Die längste Nacht des Jahres

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Die große Halle Meduseld war erfüllt von Musik und dem Lärmen der ausgelassen das Ende der dunklen Zeit feiernden Rohirrim. Warm war es drinnen von all den tanzenden Körpern und hell lodernden Feuern geworden, obwohl in der Dunkelheit draußen ein eisiger Sturm toste. Doch mochten die Winde noch so kraftvoll und reich an Schnee über die Ebene wirbeln, in dieser längsten Nacht des Jahres würde ihnen niemand Beachtung schenken und selbst ihr Tosen ging im Stampfen der Tanzenden unter.

Auf der Empore, wo für gewöhnlich der Thron des Königs stand, war eine große Stundenkerze aufgebaut. Bis Mitternacht würde sie die Halle mit ihrem goldenen Schimmer erfüllen, stetig den köstlichen Geruch des teuren Bienenwachses verströmend. Die hell brennende Flamme stand für die in der dunklen Zeit dringend benötigte Tapferkeit und das Durchhaltevermögen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass wieder lichtere Tage anbrechen würden. Sobald die Stundenkerze erlosch, war die längste Nacht des Winters bezwungen und das Tageslicht würde die Welt Stück für Stück zurückerobern.

Doch nicht nur in der großen Halle, sondern überall in den Häusern Edoras waren kleine Zeichen der Hoffnung in den Fenstern zu sehen – oder wären zu sehen gewesen, wenn nicht ein solch fürchterlicher Schneesturm am Fuße des Ered Nimrais festgehangen hätte.
Die Straßen waren menschenleer, denn niemand wagte sich in die beißende Kälte hinaus – eine gute Ausrede für jene, welche die Julfeier nicht verlassen wollten. Gemeinsam wurde ausgeharrt, doch nicht etwa in Stille und Andacht, nein, die Männer und Frauen Rohans verstanden es, die Nacht zum Tage zu machen!

In endlos erscheinenden Strömen floss der Met und in der Mitte der Halle hüpften, stampften und tanzten die Rohirrim gemeinsam zum lebhaften Fiedelspiel. Unter ihnen auch der Prinz, bereits leicht außer Atem, obwohl die Julkerze erst zur neunten Stunde herabgebrannt war – drei weitere noch bis zum Höhepunkt der Feierlichkeiten um Mitternacht.

Freundlich erwiderte der junge Mann das strahlende Lächeln seiner Tanzpartnerin und verstärkte den Griff um ihre schmale Taille, bevor er sie in einer traditionellen Figur in die Luft hob. Die Wangen von der Hitze und der Anstrengung des schnellen Tanzes gerötet, blickte die dunkelhaarige Maid aus großen, grünen Augen auf Théodred herab, die Lippen in einem verzückten Kichern leicht geöffnet.

Das Aufblitzen von Augen, grau wie der wolkenverhangene Himmel eines Herbsttages.

Die Erinnerung traf den Prinzen unvorbereitet, um ein Haar wäre er über die eigenen Füße gestolpert. Schnell setzte Théodred die ihn offensiv anlächelnde Frau wieder ab, versuchte sich den Vorfall nicht anmerken zu lassen. Doch nach einem weiteren Tanz ließ er sich entschuldigen und suchte sein Heil in der Flucht.

Der Wunsch nach ein wenig Abstand zur Tanzfläche und den ihn umschwärmenden Mädchen, trieb den Prinzen zu seinem Vater. Dieser stand ein wenig Abseits am Fenster und blickte in das wütende Schneegestöber hinaus.

„Sind noch weitere Gäste eingetroffen?", erkundigte Théodred sich, versuchend den hoffnungsvollen Klang in seiner Stimme zu unterdrücken.
König Théoden schüttelte den Kopf und schickte seiner Antwort einen tiefen Seufzer voran:

„Nein, und es wird auch niemand mehr kommen. Ich fürchte, bei diesem Schneesturm müssen wir auf jene verzichten, die zu spät angereist sind. Kein Mann, der nicht völlig des Wahnsinns verfallen ist, wird sich bei den Vorboten dieses Wetters auf die Reise begeben haben. Edoras ist abgeschnitten von der Welt, solange dieser Sturm wütet."

Bedrückt nickte Théodred. Sehr hatte der junge Mann gehofft, dass noch eine Gesandtschaft aus Gondor zum diesjährigen Julfest erscheinen würde. Er wusste lediglich, dass der Beginn der Reise sich wegen innerpolitischer Probleme nach hinten verschoben hatte und die ohnehin dünne Nachrichtenlage wegen des seit Tagen zunehmend schlechten Wetters nun gänzlich zum Erliegen gekommen war. Die Hoffnung hatte der Prinz dennoch nicht aufgeben wollen – dabei zeigte ein Blick auf die Stundenkerze, dass lediglich etwas mehr als zwei Stunden sie noch vom Anbruch des neuen Jahres trennten.

Eine Reise durch Mittelerde (OneShot-Sammlung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt