23. Kapitel - Mila

78 6 0
                                    

Als alle da sind, ergreift der Commander das Wort: „Gewonnen hat, wie ihr wisst, das rote Team. Jedes Mitglied bekommt zwanzig Punkte, für jede Schusswunde gibt es einen Punkt Abzug. Mehr als die Hälfte des Teams ist gestorben, ihr bekommt nur die Hälfte der Punkte. Am zweiten Platz ist Team pink. Es gilt das Gleiche wie für die anderen Teams, aber ihr startet mit zehn Punkten. Team blau hat verloren. Ihr habt euch keine Punkte verdient, aber einige verloren. Strengt euch nächstes Mal mehr an". Sterling sieht uns alle kurz mit stechendem Blick an, bevor er fortfährt: „Einige Soldatinnen haben die Erwartungen übertroffen, dafür gibt es Zusatzpunkte. Beta Sergeants Monique und Adrienne: 20 Punkte für gute Teamführung. Beta Sergeant Layla: Ebenfalls 20 Punkte für herausragende Trefferquote. Alle Mitglieder des roten Teams, die am Abschlusskampf beteiligt waren, bekommen weitere fünf Punkte für Teamwork und Durchhaltevermögen. Beta Sergeant Mila erhält 50 Punkte für Strategieentwicklung, Mut, Durchhaltevermögen und Schutz der Kameraden vor und in der Gefangenschaft". Mit diesen Worten sind wir entlassen.

Plötzlich kommt Commander Sterling auf mich zu. „Du hast heute gute Arbeit geleistet", meint er und klopft mir auf die Schulter. Dann geht er weiter. Verwirrt sehe ich ihm nach. Dieses Verhalten passt nicht zum Commander wie ich ihn kenne. Normalerweise fallen ihm nur die Fehler auf. Sein Motto: Kein Tadel ist genug Lob. Auch Layla ist verwundert, was ich am Blick erkenne, den sie mir zuwirft. Ich schüttle den Kopf, um nicht weiter darüber nachzudenken, und folge den anderen hinaus. In der Zelle angekommen, ziehe ich die Arbeitsuniform aus, um mich für das Abendessen fertigzumachen. Da bemerke ich, dass das Schulterpolster der Uniform etwas ausgebeult ist. Als ich versuche, es glattzustreichen, fällt eine kleine Rolle heraus. Ein Zettel! Deswegen war Sterling so komisch, er musste mir diese Nachricht heimlich zustecken! Ich rolle ihn auf und lese, was da steht:

Ich muss mit dir reden.

2000 Nuss

Komm allein.

D. A.

Eine ungewöhnliche Nachricht. Aber es ist eigentlich ganz schön schlau. Niemand sonst würde verstehen, was eigentlich gemeint ist. D. A. steht vermutlich für Dark Angel. Ich bin die Einzige, die ihn so nennt. Die meisten sagen Boss oder Direktor. Und 2000 Nuss ist auch eher irreführend. Aber das Holz im Büro von Dark Angel ist aus Nuss. Dass 2000 20 Uhr bedeutet, wäre wahrscheinlich auch Anderen eingefallen. Natürlich sind das alles nur Vermutungen, aber mein Instinkt sagt mir, dass ich um 20 Uhr von Dark Angel in seinem Büro erwartet werde. Die Frage ist nur, warum. Für den Moment schiebe ich diese Gedanken beiseite und ziehe mich wieder an. Dann warte ich, bis wir zum Abendessen aus der Zelle gelassen werden.

Nach dem Essen kann ich es kaum erwarten, endlich herauszufinden, was eigentlich los ist. Aber erstens muss ich noch fast zwei Stunden warten und zweitens werde ich Layla und Kate abhängen müssen. Also überrede ich sie, dass wir noch in den kleinen Pub gehen, der neben der Gefängnis-Kommandozentrale eingerichtet wurde. Dort ist immer sehr viel los, und nach etwas mehr als einer Stunde kann ich unbemerkt verschwinden. Ich mache mich schnell auf den Weg ins Büro, immer auf der Hut, dass mir auch wirklich niemand folgt.

