Kapitel 30 - Epilog

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Nachdem Tutanchamuns Gruft verschlossen und versiegelt wurde, bestieg am selben Tag Pharao Eje den Horusthron. Pharao Eje war aber altersbedingt nicht mehr fähig, das ägyptische Reich gewissenhaft zu regieren und ernannte seinen engsten Vertrauten zu seinen Mitregent. Ein Mitregent war meistens zugleich der Thronanwärter, weil er in die Regierungsgeschäfte und in das Mysterium der Götter eingeweiht wurde. Der zweiundvierzigjährige Haremhab hatte das Schwert beiseitegelegt und hatte wiederum seinen Vertrauten Ramses die Führung des Militärs überlassen. Pharao Eje hatte zwar genügend Söhne und Enkelsöhne, die er zum Mitregent hätte ernennen können, aber keiner von ihnen wäre fähig und würdig gewesen, nach seinem Ableben zum Pharao gekrönt zu werden. Jedoch waren diese Männer anderer Meinung gewesen, obwohl sie sich nicht im Geringsten vorstellen konnten was es bedeutet, die Verantwortung für ein ganzes Volk auf sich zu nehmen. Ejes Söhne und Enkelsöhne sahen nur die überirdische Macht, die ihnen zugeteilt werden würde, sobald einer von ihnen auf dem Horusthron säße.

Doch die Pschent-Krone forderte von Eje einen hohen Tribut.

Die erholsame Ruhe, die der alte Mann nach über sechzig Jahren Dienstzeit angestrebt und auch sichtlich benötigt hatte, war ihm nun aufgrund seines göttlichen Amtes verwehrt. Zudem hatte Pharao Ejes unwiderruflicher Beschluss, dass er Haremhab offiziell zum Thronfolger ernannt hatte, seine sonst harmonische Großfamilie und sein persönliches Glück zerstört. Jeder seine Söhne und auch die Enkelsöhne waren sich sicher gewesen, dass er einen von ihnen die Doppelkrone vermachen würde. Seine Familie war seitdem untereinander zerstritten und bis aufs Blut verfeindet. Missmut, Neid, Hass und Mordgedanken hatte den Familienclan überschattet und gespalten. Zudem hatten sie ihren Vater sowie Großvater abgrundtief verachtet und privat gemieden, obwohl Eje seine Familie über alles liebte und ihnen Ansehen, Einfluss, Wohlstand und Bildung ermöglicht hatte. Nur falls es unabdingbar war, wenn beispielsweise ein Staatsbesuch empfangen wurde oder das alljährliche Opet-Fest traditionell vom großen Balkon des Königspalastes ausgerufen wurde, sah man den Familienclan zwangsweise vereint, die dem Volk und Staatsleuten eine Harmonie nur vorgegaukelt hatten. Nur seine dreißig Jahre jüngere Gemahlin Tij stand wie immer konsequent hinter seinen Entscheidungen und hatte ihn immerzu unterstützt.

Aufgrund des Waffenstillstandes mit dem Hethiter Reich mussten neue Verhandlungen bezüglich die Herrschaft von Territorien, verbündeten Länder und insbesondere über die bedeutsame Stadt Kadesch in Syrien getroffen werden, um eine erneute Eskalation zu verhindern. Täglich überreichten Eilboten dem Königshaus bürokratische Schriftrollen, die vom Pharao ausgearbeitet und unterzeichnet werden mussten. Tagtäglich überlieferten Brieftauben von ägyptischen Spionen aus der hethitischen Hauptstadt Hattuscha entsandt, beunruhigende Nachrichten, dass ihre Streitmacht emsig aufrüstete und Vergeltungsschläge in ägyptischen Provinzen planten, um sie rechtswidrig einzunehmen. Die Hethiter bedrohten Ägypten weiterhin und provozierten immerzu einen Krieg.

Eje hatte sich bis zu seinem Lebensende eine erholsame Zeit erhofft, diese er gemeinsam mit seiner Königsgemahlin Tij und seinem Familienclan verbringen wollte, doch stattdessen starb er eines Nachts einsam bei Kerzenschein hinter seinem Schreibtisch, umgeben von unzähligen Schriftrollen. Als der Pharao am nächsten Morgen leblos im Audienzsaal aufgefunden wurde, hielt seine Hand immer noch die Schreibfeder fest.

Pharao Eje II verstarb im vierten Jahr seiner Regierungszeit und wurde vermutlich in Tutanchamuns ursprünglich vorgesehenem Grabmal im Tal der Könige bestattet. Seine Gruft wurde lange vor Christi Geburt geplündert und seine Mumie blieb bis heute verschwunden. Selbst die Wandbemalungen in seiner Grabkammer, die das Leben eines ägyptischen Königs dokumentieren, ergeben keinerlei Hinweise darüber, was mit Königin Anchesenamun geschehen war, weil Königin Tij als die Große königliche Gemahlin abgebildet wurde. Lediglich ein goldener Ring, der in den Ruinen von Memphis einst gefunden wurde und darauf Anchesenamuns sowie Ejes Name graviert waren bezeugt, dass sie einst vermählt wurden. Ob diese Ehe einvernehmlich vollzogen wurde, bleibt bislang fraglich.

Imhotep - Der Junge aus HeliopolisWhere stories live. Discover now