6.2: Ich komme mir vor, wie in einem Film.

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„Fuck." Er sah zu Anatol. „Wir müssen hier weg."

Ohne abzuwarten packte er seinen Unterarm und zog ihn hinter sich her zur Wand neben der Öffnung, die in den großen Hauptraum führte. Langsam beugte er sich vor. Yuri näherte sich von links, um seine Finger tanzten schon erwartungsvolle Funken, Gabby kam von rechts. Ihre Augen zuckten in ihren Höhlen unentwegt umher, nahmen so viel mehr wahr als ihre Umgebung, waren sie doch gleichzeitig auf das Dazwischen ausgerichtet.

Schnaufend stieß sich Chander von der Wand ab, zerrte Anatol mit und ließ ihn los. Durchschritt abermals den kleineren Rechnerraum, auf die zweite Öffnung zu, dann durch die Büroräume mit Schreibtischen in verschiedener Größe und Anzahl dahinter, links, wieder geradeaus, wieder links.

Magie prallte gegen ihn, fesselte ihn nur dank seiner Gadgets nicht an die nächste Wand, ließ ihn aber mit der Hüfte gegen einen der Schreibtische prallen. Seine Armreifen leuchteten silbrig auf.

„Ich hasse es, mit dir zu kämpfen", sprach eine schneidende Stimme von überall und nirgendwo her. Eine Faust grub sich in seinen Magen, vergessen war seine schmerzende Hüfte. Michelle trat aus den Schatten, betrachtete, wie er luftleer in die Knie ging. „Du bist aus der Übung", stellte sie fest. „Sehr schön, das erspart uns beiden eine Menge Schmerzen und Zeit." Sie sah auf ihn herab, nicht gehässig oder wütend oder auf sonst eine Weise negativ. „Chander ..." Ihr Kopfschütteln unterbrach sie. Eine kluge Frau, der die Wahrheit am Herzen lag. Am durch ihre Vorgesetzten an die Leine gelegten Herzen. „Was dachtest du eigentlich, wie das ablaufen wird, hm?"

Er sah schon, wie sich Fesseln um seinen Körper wanden, da wurde die Anführerin der Erzengel an die Wand hinter ihr katapultiert. Sie schien in der Zeit eingefroren. Nur ihre Augen bewegten sich, suchten den Raum ab, bis Anatol sich von seinem Versteck hinter einem Schreibtisch nahe dem Durchgang erhob. Silbrige Magiefäden züngelten über die Wand um Michelle, knisterten da, wo sie Goldketten berührten.

Der Reine hob beide Hände. „Es tut mir wirklich sehr leid. Wirklich sehr leid. Keine Sorge, sobald wir weg sind, können Sie sich wieder bewegen. Entschuldigen Sie."

„Grmmmmmh!", kam die Antwort von Michelle und das Silber strahlte funkengleich.

„So ähnlich dachte ich mir das." Chander rappelte sich auf und deutete eine Verbeugung an. „Es hat mich wie immer sehr gefreut, meine Liebe. Wenn ich meine Unschuld bewiesen habe, will ich eine Entschuldigung."

Sie hasteten durch weitere Räume, bis er endlich eine Tür aufstieß, die die kalte Nachtluft hereinließ. Ohne innezuhalten rannte er über die Plattform und drosselte bei den Treppen kaum das Tempo. Bis er stolperte und es mit einem Sprung auf den nächsten Absatz schaffte, wo er in die Knie ging. Er sah sich nach dem Reinen um, der ein paar Meter über ihm war. Jeden Moment konnte einer der drei Erzengel aus dem Hinterausgang stürmen. Und vom Verbleib des Vierten wusste er nichts. „Tu etwas!", schrie Chander und rappelte sich wieder auf.

Anatol hielt inne, kratzte sich am Kopf, bevor seine Augen im Mondlicht aufleuchteten.

Das war die einzige Warnung, die er bekam. Dann sackte der Boden unter ihm weg, er knallte mit dem Steißbein auf glatten Stein und die Rutschpartie begann.

„Langsamer", krächzte Chander, während sie dem Ende der Treppen entgegenrasten. „Langsamer!"

Alles Flehen war vergeblich. Die Treppe endete und er erwartete ein unschönes Abbremsen. Doch er schlitterte weiter, über den geglätteten Boden des Platzes.

Sanft verlor er an Geschwindigkeit, hielt schließlich an. Alle paar Sekunden erzitterte sein Körper, sein Herz trommelte wild.

Anatol rutschte in ihn hinein, lachte auf. „Wahnsinn! So was habe ich einmal in einem alten Film gesehen. Da war es eine Falle, aber das hier hat Spaß gemacht."

Der Tanz von Sonne und MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt