The Alpha

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»Tee?«, fragt die elegant gekleidete Werwölfin, die uns in das fast vollständig verglaste Vorzimmer unter der Spitze des Griffin-Towers geführt hat.

Evie nimmt neben mir auf einem der unbequemen Designerstühle Platz und verneint, was ich ziemlich unhöflich finde.

»Ja. Danke. Mit Milch, bitte«, sage ich, zupfe nervös an meinem Hemdkragen herum und zwinge mich zu einem Lächeln.

Die Wölfin nickt pflichtbewusst und stöckelt auf hohen Absätzen in den Nebenraum. Nur ein paar Sekunden später kehrt sie mit einer Tasse schwarzem Tee zurück.

Ich bedanke mich und führe die Tasse zu den Lippen, um einen vorsichtigen Schluck zu nehmen. Dabei zittert meine Hand so sehr, dass ich mich prompt bekleckere.

»Ich hole Ihnen was zum Abwischen, Mister Boone.«

»N-nein ... nicht nötig«, stammele ich und rubbele mit dem Jackettärmel über die Flecken auf meiner Hose.

Evie, die neben mir sitzt, kichert hinter vorgehaltener Hand. Mit ihren ordentlich gemachten blonden Locken und ihrem schicken Businesskostüm sieht sie aus wie eine knallharte Geschäftsfrau. Vermutlich ist sie das auch. Jedenfalls kann sie ganz schön die Krallen ausfahren, wenn sie etwas möchte. Wie zum Beispiel Arthur Boone und den Rang als Alpha-Häsin. Brutal und kompromisslos hat sie meine Mom damals von ihrer privilegierten Position als Erstfrau meines Vaters vertrieben.

Eine Zeit lang war ich deswegen ganz schön wütend. Vielleicht habe ich mir als junges Karnickel sogar gerne ausgemalt, wie sie von einem Auto überfahren oder von einem Wolf zerrissen wird, doch inzwischen haben wir diese albernen Streitigkeiten beigelegt. Nur manchmal kocht die alte Wut noch in mir hoch.

»Tut mir leid«, beteuert Evie, als die Wölfin außer Hörweite ist, und nimmt mir die Tasse aus der Hand, damit ich mich säubern kann. Ihr breites Grinsen straft diese Worte Lügen. Sie presst die Lippen zusammen und wendet rasch den Blick ab, doch ihre bebenden Schultern verraten sie.

»Ja, okay«, knurre ich gereizt und wische mir eine rotblonde Haarsträhne aus der Stirn. »Ich bin ein bisschen nervös.«

»Nervös?«, lacht Evie. »Du bist der sprichwörtliche Angsthase.«

»Kaninchen«, brumme ich.

Evie verdreht die Augen. »Dann eben ein Angstkaninchen.« Sie lässt den Blick ihrer wachen, hellgrauen Augen aus der Glasfront an der Westseite des Vorzimmers schweifen. Von hier aus hat man eine beeindruckende Aussicht auf die verregnete City von London, deren Wolkenkratzer im Nebeldunst zu versinken scheinen. »Die Angestellten hier müssen sich schon Nasenklammern kaufen, weil der Gestank deiner Angst nicht auszuhalten ist.«

»Na, vielen Dank auch. Das ist wirklich sehr hilfreich«, erwidere ich sarkastisch, während ich mein ausgeleiertes Jackett straffe und meinen rutschenden Hosenbund zurechtrücke. »Aber du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht beunruhigt bist. Immerhin sitzen wir mitten in der Höhle des Löwen.« Mit gesenkter Stimme ergänze ich: »Die Wölfe hier warten bestimmt nur darauf, uns zum Frühstück zu verspeisen.«

»Ach, Unsinn«, brummt Evie und stellt meine Teetasse auf einem niedrigen Glastisch ab, auf dem ein paar Hochglanz-Wirtschaftsmagazine herumliegen. Dazwischen steht eine filigrane Vase mit einer gelben Pantoffel-Orchidee.

Ich schiele zu der Tür, durch die die Wölfin verschwunden ist. »Findest du nicht, dass sie irgendwie hungrig aussehen?«

»Wölfe sehen immer hungrig aus.« Evie nimmt ihre Handtasche auf den Schoß und wirft einen Blick hinein, als wollte sie sich vergewissern, dass sie nichts vergessen hat. »Aber mach dir keine Sorgen. Werwölfe mögen uns Werkaninchen in Tiergestalt körperlich überlegen sein, aber in Menschengestalt ist es ein Kopf-an-Kopf rennen. Und wir sind in der Überzahl.«

Dante & Nick: Down The Rabbit HoleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt