Kapitel II.I - Severus

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Part II – Severus

Das Klopfen an seiner Tür war so lästig wie das Surren einer Mücke kurz vor dem Einschlafen. Severus starrte das dunkle Holz an, als könne sein Blick es beenden. Dabei presste er seine Fingernägel so fest in die Lehnen seines Sessels, dass er den alten Stoff knacken hörte.

Er wusste, wer auf der anderen Seite der Tür stand. Es war Dumbledore. Dumbledore, dessen Büro er vorhin türenschlagend verlassen hatte, weil der sich mal wieder in Schweigen gehüllt hatte. Dumbledore, der trotzdem ein weiteres Versprechen von ihm hatte hören wollen. Dumbledore, der der letzte Mensch war, mit dem Severus gerade reden wollte.

Etwa fünf Minuten lang versuchte er es. Und erstaunlicherweise griff er nicht auf Magie zurück, um seinen Willen zu bekommen. Stattdessen gab er irgendwann auf und Severus' Finger entspannten sich.

Er hielt die Luft an und schloss für einen Moment die Augen. Ungewollt erhob sich ihr Gespräch wieder aus seiner Erinnerung. „Versprich mir, dass du es tun wirst, Severus! Wenn die Zeit gekommen ist, dann musst du es tun!" In seinem Magen kribbelte es, wenn er nur an das dachte, was Dumbledore, was seine beiden Herren von ihm erwarteten. Er stellte sich vor – rein hypothetisch –, wie er den Zauberstab gegen den Schulleiter erhob.

Und lachte kehlig auf. Allein die Vorstellung war so irre, dass er darüber den Verstand verlieren könnte.

Nicht, dass das nicht ohnehin schon beinahe passierte. Jedes Mal, wenn er so tat, als wäre alles normal. Wenn er unterrichtete, bei den Mahlzeiten neben seinen Kollegen saß, mit ihnen redete, im Lehrerzimmer seinen Kaffee mit ihnen trank, auf Konferenzen Pläne für das nächste Schuljahr diskutierte und dabei beinahe vergaß, dass der einzige relevante Plan für das nächste Schuljahr Dumbledores Tod und sein eigener Aufstieg zum Schulleiter war.

Wenn er Dumbledores schwarze Hand gerade nicht sah, fühlte es sich an, als wäre es ein schlechter Traum gewesen.

Und dann gab es Tage wie heute, an denen er an nichts anderes denken konnte. An denen er alles gegeben hätte, um ... um nur mit einem Menschen sprechen zu können, der nicht das von ihm erwartete. Der ihm genug vertraute, um ihm zu sagen, was im Hintergrund passierte. Wozu er das alles tun sollte. Aber niemand außer Dumbledore könnte das tun. Und der war der letzte Mensch, mit dem er gerade reden wollte.

Kurze Zeit später erhob Severus sich und griff nach seinem Reiseumhang. Kurzentschlossen. Unüberlegt. Spontan. Es war spät am Abend, die Sperrstunde längst überschritten. Das Schloss war so ruhig, dass es einem Kloster glich. Oder einer Kirche. Die Portraitbewohner hatten sich zum Schlafen hinter ihre Rahmen zurückgezogen, die Rüstungen schwiegen, Peeves war schlau genug, nicht Severus' Weg zu kreuzen.

Das Summen in seinen Adern wurde etwas besser, als er die Treppen des Schlossportals hinablief und die Luft des aufziehenden Sommers an seinem Gesicht entlangstrich. Severus schritt am Schwarzen See vorbei, dessen Oberfläche sich kräuselte, als würden viele unsichtbare Fäden das Wasser in die Höhe zupfen. Es wisperte und raschelte im Schilf und in der Mitte des Sees – schemenhaft erkennbar gegen das spärliche Licht des Mondes – regten sich die Tentakel des Kraken.

Bald kam die Grenze des Schlossgeländes in Sicht und Severus zückte seinen Zauberstab schon Meter, bevor er sie erreicht hatte. Mit verbissenem Gesichtsausdruck öffnete er einen Spalt in den Schutzbannen und verließ das Gelände. Hogwarts war wie ein Hochsicherheitstrakt und dennoch ... die Todesser würden das Schloss letztendlich stürmen. Er warf einen kurzen Blick zurück, bevor er disapparierte.

Doll war ein Stück Erde, das einen Großteil des Fortschritts verpasst hatte. Wäre das möglich, die Bewohner würden abends um acht wohl die wenigen Bordsteine hochklappen, die es hier gab. Niemand geriet ihm in die Quere und er musste weder auf sein Aussehen noch auf die Macht seines Zauberstabes Rücksicht nehmen. Der Klang seiner Schritte auf dem Weg zerriss die Stille und brachte die Grillen zum Schweigen. Ein feiner Nieselregen setzte ein, er schlug den Kragen seines Umhanges hoch.

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