S1E1 - Wo bin ich?

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Wieder einmal lag Leja abends im Bett und Tränen rollten ihr über die Wangen. Wieder einmal waren die gleichen Gedanken da, die ihr Tag für Tag immer dasselbe einredeten -" Du bist nicht gut genug für ihn! Du tust ja nichts für ihn! Er wird dich verlassen und eine bessere finden! Du hast es nicht verdient, glücklich zu sein! Die Welt ist ohne dich besser! Geh einfach und beende es! ". Doch dann kam es Leja so vor, als würde ein Licht durch die Dunkelheit brechen. Es war ein Gedanke an Paul. An seine Stimme, die sanft sagte: »Du bist meine größte Liebe, mein Leben und ich werde dich niemals verlassen«. Könnte sie diese Worte doch nur glauben. Nach all den Jahren fiel es ihr schwer, noch hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken und solche Worte nicht als hohle Phrasen abzutun. Wie schön wäre es, wenn sie ihm einfach glauben könnte, wenn er so etwas sagt. Das würde ihr helfen, aus dem tiefen Loch herauszuklettern, indem sie schon Ewigkeiten gefangen war. Aber der einzige Weg aus diesem Albtraum ist ein Weg, der niemals mehr rückgängig gemacht werden könnte. Bei diesen Gedanken kauerte sich Leja noch tiefer zusammen. Sie wollte doch gar nicht gehen! Sie wollte leben ... aber irgendwie auch nicht. Das Gefühl Paul zu verlieren, fühlte sich an wie ein Stich im Herzen. Leja wollte doch einfach nur bei ihm sein ... mit ihm lachen und herum feixen, wie die beiden das am Telefon immer getan haben! Aber das würde niemals klappen. Jeder schöne Gedanke an seine Arme, die sie hielten, wurde sofort weggedrängt von einem, welches ihn als Monster darstellte, der ihr das Gleiche antun würde, wie die anderen Männer aus ihrer Vergangenheit. Schon kamen die Schuldgefühle wieder hoch. Wie konnte sie nur so von ihm denken? Er hat die letzten 13 Monate ALLES was er tun konnte aus der Entfernung für sie getan. Das ist nicht fair! In seinen Armen zu liegen ... mit ihm zu kuscheln ... so groß die Angst auch vor ihm war, so groß war auch das Verlangen ihn umarmen zu wollen. Aber das würde niemals passieren können. Die Angst würde niemals weggehen. Niemals würde sie ihn sehen können ... und irgendwann würde er sie verlassen, für eine, die ihm mehr bieten kann. In diesem Moment begannen die Augenlider von Leja immer schwerer zu werden. Sie versuchte wach zu bleiben aus Angst vor den Alpträumen, aber irgendwie ging es nicht ... heute schien die Müdigkeit größer zu sein als sonst ... irgendwie ... und mit diesen letzten Gedanken fiel Leja in den Schlaf.

Leja's Augen öffneten sich einen Spalt. Das weiße Licht, welches den ganzen Raum zu füllen schien, ließ es nicht zu, die Augen viel weiter zu öffnen. Sie hielt sich den Arm übers Gesicht, um irgendetwas sehen zu können und da schien etwas zu sein ... ein Körper ... Paul! Doch er schien wegzutreiben in diesem leeren, hellen Raum. Sofort stieg Panik in Leja auf. Er darf nicht weggehen, er darf sie nicht alleine lassen! Sie streckte die Hand zu ihm aus: »Bitte geh nicht! Bleib bei mir - bitte - du darfst mich nicht verlassen!«. Bei diesen Worten schien der Körper Paul's zu ihr zu treiben. Seine Hand streckte sich langsam in ihre Richtung und die Finger waren kurz davor ihre zu berühren, als das Licht so hell wurde, dass Leja nichts mehr sehen konnte und das Bewusstsein verlor.

»Leja. Leja!«, rief eine Stimme, die sehr weit weg zu sein schien. »Leja wach auf!« Die Stimme wurde langsam lauter und blinzelnd machte Leja ihre Augen auf. Wieder blendete sie ein Licht, welches diesmal aber nicht so grell war. So konnte sie ihre Augen öffnen und schaute in ein zugleich fremdes, aber auch bekanntes Gesicht. Ein paar blonde Haare, welche die grünen Augen etwas verdeckten, die weichen Gesichtszüge und dieses Lächeln ... dieses sanfte, aufmunternde Lächeln. Es war Paul, aber irgendwie auch nicht! Sofort schrak Leja hoch und rutschte weg von ihm. Sie kroch zurück, bis sie gegen einen Baum stieß, der sie stoppte. Sie spürte sofort, wie ihre Atmung sich beschleunigte und Panik sich in ihr ausbreitete. Der Junge hob sofort entschuldigend die Arme. »Hey, hey, hey, alles gut! Ich tue dir nichts und ich berühre dich auch nicht an - versprochen!« Leja konnte ihn mit etwas Entfernung jetzt genauer beobachten. Der Junge musste so um die 15-16 Jahre alt sein. Er war in einer abgetragenen, braunen Stoffhose gekleidet und einem weißen, abgenutzten Shirt. Die Haare waren definitiv anders als bei Paul und Paul hatte auch nie so stechend grüne Augen. Trotzdem war der erste Mensch, an den sie dachte bei diesem Gesicht, ihr Freund gewesen. Aber das konnte nicht sein! Wo war sie hier? Sie schaute hektisch um sich herum und erkannte, dass sie sich auf einer Wiese befanden. Das Plätschern eines Flusses war hinter ihr zu hören und direkt hinter dem Jungen war etwas wie eine alte Hausruine, bei der nur noch der Grundbau aus Stein übrig zu sein schien. Sie war aber grade noch in ihrem Bett! Das kann nur eins bedeutet! Als ob der Junge ihre Gedanken gelesen hätte, sagte er: »Das ist kein Albtraum. Zu mindestens keiner von deinen üblichen.« Sie starrte ihn mit großen Augen an. »Und wieso sollte ich dir das glauben?«. Leja schaute sich weiter panisch um. Sie könnte versuchen, wegzulaufen. Aber ihre Beine fühlten sich schlaff an, als ob sie keinerlei Kraft hätten, ihren Körper zu tragen und wegzulaufen. Sie konnte in ihren Alpträumen eh nie weglaufen, so wie auch im echten Leben nie, wenn ihr Körper sich wie eingefroren fühlte, wenn sie Panik hatte. Er ließ die Hände sinken, blieb aber an der Stelle, wo er gehockt war und lächelte matt: »Ich kenne deine Albträume. Jedes Mal, wenn ich drin vorkam, habe ich dir was angetan. Aber ich tue grade nichts, oder? Ich fasse dich nicht an, ich komme auch nicht näher« Tatsächlich stimmte das. Gefühlt grade eben hatte sie in ihrem Bett selbst noch darüber nachgedacht, wie sehr sie Angst vor diesen Alpträumen hatte, in denen Paul drin vorkam. Aber dieser Junge tat nichts, was andeuten würde, dass er ihr was tun würde. >>I-Ich ... also ... vielleicht tust du das noch«, stammelte sie. »Ich hab' dir doch versprochen, dass ich niemals etwas tun werde, was du nicht willst, schon vergessen?« Sie schaute zu ihm auf und erkannte dort wieder dieses Lächeln ... Paul's Lächeln. »A-Also bist du Paul?« Er schmunzelte: »Ahhhhh also nicht nur du siehst etwas anders aus, sondern auch ich! Sag sehe ich besser oder schlechter aus als in Wirklichkeit? Ich meine, viel schlechter geht ja nicht, aber du weißt, was ich meine.« Er grinste breit und schien gespannt auf die Antwort. »Es ist oke ... also«, begann sie, aber schon sprang der Junge auf und rannte zu ihr. Leja zuckte zusammen, als er nur 2 Meter entfernt an ihr vorbeisprintete, aber als sie die Augen öffnete, war er nicht bei ihr und tat etwas, wovor sie Angst haben könnte, sondern hielt seinen Kopf über den Fluss, anscheinend um sich dort selbst anzusehen. Er bewegte seinen Kopf hin und her, fummelte mit der Hand durch seine Haare und schaute strahlend zu ihr zurück. »Ich sehe doch super aus! Da ist ein OK ja wohl echt untertrieben! Aber na ja, ich weiß ja, dass dir Aussehen immer egal war, sonst hättest du dich ja niemals in mich verliebt.« Aus einem Reflex heraus wollte sie schon protestieren gegen diese Aussage, hob den Kopf, um wie immer am Telefon Paul daran zu hindern, sich selbst herunterzumachen, aber irgendwie kam nichts aus ihrem Mund heraus in dem Moment. Sie senkte den Kopf wieder, zog die Knie an ihre Brust und legte die Arme um sie.

Leben wider Willen - in welcher Welt bin ich denn jetzt gelandet? - Season 1Where stories live. Discover now