Kapitel 25

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Mit schnellen Schritten rannte ich zu dem kleinen Backsteingebäude. Ein Blick auf die große Uhr ließ meinen Puls in die Höhe steigen. Das würde ich niemals rechtzeitig schaffen. Ohne anzuhalten, raste ich um die nächste Ecke und lief in Richtung der Bahngleisen. Zum Glück war der Bahnhof mit seinen vier Bahnschienen sehr übersichtlich, doch ausgerechnet heute musste ich mit einem Zug fahren, der am anderen Ende des Bahnhofes abfuhr. Das hieß, ich musste erst durch eine kleine Unterführung gehen, um zum richtigen Bahnsteig zu gelangen.

Noch zwei Minuten, dann würde dieser verdammte Zug ohne mich abfahren. Ich fühlte mich zwei Tage zurückversetzt, doch dieses Mal bezweifelte ich, dass ich es schaffen würde. Ich hatte wieder einmal verschlafen. Meine Grandma hatte mich erst vor einer Dreiviertelstunde geweckt, da auch sie vergessen hatte, sich einen Wecker zu stellen. Daraufhin war ich ohne mich fertig zu machen aus dem Haus gestürmt, um den einzigen Zug, der heute nach Kearney abfahren würde, noch zu bekommen.

Hastig blickte ich auf meine Handyuhr. Scheiße! Nur noch eine Minute. Schnell rannte ich die letzten Treppenstufen hinauf. Als ich den Bahnsteig betrat, fuhr mein Zug gerade ein. Erleichtert stieß ich die Luft aus und strich mir die Schweißperlen von der Stirn. Mein Herz klopfte noch immer wie verrückt. Während ich in Richtung Bahnsteig lief, glitt mein Blick spärlich über die anderen Fahrgäste.

An einem hochgewachsenen schlanken Mann mit Basecap, das er tief ins Gesicht gezogen hatte, blieb mein Blick für einige Augenblicke hängen. Irgendwas an ihm kam mir bekannt vor. Als hätte er gespürt, dass ich ihn beobachtete, hob er den Kopf und schaute in meine Richtung.

Sofort schnappte ich nach Luft. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht kam er mit großen Schritten auf mich zu und blieb wenige Meter vor mir stehen. Perplex starrte ich in seine funkelnden Augen.

,,Was machst du denn hier?'', fragte ich misstrauisch.

,,Ich schätze mal dasselbe wie du. Ich fahre zurück an die Uni'', gab er spitzbübisch von sich.

Meine Augenbraue schoss in die Höhe, da ich genau wusste, dass er mit dem Auto hierher gekommen war. Also warum fuhr er nun mit dem Zug zurück?

,,Ich dachte, du bist mit dem Auto hier? Wäre es für dich nicht angenehmer und schneller mit dem Auto zu fahren, anstatt mit der Bahn?'', hakte ich ungläubig nach.

Sein Lächeln verschwand augenblicklich und ein Schatten huschte über sein Gesicht.

,,Es hat sich so ergeben'', antwortete er ausweichend. Seinen Blick richtete er daraufhin zu den sich öffnenden Zugtüren. Ich ließ seine Antwort unkommentiert und folgte ihm. Auf einem Viererplatz ließen wir uns nieder und legten die Rucksäcke auf den freien Plätzen neben uns ab. Wir saßen uns gegenüber. Niemand sagte ein Wort.

Zwischen uns herrschte wie schon am Vorabend eine drückende Stimmung. Nachdem Raven am Tag zuvor fluchtartig den Aussichtspunkt verlassen hatte, hatte er kaum noch mit mir gesprochen. Auf Fragen reagierte er nur sehr kurz oder gar nicht. Er wirkte in sich gekehrt, als wir mit dem Bus zurückgefahren waren. Immer wieder hatte ich ihm von der Seite verstohlene Blicke zugeworfen, um herauszufinden, was ihn bedrückte. Ich wiederholte das Gespräch zwischen uns immer wieder in meinem Kopf. Irgendwas an meinen Worten hatte ihn verletzt, da war ich mir sicher.

Obwohl er nicht viel mit mir gesprochen hatte, hatte er darauf bestanden, mich nach Hause zu bringen. Ich hatte dankend abgelehnt, doch Raven ließ sich nicht davon abbringen, da er sich für mich verantwortlich fühlte.  Als wir vor meiner Haustür angekommen waren, hatte er sich mit einem schnellen Kopfnicken verabschiedet und war kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden. Als ich seine Silhouette nicht mehr gesehen hatte, kroch das altbekannte Gefühl der Leere wieder durch meine Venen und ich hatte mir gewünscht, er wäre nicht gegangen.

Someday we'll see each other againWhere stories live. Discover now