Wenn irgendetwas passiert, wird durch Düsen in der Wand ein Gas gesprüht, wodurch alle ohnmächtig werden. Die Tür ist sowieso die ganze Zeit verschlossen, es gibt also auch keinen Ausweg. Zumindest hat Layla das erzählt, ich war noch nie in so einer Situation.

Als wir mit den Waffen fertig sind, geht es zum Abendessen. Plötzlich zieht mich jemand in einen Nebengang und hält mir den Mund zu. Das wäre zwar nicht nötig gewesen, ich bin viel zu überrascht zum Schreien, aber wer auch immer hinter mir steht, weiß das natürlich nicht. 

entführtWhere stories live. Discover now