Vor der Tür zu Dark Angels Büro atme ich noch einmal tief durch, dann klopfe ich. Sofort ertönt seine Stimme: „Herein". Ich drücke die Klinge hinunter und gehe hinein. Nachdem ich die Tür wieder zugezogen habe, blicke ich auf. Dark Angel sitzt an seinem Schreibtisch. Links hinter ihm steht Commander Sterling, auf der rechten Seite ist Marc. Alle drei sehen mich streng an, aber Marc zwinkert mir leicht zu. Sofort entspanne ich mich ein wenig. Es wird also wahrscheinlich nichts allzu Schlimmes geschehen. Eine Weile bleibt es still und ich widerstehe dem Drang, eine Frage zu stellen. Ich hätte zwar einige Dutzend davon, aber mittlerweile habe ich gelernt, wann ich besser denMund halte. Nach einigen Minuten, in denen die Zeit ungefähr so schnell vergangen ist wie in einer Stunde Geschichte der Zauberei mit Professor Binns, ergreift der Gefängnisdirektor das Wort: „Du fragst dich sicher, warum du hierbist. Das hat einen guten Grund. Du musst etwas für mich tun". Jetzt spricht Marc weiter: „Es gibt einen Spion in unseren Reihen. Seit einigen Monaten kommt uns die Polizei immer näher. Sie haben Informationen, die sie nicht haben dürften. Irgendjemand von den Wärtern oder Lehrern ist ein Verräter. Finde heraus, wer es ist". Nun übernimmt Commander Sterling: „Als Belohnung und damit dir die Aufgabe leichter fällt, ernennen wir dich zum Alpha Sergeant. Damit hast du denselben Rang wie die Männer hier im Gefängnis. Die einzigen, die noch über dir stehen, sind wir drei. Du kannst den Job natürlich auch ablehnen, aber du darfst auf keinen Fall mit irgendjemandem außer uns darüber sprechen". Ich nicke. Das macht Sinn, der Verräter soll ja nicht erfahren, dass er auf dem besten Weg ist, aufzufliegen. Zwei Fragen habe ich aber noch: „Warum ich? Und warum glaubt ihr, dass ich den Verräter wirklich suche? Ich bin nicht freiwillig hier" Die drei Männer sehen sich kurz an, einen Teil der Antwort bekomme ich schließlich von Commander Sterling: „Du hast von Anfang an gezeigt, dass du anders bist. Du hast dich nicht einschüchtern lassen. Und heute hast du im Training bewiesen, dass du führen kannst. Du bist am besten für diesen Job geeignet". „Und warum vertraut ihr mir?", bohre ich nach. Dark Angel erklärt: „Du hast durch die Entführung nicht viel verloren. Du hast nie wirklich dort hingehört, das weißt du doch selbst. Hier geht es dir viel besser. Du hast Freunde, du wirst respektiert und du wirst gebraucht. Das ist um einiges mehr, als du in deinem alten Leben hattest. Das ist der Ort, an den du gehörst. Und wir wollen dir dabei helfen". Etwas verwirrt frage ich weiter nach: „Ich dachte, ich soll irgendwann verkauft werden?" Langsam nickt Dark Angel: „Das ist es, was mit den meisten Mädchen passiert. Aber du bist anders. Das hier ist der richtige Ort für dich. Du gehörst hierher und ich will dich hier haben. Also wirst du hier bleiben. Wenn du diesen Job annimmst, werde ich dich nicht verkaufen". Irgendwie gefällt mir das. Er hat recht. Ich vermisse mein altes Leben kaum. Eigentlich habe ich es von Anfang an nicht wirklich vermisst. Sicher, meine Geschwister würde ich gerne einmal wiedersehen, aber sonst? Ich hatte nichts zu verlieren. Es geht mir hier im Gefängnis besser als zuvor. Und je höher mein Rang, umso besser wird es. Als Alpha Sergeant stehe ich auf der gleichen Stufe wie die normalen Wärter. Damit kann mir niemand mehr Befehle geben, außer den Dreien, die mit mir im Raum sind. Kurz überlege ich noch, dann antworte ich: „Ich mache es". Die drei tauschen einen Blick, dann meint Marc:„Bist du dir ganz sicher? Lass dir Zeit mit der Entscheidung, es reicht, wenndu es uns morgen sagst". „Ich bin mir sicher. Allein die Tatsache, Alpha Sergeant zu werden, hat schon einen gewissen Reiz. Aber was noch wichtiger ist: Ihr habt Recht. Ich habe durch die Entführung mehr gewonnen als verloren. Ich will hier bleiben". Die drei Männer sehen zufrieden aus, sie glauben mir also. Ich habe ja auch nicht gelogen, ich habe nur nicht die ganze Wahrheit gesagt. Denn nach allem, was ich weiß, ist es wahrscheinlich, dass die Cops meinen Hinweisen folgen. Das sage ich natürlich nicht, ich würde nur Probleme bekommen. Und wer weiß, auch, wenn das der Beginn eines neuen Lebens ist: Vielleicht will ich irgendwann in mein altes zurück? Und ohne Hilfe von außen wird das nichts.

entführtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt