Gefühl

2.3K 31 5
                                    

Meine Hände zitterten vor Aufregung, als ich die Hemdärmel zuknöpfte. Ich wusste nicht, wie oft ich mich im Spiegel meines Schlafzimmers in Hogwarts betrachtet und danach entschieden hatte, doch ein anderes Hemd oder eine andere Hose anzuziehen. Der Stapel mit hastig abgestreiften Klamotten auf dem Bett war riesig.

Zum Glück besaß ich nur ein Paar Schuhe, das für einen Ball angemessen war, also sollte es damit schnell gehen. Bei dem Gedanken verfluchte ich mich dafür, die mattschwarzen Oxforder nicht noch einmal poliert zu haben. Sie hatten bestimmt schon Staub angesetzt.

Schließlich war das hier die erste Tanzveranstaltung in Hogwarts, seit der Krieg beendet war und die Schuhe hatten vermutlich seit dem Ball am Trimagischen Turnier keinen Festsaal mehr von innen gesehen.

„Egal", murmelte ich leise und biss mir auf die Unterlippe, während ich die schwarze Fliege umband. Der Anblick im Spiegel, wie ich mit dem Stoffteil kämpfte, verwirrte mich nur noch mehr, also schloss ich kurz die Augen. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, was Arthur mir beigebracht hatte und bekam nach einigen Versuchen den korrekten Knoten endlich hin.

Erleichtert atmete ich auf. Oliver würde mich nicht für einen kompletten Trottel halten.

Oliver Taylor. Argh, alleine der Gedanke an ihn ließ meine Wangen rot anlaufen.

Er hatte Hogwarts nach dem sechsten Jahr abgebrochen und war auf eine Muggel-Schule gewechselt. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen und da sein Zauberer-Vater wollte, dass er weiter Hogwarts besuchte, hatte sich seine Mutter dagegen ausgesprochen. Das Sorgerecht war an letztere gefallen, die ihn sofort von der Schule genommen hatte.

Oliver war im letzten Jahr achtzehn geworden, volljährig für einen Muggel, und beschloss, für das siebte Jahr nach Hogwarts zurückzukehren. Er wurde in eine Klasse mit den ganzen ehemaligen Sechstklässlern gesteckt, die das Jahr wegen des Krieges wiederholen wollten. Dort hatten wir uns kennengelernt.

Keiner von uns gab laut zu, wie sehr uns der jeweils andere gefiel. Keiner sprach offen aus, was das zwischen uns genau war. Die flüchtigen Berührungen beim Lernen, wenn ich ihm als Tutor mit seinen Aufsätzen half. Das erschrockene Einatmen, als seine Finger meine streiften und er sie plötzlich dazwischen fädelte. Hastige Blick, ob uns jemand beobachtet hatte. Und dann die vorsichtigen Küsse in einer dunklen Ecke der Bibliothek.

Nein, keiner von uns hatte es ausgesprochen, aber wir wussten beide, was los war.

McGonagalls Ankündigung beim Frühstück vor vier Wochen, dass es einen Ball geben würde, war fast zu perfektes Timing. Wir beschlossen, gemeinsam hinzugehen. Es würde uns den Aufwand sparen, uns outen zu müssen, stellten wir fest. Jedem wäre klar, dass wir zusammen waren, sobald wir eng miteinander tanzten.

Ich hatte es nicht einmal Hermine und Ron erzählt.

Sie wussten, dass ich mich mit jemandem traf, aber nicht mit wem und schon gar nicht, dass es sich um einen Mann handelte.

Und jetzt stand ich hier in meinem Zimmer und ärgerte mich, es ihnen nicht erzählt zu haben. Sie würden mir beistehen und versuchen, meine flatternden Nerven zu beruhigen, die mich gerade anschrien, die Sache sein zu lassen. Nicht mit Oliver zum Ball zu gehen. Gar nicht erscheinen. Das Fest einfach auslassen.

Aber das konnte ich nicht. Oliver wartete auf mich, er zählte auf mich und ich würde ihn ganz sicher nicht im Stich lassen. Wir waren beide so fest entschlossen gewesen, das durchzuziehen und mir drehte sich der Magen um bei dem Gedanken, ihn hängen zu lassen.

Außerdem hatte Oliver einiges angedeutet, als wir uns letztes Mal gesehen hatten. Bei seinem Besuch in meinem Zimmer am letzten Wochenende hatten wir auf dem Bett rum gemacht und er hatte beide Hände an meinen Arsch gelegte. Der Stoff meiner Jeans hatte sich gegen meinen hartnäckigen Ständer behaupten können und er fuhr vorsichtig darüber.

„In einer Woche, abends, nach dem Ball...", hatte er mir ins Ohr geflüstert. „Da will ich dich ganz auspacken, Hübscher."

Die Erinnerung an seine raue Stimme ließ einen Schauer über meinen Rücken laufen.

Wir würden es tun. Wir würden wirklich miteinander nackt sein und Dinge anstellen, die ich noch nie getan hatte. Der Gedanke machte mich nervös. Auf eine gute Art und Weise.

Ich stieg in meine staubigen Schuhe, wischte mit einem als nicht-gut-genug eingeschätzten Sockenpaar darüber und schnürte sie zu. Fest genug, um den heutigen Abend ohne Unterbrechung tanzen zu können. Nicht, dass ich Talent dafür hätte, aber für Oliver würde ich mein Bestes geben.

Ich nickte langsam. „Das wird schon, das wird", murmelte ich immer wieder. „Sei kein Schisser, Harry."

Wenn Oliver mich jetzt hören könnte, würde er bestimmt lachen und mich mit irgendeinem Scherz ablenken. Er hatte in der letzten Woche kaum Zeit für mich gehabt, weil ihn seine Nachhol-Kurse so auf Trab hielten, und ich vermisste ihn schrecklich. Ja, wir hatten uns erst vor einer Woche in meinem Bett gewälzt. Mir kam es so vor, als wäre das schon ewig her.

Seufzend betrachtete ich mich im Spiegel und strich über meine widerspenstigen Haare. Hier versuchte ich nicht einmal, für Ordnung zu sorgen. Aus Erfahrung wusste ich, dass es das nur noch schlimmer machte. Außerdem machte ich mich hier für Oliver zurecht und er kannte mich zur Genüge mit verwuscheltem Haar.

Ich zog die kleine Taschenuhr aus meiner Hosentasche und ließ sie aufschnappen. Noch eine Viertelstunde, bevor wir uns treffen wollten. Ein paar Meter vom Eingang der Großen Halle entfernt, unter einem Bild mit kupferfarbenem Rahmen. Oliver hatte mich bei unserem ersten Treffen gefragt, ob ich wusste, wer die beiden Herren darin waren, die vergnüglich Arm in Arm dastanden und ich war rot angelaufen und hatte nur gestammelt. Es erschien uns als perfekter Treffpunkt für ein Ereignis, bei dem uns outen wollten.

Zweifelnd schielte ich zu meinem Nachttisch, auf dem Gleitgel und ein Kondom bereitlagen. Würden wir das heute wirklich benutzen? Bisher kam mir das alles noch so unwirklich vor und ich erinnerte mich daran, dass wir uns praktisch erst seit gestern kannten. Vier Monaten höchstens. Aber es fühlte sich so gut an, mit ihm zusammen zu sein und ich wollte es endlich erleben.

Ich war achtzehn, verdammt noch mal. Und hatte bereits in einem Krieg gekämpft (und ihn, nebenbei gesagt, auch gewonnen). Da würde mich wohl so ein bisschen Sex nicht mehr aus der Ruhe bringen, oder?

Ein letztes Mal atmete ich tief durch und strich über die dunkelgraue Weste, die ich über dem Hemd trug. Den Festumhang hatte ich bereits darüber geworfen und hoffte, er war einigermaßen knitterfrei.

„Showtime", murmelte ich und verließ mit leichten Schritten und flatterndem Herzen mein Zimmer. Ich machte mich auf den Weg zur Großen Halle und stand weniger als fünf Minuten vor der ausgemachten Zeit am Treffpunkt. Schüler strömten in den Festsaal und ich konnte das ein oder andere bekannte Gesicht entdecken, wenn sie an mir vorbeikamen. Die meisten waren Arm in Arm mit ihrem Partner und ich konnte nicht umhin, zu Grinsen. Ja, das würde ich auch haben.

Nur noch ein paar Minuten.

Gut, mittlerweile waren es eigentlich Zeit für Oliver, aufzutauchen, aber vielleicht hatte er sich ebenso wie ich bei der Kleiderwahl aufgehalten. Vielleicht war er einfach ein bisschen später dran. Vielleicht...

Der Gedanke entfiel mir, als ich sein Gesicht sah. Er strahlte und sah verdammt gut aus in seinem dunkelroten Festumhang und der passenden Fliege. Das weiße Hemd komplementierte die dunkle Stoffhose und betonte seine hochgewachsene Figur perfekt.

Mein Herz klopfte wie verrückt und mir wurde schlecht. Eigentlich sollte ich verdammt glücklich sein, ihn so herausgeputzt zu sehen.

Wenn er nicht gerade mit einer jungen Frau am Arm die Große Halle betreten würde. 

Drarry: Versetzt (Smut)Onde histórias criam vida. Descubra agora