Sweetest Distraction | 𝕂𝔸𝔼𝕐𝔸

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Bild: burritoflint (Instagram)
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„Okay... Historische Fakten", murmle ich.
Ich sitze im Wohnzimmer auf dem Boden, tausend Papiere um mich herum verteilt.
Warum sitze ich auf dem Boden? Weil ich mich so besser konzentrieren kann.
Warum muss ich mich konzentrieren? Weil ich für meine Ritterprüfung lerne.

Ich weiß, ich bin bereits Ehrenritter in Mondstadt. Das ist auch alles schön und gut und ich bin stolz auf diesen Titel.
Nur... Ehrenritter ist kein richtiger Ritter. Es hat diesen inoffiziellen Beigeschmack, der mich in den Wahnsinn treibt.
Letzte Woche habe ich meiner Freundin Noelle dabei geholfen, ihre Ritterprüfung zu bestehen. Sie war so aufgeregt, sie hatte totale Panik vor dieser Prüfung. Aber weil sie meine Freundin ist, habe ich sie natürlich unterstützt, ihr mit dem Lernstoff geholfen, sowie ihr ein paar Tricks und Kniffe im Kampf gezeigt.
Bei ihrer Zeremonie zur Ernennung zur Ritterin des Favonius Ordens ist sie fast geplatzt vor Stolz - das war es, worauf sie jahrelang hingearbeitet hat. Sie hat es geschafft.
Und ich habe gemerkt: ich will das auch.

Der Titel Ehrenritter von Mondstadt ist etwas, worauf ich mir wirklich was einbilden kann. Aber ein echter Favonius Ritter zu sein, ganz offiziell... das hat schon was.
Also habe ich mich kurzerhand für meine eigene Ritterprüfung angemeldet.
Und nun kann ich nachvollziehen, wieso Noelle sich so fertig gemacht hat.

„Okay, vor etwa eintausend Jahren hatten die Aristokraten die Herrschaft über Mondstadt. Besonders der Lawrence Clan. Zur selben Zeit verbreitete der grausame Drache Ursa Terror und Schrecken im Land", murmle ich.
Ich bin der Lern-Typ, der Dinge laut aussprechen und sich selbst erklären muss, um sie zu verstehen.
„Auch Vennessa ist vor dem Drachen geflohen, weil sie ihr Volk vor ihm beschützen wollte und so kam sie nach Mondstadt. Aber die Aristokraten versklavten sie und ihr Volk und ließen Vennessa ihrer Stärke wegen als Gladiator zu ihrem Vergnügen Kämpfe austragen. Eines Tages..."

„Sieh mal einer an", höre ich eine sanfte, leicht spöttische Stimme hinter mir, „Ich habe mich schon gewundert, was wichtiger ist, als mich zu begrüßen."

Ich zucke zusammen.
Ich habe ihn nicht kommen hören. Seine schleichenden Tritte auf dem Holzfußboden sind wie die eines Pumas; lautlos.

„Meine Güte, Darling. Kein Grund, sich so zu erschrecken. Ich wollte dir nur mitteilen: ich bin wieder zuhause."

Als ich meinen Kopf in Richtung Tür drehe, sehe ich ihn.
Ihn nämlich; den wahrscheinlich größten Grund, wieso ich unbedingt zum Ritterorden gehören will.
Der Hauptmann der Kavallerie des Ordo Favonius, Kapitän Kaeya, lehnt lässig am Türrahmen und betrachtet mich. Die Haut sonnengebräunt, gekleidet in sein edles Alltags-Outfit in den verschiedensten Tönen von blau und weiß, passend zu seinem bläulichen Haar, das ihm in einem dünnen Pferdeschwanz über der Schulter hängt.
Ich muss schlucken.
Liegt es an mir oder wird er mit jedem Tag attraktiver?!

Sein linkes Auge blitzt auf, als er meine Reaktion auf ihn bemerkt. Sein anderes Auge ist hinter der Augenklappe versteckt, die er ausnahmslos immer trägt.
Ein kleines amüsiertes Lächeln umspielt seine Lippen, als er sich von der Tür abstößt und ruhig in meine Richtung geschlendert kommt.

„W-wie lange stehst du schon dort?", frage ich etwas verlegen. Wie peinlich wäre es bitte, wenn er gehört hätte, wie ich mit mir selber rede?!
Sein leises, samtenes Lachen, das kurz nach meiner Frage den Raum erfüllt, ist mir Antwort genug. Unangenehm berührt senke ich den Kopf. Wie beschämend.
„Nicht lange", versucht Kaeya, es herunterzuspielen, „Nur lange genug, um zu wissen, was du hier tust."
Ich höre, wie er sich neben mich hockt.
„Ich lerne", murmle ich, „für meine Ritterprüfung..."
Ich kann ihn dabei nicht ansehen. Es ist mir immer noch peinlich, dass er mich dabei belauscht hat.
„Dachte ich mir", sagt er sanft und ich spüre seine Fingerspitzen über mein Haar streichen, „Da waren doch ein paar Namen dabei, die mir bekannt vorkamen. Ursa... Der Lawrence Clan... Vennessa... Wobei, ach, hilf meinem Gedächtnis einmal auf die Sprünge, wer war sie noch gleich?"
Nun schaue ich doch direkt in sein Gesicht. Er versucht, möglichst unwissend auszusehen, runzelt leicht die Stirn, aber ich bin mir sicher, dass er mich nur testen will. Er weiß, wer sie ist und ich bin mir nicht einmal sicher, ob er sie nicht vielleicht sogar persönlich gekannt hat - Kaeya ist ein sehr geheimnisvoller Mensch, der niemanden hinter seine Fassade blicken lässt.
„Ach, nur die größte Heldin von Mondstadt", sage ich möglichst gleichgültig und sehe, dass Kaeya sich ein Schmunzeln verkneifen muss, „Sie hat vor ein paar hundert Jahren eine Rebellion gegen die Aristokraten angezettelt und sie mit Hilfe von Barbatos persönlich entmachtet. Sie war die Gründerin der Favonius Ritter und die erste Großmeisterin des Ordens. Nichts Großes also."
Kaeya nickt fachmännisch.
„Ach, die Vennessa", sagt er gelassen und richtet sich wieder auf, um sich ausgiebig zu strecken.

𝔾𝕖𝕟𝕤𝕙𝕚𝕟 𝕀𝕞𝕡𝕒𝕔𝕥 𝕆𝕟𝕖𝕤𝕙𝕠𝕥𝕤Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt