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„Mum?" Ich starrte in das Gesicht meiner Mutter, was locker auf Wikipedia im Artikel ,Missbilligung' als Anschauungsbeispiel veröffentlicht werden könnte. Niemand - wirklich niemand - konnte mit dem ganzen Körper pure und alles umfassende Missbilligung so gut ausdrücken wie eine Mutter. Und ich schwöre meine Mutter hatte es all den anderen beigebracht.

Sie war ein wirklich friedfertiger Mensch, aber manchmal ... manchmal, so wie heute, war sie die personifizierte Missbilligung.
Und heute auch noch etwas anderes.
Etwas, dass mich ganz klein werden ließ.

Dabei war sie selbst nur knapp über einen Meter fünfzig groß, zierlich, mit feinen Gesichtszügen, die jede Französin vor Neid erblassen lassen würden. Nicht wirklich furchteinflößend. Und doch.

Und doch war es heute anders.

„Ich kann das erklären." Der Standardsatz, wenn man bei etwas erwischt wurde, bei man besser nicht gesehen oder in meinem Fall - gehört - worden wäre. Der schien mit zum Lieferumfang ab Geburt zu gehören, denn ich hatte ihn nicht bewusst formuliert. Er war mir automatisch über die Lippen gehuscht. Nicht, dass mir eine passende Alternative zu ihm eingefallen wäre. Aber was für Millionen und Abermillionen Jugendliche funktionierte, das würde auch für mich reichen. Hoffte ich.

Sie rümpfte die Nase. „Ich verzichte vorerst." Ihre Stimme so kalt, so distanziert, dass die Worte wie Dolche durch meinen Kopf fuhren.
Das war nicht gut. Vielleicht würde ich dieses Mal wirklich Ärger bekommen.

Die Absätze ihrer grauen Louboutins - völlig deplatziert für eine Stadt wie diese - klapperten auf dem Parket, als sie an die Tür Mr Leonards klopfte und ohne eine Antwort abzuwarten eintrat. Sie verschloss die Tür zu meinem Verdruss sorgfältig.

Enttäuscht lehnte ich mich noch weiter vor, begierig zu hören, was besprochen wurde. Wie würde die fette Kröte Marzan wohl auf seine erklärte Erzfeindin reagieren? Zumindest nahm ich nach dem Gehörten an, dass der Typ Mum aus irgendeinem Grund hasste. Und so wie sie sich mit gegenüber gebärdet hatte, war sie auch nicht gern hier. Und ich war Schuld daran.

Ich seufzte. Offensichtlich stand ich auf einem Spielfeld, dessen Regeln ich nicht kannte und bei dem die Beweggründe der gegnerischen Parteien, ihre Zugehörigkeit und ihr Arsenal noch verborgen waren. In dem Moment, in dem ich mir Gedanken über einen treffenden Titel machte, wurde die Tür so heftig aufgeschleudert, dass sie gegen die Armlehne des Stuhls auf dem ich saß und leider auch gegen meinen Kopf krachte. Noch so ein erstes Mal auf das ich hätte verzichten können.

Sofort fuhr meine Hand zu meiner Stirn, die explosionsartig pochte und brannte. Ich war ziemlich sicher augenblicklich eine Beule ertasten zu können. Das tat sauweh. Und schlimmer noch es würde bestimmt ein hässliches Hämatom geben. Ich würde mein Outfit für Samstag an das blaulila Ungetüm auf meiner Stirn anpassen müssen. Prima.

„Auf keinen Fall atme ich dieselbe Luft wie das da." Alter. Ich rieb mir sprachlos über die schmerzende Stelle an meinem Kopf. ‚Das da' war meine Mutter. Was hatte der denn nur für ein Problem? Ich stand auf und lugte um das Türblatt herum in das Büro Mr Leonards, der mit geschlossenen Augen hinter seinem Schreibtisch saß und den Kopf in Richtung der mit unfassbar hässlichem Stuck beklebten Decke gedreht hatte.

„Mum?" Meine Stimme klang zittriger, als ich gedacht hatte, dass ich mich fühle. Was war hier bloß los?

Mrs Schwartz sah mich mitleidig an, während der Blick meiner Mum durch mich hindurch zu gehen schien. Dann straffte sie ihren Rücken und die weiße Bluse spannte sich unter ihrem grauen Kostüm. „Clarice, kannst du Marian auf die Krankenstation bringen? Ich glaube Tobias unwirscher Abgang hat ihrem Kopf zugesetzt."

Ich wollte soviel sagen. So vieles fragen. Und um ehrlich zu sein von Mum in den Arm genommen werden. Aber ich tat nichts. Kein Ton kam über meine Lippen. Stumm stand ich da und wartete auf Mrs Schwartz, die die Tür dieses Mal fest hinter sich zuzog. Allerdings erst nachdem ich mit anhören durfte, wie meine Mum explodierte. „Wenn Tobias sich meiner Tochter noch ein einziges Mal auf weniger als fünf Meter nähert, werde ich mich an Cornelius wenden."

Cornelius war nicht mein Vater. Auch nicht der Chef der Polizei, der hieß Alois und war Charlys Dad. Wen hetzte man sonst jemandem auf den Hals. Einen Anwalt?

„Komm, Marian. Lass mich dich zur Krankenstation bringen." Ich zuckte die Schultern. Das hier war so viel spannender geworden, als ich für möglich gehalten hatte. Und ich hatte noch keine Strafe erhalten. Lief gar nicht so schlecht das Ganze. Nun gut, ich hatte mir den Kopf angehauen, aber halb so wild.

Ich würde jedenfalls nicht vergessen, was ich hier gehört hatte. Wenn sie mich loswerden wollten... bitte sehr. Meine Mutter würde mir nicht ewig aus dem Weg gehen können und ich würde die Erklärungen bekommen, die ich brauchte um die letzten fünfzehn Minuten zu verstehen.

„Ist dir schlecht? Tut der Kopf sehr weh?" Nichts dergleichen. Es ging mir gut, also schüttelte ich den Kopf. Mrs Schwartz fasste an meine Schulter und schob mich sanft, aber bestimmt hinaus auf den Flur. Und ich schwöre, dass es mir im Sekretariat noch blendend gegangen war - mal abgesehen von meiner Sorge um das wachsende Ei auf meiner Stirn und den Kombinationsmöglichkeiten desselben mit einem partytauglichen Outfit. Aber in dem Moment, in dem das widerwärtig grelle Neonlicht des Flures auf meine Augen traf und zeitgleich direkt über uns das schrille Klingeln zur nächsten Stunde tönte, schien mein Körper sich umzuentscheiden und verweigerte mir plötzlich die Kontrolle. Mein Blickfeld wurde schmaler, der verbleibende Ausschnitt wurde grieselig. Ich fühlte mich, als würde ich tauchen; der Druck auf meine Ohren war unerträglich. Ich wusste was das bedeutete.

Bitte nicht.

Ich befahl meinem Arm nach Mrs Schwartz zu greifen. Wollte etwas sagen. Aber mein Körper, dieser Verräter, hielt es wohl für eine bessere Idee das klebrige, grüngraue Linoleum des Schulflures zu umarmen.

Das letzte, was ich sah, war Jackson.

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An Alpha's BiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt